JELLO BIAFRA AND THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE: Enhanced Methods of Questioning

Jello Biafra war nicht bloß Sänger in einer Punklegende, und er ist auch nicht bloß Betreiber eines der renommiertesten Independent-Labels weltweit. Ich glaube, es gäbe keine griffige Bezeichnung, die seine Bedeutung für dreißig Jahre Gegenkultur nicht herunter brechen und in ein allzu enges Vorstellungskorsett zwängen würde. Mit den Dead Kennedys überführte er den cartoonhaften Galgenhumor eines Robert Crumb, der schon immer viel zu sarkastisch für die gängige Hippie-Konnotation war, in die abgeklärte Zeit um 1980. Wie kaum jemand zuvor betonte er die satirischen Elemente des Punkrock, von dem er sich später formal entfernte, dessen subversive Potenz er jedoch zu neuen Ufern mitnahm: Zu dem lärmenden Gepolter von Lard, zu den hintergründigen Essays, die er später auf einigen Spoken Word-Alben herausbrachte.

Subversiv heißt in dem Fall auch, dass er sich stets als Teil des als absurd empfundenen, medial ferngesteuerten Landes betrachtete, das er aus der Innenperspektive heraus mal augenzwinkernd auf die Schippe nahm, mal vernichtend bloß stellte. Biafra ist ebenso sehr Kritiker wie Liebhaber typisch amerikanischer Protzerei und banaler White Trash-Kultur, er selbst verkörpert sie auf halb ironische, aber stets reflektierte Art mit der Leidenschaft des Parodisten, der ohne sein Hassobjekt nicht leben könnte. Whiskey und Steaks, Countrysongs und Wild West-Mythen zählen zu den Klischees, die in Biafras Werk auch immer wieder gefeiert werden. Finger überkreuzt, wie sich versteht. Und nicht zufällig finden sich auf Alternative Tentacles diverse Bluesrock-Combos, die stark nach frühen ZZ-Top klingen, oder christliche Alternative Country-Bands aus Denver, die eine (vielleicht ebenfalls augenzwinkernd?) reaktionäre Attitüde kultivieren. Subversiv heißt bei Biafra außerdem, dass der kritisch-belehrende Zeigefinger, den der Sänger buchstäblich in seine Performances einbaut, nicht schulmeisterlich gemeint ist, sondern als dramatisierendes Mittel fungiert – und dass linkspolitische Ideale nichts mit naiven Utopien und Sozialkitsch zu tun haben müssen. Biafra zieht es vor, unkorrekt zu sein und nicht den Toleranten zu spielen. Ein Intellektueller wollte er übrigens auch nie sein.

Es mag heute trivial wirken, noch Tiefschürfendes zu „Holiday in Cambodia“ zu schreiben, einem großartigen Song, den heute fast jeder kennt, der über die Jahre zum Partyhit degenerierte und den selbst Punkbanausen mögen – ideal für jede Grillhüttenfete, zum kurzen Pogo gleich nach der langen Version von „Tainted Love“ und vor dem final einschläfernden „We Are The Champions“. Der Song verkauft die todesschwangeren Stahlgewitter eines fragwürdigen Krieges nicht nur spöttisch als Ferienparadies (was für sich allein eine ziemlich platte Ironie wäre, die sich flugs verbraucht). Er behauptet auch ganz ernsthaft, dass in der Hölle Südostasiens das eigentliche Leben stattfindet, und nicht in einer von liberalen Berufssöhnen bevölkerten Welt schaler, politisch korrekter Arroganz, die sich anmaßt, „bewusst“ zu leben: „It’s tough, Kid, but it’s life!“ Und irgendwie spricht aus dem Song auch die pure Gehässigkeit, denn nichts wäre dem lyrischen Fiesling lieber, als die ganze Schnöselkultur in diesen Krieg zu schicken und für immer los zu werden. Wer sich mit der Kulturgeschichte des Krieges hierzulande auskennt, dem fallen Parallelen zum Enthusiasmus deutscher Künstler zu Beginn des ersten Weltkrieges auf. “Endlich wieder Krieg!” skandierten Leute wie Georg Heym und Franz Marc, Ernst Jüngers Ergüsse sind allgemein bekannt. Was Biafras vier Minuten Fronteinsatz von den Selbstdarstellungen des von den einen literarisch überschätzten, von den anderen moralinsauer verteufelten deutschen Tagebuchschreibers unterscheidet, ist das Aushalten des ambivalenten Blicks: An keiner Stelle wird der hässliche Krieg, der das Menschliche und Allzumenschliche für einen Moment aufscheinen lässt, gerechtfertigt und aus latenter Feigheit metaphysisch überhöht. Natürlich hat Biafra gut reden – er war nie an irgendeiner Front. Doch sei’s drum. Man könnte mit einer solchen Weisheit auch gleich das ganze Power Electronics-Genre mit seinen Megaphonen für null und nichtig erklären.

Ich komme auf diesen Song zum einen, weil Biafras aktuelle Band, Jello Biafra & The Guantanamo School Of Medicine, ihn in ihr Liveprogramm integriert hat und damit regelmäßig Punknostalgie aufkommen lässt. Überhaupt klingt die Guantanamo School, zu der u.a. Billy Gould von Faith No More gehört, auch auf ihren neuen Songs zunächst, als hätten fünfundzwanzig Jahre Musikgeschichte nicht existiert. Vielleicht war es Jellos großer Traum, die Kennys noch mal neu zu erfinden – sie wiederzubeleben hätte sich sicher etwas schwierig gestaltet, denn die Bandgeschichte endete ja bekanntlich in einer banalen juristischen Angelegenheit. Nun war Jellos Vorstellung von Punk nie nur Jugendkultur, zu nerdig und sophisticated für puren Rock’n'Roll, sodass das Programm sich auch von Mitfünfzigern halbwegs glaubwürdig realisieren lässt. Das Debüt “The Audacity of Hype” (in Anspielung auf Obamas “The Audacity of Hope”) war dann auch so kraftvoll, bissig und textlich originell wie ein Biafra-Album sein sollte, aber die Präsentation von musikalisch weitgehend Altbekanntem konnte auch enttäuschen. Bei der hier vorliegenden EP wusste man, was zu erwarten war, die Karten lagen auf dem Tisch, und das solide Resultat kann überzeugen – und am Ende sogar ein bisschen überraschen.

Biafra greift mit seiner ersten Vollzeitband seit dem Ende der DKs sogar noch tiefer in die Retrokiste. Bei „The Cells That Will Not Die“ kritisiert er ein profitorientiertes Gesundheitswesen im Setting eines 70er-Jahre Low Budget Filmes mit Sleazefaktor, zumindest weckt die Melodie solche Assoziationen. Wie immer grandios: sein hysterisches Zittern in der Stimme, man sieht förmlich seinen ebenso zittrigen Zeigefinger, während er mit weit aufgerissenen Peter Lorre-Augen die Verrücktheit dessen spiegelt, was er anprangert. Warum soll er sich da selbst herausnehmen, als Kind seiner Zeit, als Teil der Gesellschaft, die solche Institutionen trägt? Zur ebenso trashigen Mediensatire „Invasion of the Mind Eaters“ könnte man die Surfbretter herausholen, und „Miracle Penis Highway“ ist stellenweise eher Hardrock als Punk – der passende hedonistische Sound eben zum Machismo-Sujet, das hier durch den Kakao gezogen wird. Allgegenwärtig sind Protopunk-Referenzen, die wie Reisen zu den Ursprüngen der Band anmuten. Sicher dem Geschmack der Musiker entsprungen, passt die Anlehnung an Detroiter Frühpunks ganz gut zu diesem sehr amerikazentrierten Projekt. Voll pathetischer Gesten und mit genau diesem Substrat im Gepäck prangert Biafra in „Dot Com Monte Carlo“ die Yuppifizierung der Bay Area an, wünscht sich gewaltbereite Gangs mit Kettensäge – Statements, die, wenn auch sicher als Ventil für spontane Wut zu verstehen, in Zeiten brennender Familienkutschen einiges an Diskussionsstoff bereithalten.

Im Unterschied zum Album enthält die EP jedoch ein massives Novum: ein rund zwanzigminütiges, ungemein groovendes Bonusstück, bei dem die Guantanamo School alle Register des amerikanischen Anti-Songbooks zieht, ein episodisches Kollagenwerk aus punkigen, funkigen, surfigen Versatzstücken und coolem Stonerrock, bei denen der Sänger zwischen allerlei Zäsuren seinem Kulturpessimismus Ausdruck verleiht. Alle reden von Änderung, doch man sieht sie nicht. So Jello Biafra, so schon in den 60ern The Deviants, deren Lyrics er hier ausgiebig zitiert.

Hätten die Recken diesen Song zu einem ganzen Album ausgebaut, dann hätte sich musikalisch schon mal einiges verändert. Aber so sollte es nicht sein, und so lange der krachige Old School-Sound stimmt ist Schwelgen in alter Größe inklusive eines immer noch unverbrauchten Kämpfergeistes ja auch nicht schlecht. (U.S.)

Label: Alternative Tentacles