FREIDA ABTAN: The Hand of the Dancer/The Temple of the Dreamer

Wer hierzulande schon einmal etwas von Freida Abtan gehört hat, der könnte ihr eventuell im Zusammenhang mit Nurse With Wound begegnet sein. Auf dem teilweise poppigen “Huffin’ Rag Blues”-Album hat die Kanadierin an einigen Stellen Gesang beigesteuert. Am markantesten bei “Thrill of Romance…?”, einem Song, der aus einem imaginären Massive Attack-Score zu “Eraserhead” stammen könnte. Hier lieh sie dem Klischee der von Verlangen zerfressenen und ihren Liebhaber sehnsüchtig erwartdenden Frau ihre Schmachtstimme, begleitet von einem entspannten Trip Hop-Beat und unheilschwangeren Sitharklängen. Ein postmoderner Rekurs auf Abbas “Gimme, Gimme, Gimme” oder eher ein cooler Kommentar auf die derangierte Schönheit urbaner Einsamkeit? Ein kritisch-ironischer Gendersong oder doch einfach nur lasziv-schön? Vielleicht alles zusammen, aber man weiß es nicht und muss es auch nicht wissen. Was sich aber durchaus zu wissen lohnt, ist, dass Freida das Singen eher nebenbei betreibt und ihren eigentlichen Schwerpunkt in originellen Soundscapes hat. Dass sie dieses Terrain zu bereichern weiß, demonstierte sie 2008 mit ihrem Erstling “Subtle Movements” (United Dairies), dessen Nachfolger vor Kurzem auf ihrem eigens gegründeten Label erschienen ist.

Die CD beginnt mit dem rauschigen Atem eines nicht gerade vertrauenerweckenden Untiers. Ein fast troumartiger Ambientsound mischt sich bei, helles Glühen leuchtet auf, das Atmen geht über in Wellengetöse. Die ersten rund zwanzig Minuten bilden die eine Hälfte des Albums: die Komposition “The Hand of the Dancer”, die in drei Sektionen unterteilt ist und ursprünglich einen Kurzfilm musikalisch untermalt. Wer aufgrund des Titels Tanzmusik erwartet, wird bitter enttäuscht werden, wer ein Faible für surreale Songtitel hat, könnte die flächige und von allerlei unheimlichen Ereignissen durchzogene Klanglandschaft lieben, die Freida hier zusammengezimmert hat: Gluckersounds, wie man sie von den mittleren Coil kennt und liebt, dezent Hochfrequentes, Distortions. Ein wiederkehrendes Knacken, das sich immer wieder anschickt, in so etwas wie Rhythmus überzugehen, um diesen dann doch zu verweigern. Ein kraftvoller, organischer Flächensound, der erneut Coil-Assoziationen wachruft, diesmal an die Equinoxe/Solstice-Aufnahmen, aber das soll keineswegs die Originalität von Freidas Komposition in Frage stellen. Die fast sakral verfremdete Stimme einer Sängeren, vermutlich Freida selbst – alles perfekt designet, von einer Person, die ein Ohr für Spannung hat und sich in Bereichen auskennt, in denen Schrägheit und Wohlklang bisweilen interessante Kombinationen eingehen. Gerade an den Stellen, an denen es etwas hektischer wird, meint man ihre persönliche Nähe zur Nurse With Wound-Clique zu hören, aber vielleicht ist das auch nur der Ausdruck einer musikalische Seelenverwandschaft.

Bei den folgenden Stücken tritt das Spiel mit wirren, absurden Details zunächst noch mehr in den Vordergrund. “Mistah Kurz” und “Aftermath” sind verspielte und gleichsam bedrohlich wirkende Interludien, die den Hörer in einer erwartungsvollen Ungewissheit zurücklassen. Schon deshalb entfaltet die nächste längere Komposition, das komplexe “Orpheus in the Underworld” eine unwiderstehliche Sogwirkung. Abtan hat den ereignisreichen antiken Stoff in eine episodische Klangerzählung verwandelt, bei der ein prätentiöserer Mensch nicht einmal mit einem Wortungetüm wie psychoakustiches Hörspiel geizen müsste. Hier wird dann auch Gesang eingesetzt, der allerdings abstrakt bleibt: verzerrt, organisch und doch irgendwie instrumental. Das Episodische gliedert sich anhand der sich wandelnden Soundkomponenten, ob Abtan dem ohnehin tragischen Mythos durch ihr dunkles Klangdesign eine noch größere Tragik verleihen will, bleibt offen, denn die Anspielung auf den Prätext erfolgt primär durch den Sound. Kurz vor dem Ausklang treten auch akustische Intrumente auf den Plan, was zunächst wie die naheliegende Laute anmuted, entpuppt sich bei genauerem Hinhören als Harfe. Doch nach dem Trip in die Unterwelt gibt es mit dem finalen “Solstice” noch einen Epilog, der das ganze in einem recht zwiespältigen Emotionsgemisch ausklingen lässt. Ein Strudel aus kantigen Soundbrocken, verzweifelte Stimmen, ein erdendes, vitales Dröhnen, Stille.

“Subtle Movements” hielt genau was der Titel versprach – es bot vordergründig fast unscheinbares, stilvolles Understatement. Beim Nachfolger gibt sich die Musikerin merklich extravertierter und gestaltet ihre Kompositionen weitaus dramatischer. Damit sollte sie Klangfanatiker ebenso begeistern wie Hörer mit einem sehr emotionalen Zugang zu eindringlichen Sounds. In dem Moment denke ich wieder an “Thrill of Romance…?” und wünsche mir, dass Freida Abtan irgendwann einmal die Muse haben wird, ein komplettes Songalbum mit Lounge-Hits und Jazzballaden aufzunehmen. (U.S.)

Label: Finite State Recordings