V. A.: Thanateros – Visions Of Love & Death

Jede Subkultur kennt sie: Familientreffen, bei denen sich alte Freunde die Hand schütteln, sich gegenseitig versichern, dass man noch immer zusammen gehört, auch wenn sich die Bande über die Jahre etwas gelockert haben. Familien dieser Art bilden sich häufig im Umfeld beliebter Bands oder im Dunstkreis einiger Kultlabels. Gelegentlich auch um Magazine.

In Form einer Doppel-CD veranstaltete jüngst auch das deutsche :Ikonen:-Magazin ein virtuelles Treffen alter Freunde. Das Ganze findet unter dem Motto “Liebe und Tod” statt und nennt sich “Thanateros”. Fast alle teilnehmenden Musiker waren über die Jahre Thema im Heft und prägten Image und Leserschaft. Die Ausrichtung von :Ikonen: war von Beginn an intermedial und stilistisch offen. Schwerpunkte sind neben einem grundsätzlichen Interesse am Transgressiven aber dennoch auszumachen. So bilden die Medien Musik und Film die beiden wichtigsten Themenblöcke, und auch wenn innerhalb dessen auf einen breiten Kanon gesetzt wird, ergibt sich, vermutlich aus dem Geschmack der Redakteure heraus, eine interessante Zweigleisigkeit: Ohne pauschalisieren zu wollen erscheint mir der Filmkanon des Magazins spielerischer, postmoderner und vor allem erotischer als die Musikauswahl, die mit Neofolk, Dark-Ambient und anderen Abkömmlingen des Industrial doch eher für eine kühle, beherrschte, klassisch-dandyeske Haltung steht. Der typische Ikonenfilm hat Nietzsche, Bataille und Artaud im Blut, die typische Ikonenplatte dagegen eher Schopenhauer, Cioran und Jünger.

Auch die Compilation huldigt nicht nur der Musik, sondern hat eine ebenso stark visuelle Seite. Cover und Booklet basieren auf Fotografien des SM-Künstlers Helmut Wolech, aufbereitet durch den Grafiker Joachim Lütke, der bisher eher konsumorientierte Düsternis marke Dimmu Borgir visuell unterstützte. Ob die Präsentation diverser Körperöffnungen sich vom Standard gängiger Schmerzlustschau unterscheidet, ob die zusammengeschnürten Körper auf Hans Bellmer verweisen, kann ich schlecht beurteilen – ich finde die Bildbeiträge jedenfalls nicht sehr ansprechend und kann auch keinen konkreten Bezug zur Musik des Samplers ausmachen. Und drei Schriftarten auf einem Cover? Nun ja. Relevanter finde ich da den soundtrackartigen Charakter mancher Songs, die vor dem inneren Auge des Hörers sicher das eine oder andere dystopische Szenario aufscheinen lassen.

Auf der “Love”-betitelten CD sind vorwiegend akustische Songs zu hören – Tristesse und Wohlklang stehen auf dem Programm. Nach dem kurzen, atmosphärischen Golgatha-Intro „Broken Blossom“ liefert Tony Wakeford einen Auszug aus seinem letzten Soloalbum ab. Basierend auf einem Text der litauischen Dichterin Zuzanna Ginczanka entfaltet sich eine symphonische Tonfolge aus lieblichen Gitarrenloops und anrührenden Holzblasinstrumenten, atmosphärisch durchdrungen von einem verhaltenen Glühen, das Tonys trockenen Gesang umso markanter und ergreifender wirken lässt. Ginczanka starb während der Shoa, und ihr im letzten Lebensjahr geschriebenes Gedicht stellt sich in eindringlichen Bildern dem drohenden Tod. Es sind jedoch Bilder, die auch von Unsterblichkeit, vom Übertragen dichterischer Kraft auf den Leser zeugen. Befruchtung sozusagen – ein erotisches Gedicht? Das wäre zu viel gesagt, aber dennoch siegt in der Feier des Vitalen auch der Eros über den Tod. Nach diesem frühen Highlight wirken viele weitere Songs einfacher und poppiger. Der unermüdliche Matt Howden trägt mit “Floating” ein intensives und poppiges Sieben-Stück bei, wie immer nur mit Stimme, Violine und Looppedal. Naevus warten mit ihrem leider letzten, allerdings nicht mit ihrem besten Stück auf. Das Folkstrumming erinnert an frühe Tage der Band, die für mich immer so etwas wie eine mit den Stranglers aufgewachsene Alternative zu Interpol war, statt bloß eine weitere Neofolkkapelle. Als Joanne Owen und Lloyd James privat getrennte Wege gingen, war das auch das Aus der Band – wer sie ebenso schätzte wie ich, der sollte die Aktivitäten ihrer Mitglieder weiter verfolgen. Atmosphärisch folkig geht es außerdem bei den von Yeats inspirierten :Golgatha: zu, ferner bei Apatheia, Jera Nauthiz und Sub Luna, Neofolk der romantischen Art bietet der Beitrag von Sonne Hagal. Andrew King wartet mit knapp vier Minuten echter Englishness auf. Aetherna interpretieren auf eine kühle und aufgeräumte Art Bataille, was konträr zu meiner Behauptung weiter oben stehen mag. Ein interessantes, legitimes Spiel mit Kontrasten, aber für mich als Klischeedenker ist eher eine von Fülle und Verschwendung geprägte Musik wie etwa Death Metal und Freejazz affin zu Bataille. Stilistisch schlagen sie die Brücke zum Ambient, Stolen Flowers ergänzen diesen durch perkussive Elemente, für die man wohl die Vokabel “rituell” benutzt. Andere Vertreter integrieren indische Folklore (Werkraum mit Unterstützung von Nicholas Tesluk), wandeln auf den Spuren melancholischer Americana (While Angels Watch, Kentin Jivek) oder haben gar ihre neue Heimat im Elektropop gefunden (Dernière Volonté).

Lauter, finsterer, dystopischer die “Thanatos”-Seite. Vortex sorgen mit ihrem von bedrohlichem Donnergrollen begleiteten Ambientstück für ein recht klassisches Intro. Coph Nia geben sich doomig, der 90er-Crossover-Einschlag findet sich nur im Gesang, was mich angenehm überrascht. Ob die 90er generell eine Zeit des Thanatos waren, wage ich nicht zu sagen, der Begriff „Fin de Siecle 2000“ kursierte ja – jedenfalls scheinen viele der Acts auf Seite zwei dieser Ära verbunden (geblieben?) zu sein. Bei den Noisedistortions, die mal in Wellen (Isomer), dann als Sog ([bleed]), zuletzt rhythmisch (Kristoffer Nyströms Orkester) zu Wort kommen, scheinen die Uhren jedenfalls zur Milleniumszeit stehen geblieben zu sein. Letzterer leitet mit seinen Snaredrums und Sprachsamples zu ausgefeilten Soundscapes über, die in elektronischer (Dawn & Dusk Entwined, Negru Voda vs. Plague Machinery, Satori) oder orchestraler (Mink M. Ra mit schönen Oboen, The Trail, Arkane, bei denen es arg heavenly wird) Form für Düsternis sorgen. In unterschiedlicher Form “neo-klassisch” klingen die Projekte Verney 1826 und 53, erstere nach Gothic-Art, letztere in Form eines hintergründigen Cello-Drones. Zu den Ausnahmeformationen auf der zweiten Seite zählen noch Fuckhead. Wer so heißt ist gut, und folglich gehört ihre verspielte Kollage mit all ihrem absurden Chaos auch zu den schillerndsten Momenten der Sammlung.

Thanateros schafft einen guten Überblick über die Restbestände der ehemals blühenden Neofolk- und Postindustrial-Kultur, und gerade einige Stücke der „Eros“-Seite zeigen Wege aus der Endlosschleife, in der diese Genres in ihrer Reinform schon seit Jahren gefangen sind. Dass das nur auf einzelne Stücke zutrifft, ist nicht der einzige Kritikpunkt. Da wären die Länge der Zusammenstellung, die eben auch Längen mit sich bringt, und vor allem das etwas viel versprechende Konzept unter einem bedeutungsschweren Titel – denn wo in Kunst und Musik geht es bitteschön nicht „irgendwie“ um Liebe und Tod, wenn man die Themen nur weit genug fasst? Was hier zwischen Liebe und Tod gefeiert wird ist in erster Linie Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit, und dafür sind subkulturelle Familientreffen ja schließlich da. (U.S.)

Label: :Ikonen: Media