SAMARIS: Hljóma Þú

Der Name Island hat eine ungeheure Resonanzkraft, die der archaischen Landschaft – welch Paradox: Ist doch das geringe Alter der Insel der Grund für die unberechenbare(n) Natur(gewalten) – geschuldet ist und wie bei keinem anderen Land der Welt wird eben diese Landschaft evoziert, um die Musik isländischer Künstler zu erklären und beschreiben. Zwei Beispiele, die ohne langes Suchen exemplarisch für den Konnex Natur-Kultur (Musik) stehen: „Es ist keine ‘normale’ Band wie so viele. Sigur Ros sind ein Naturereignis, ein Naturschauspiel: Vulkane, Geysire, Erdbeben, Sturmwind, Säuseln, Stille, Andacht … Parallelen zu ihrer Heimat Island, dieser wunderbaren Insel, sind daher nicht zufällig.“ „[Heigi Jónssons] Songs sind anmutig und melancholisch, verlieren aber nie ihre Erdverbundenheit: ein wenig wie die Landschaft Islands, rau und von einem ganz besonderen Zauber.“ Diese Auszüge sollten deutlich gemacht haben, dass man sich unweigerlich in Klischees und leeren Phrasen verlieren kann, man sich einer Sprache und Metaphorik bedient, die abgestandener nicht sein könnte: Da werden Bands zu mysteriösen Entitäten, die fragile Musik aus dem Äther machen und damit die Schönheit und das Archaische der Landschaft widerspiegeln. Wirft man dann noch ein paar Elfen oder Trolle in den Mix, ist die Rezension komplett.

Natürlich: Wer einmal ein paar Tage in Reykjavik zugebracht hat, weiß natürlich um die vitale (ein Adjektiv, das natürlich selbst schon zur fast leeren Hülse geworden ist) Musiklandschaft, die qualitativ und quantitativ deutsche Städte vergleichbarer Größe beschämt – der jüngst von Henryk M. Broder gezogene Vergleich zwischen Island und Bielefeld illustriert pointiert die enorme kulturelle Aktivität und Attraktivität. Dennoch sollte man sich als Rezensent davor hüten, Geologie und Musik allzu sehr miteinander zu verknüpfen.

Die junge Band SAMARIS – die drei Mitglieder sind alle erst zwischen 17 und 18 – veröffentlicht in Eigenregie ihr Debüt „Hljóma Þú“, auf dem drei Songs und drei Remixe selbiger zu finden sind. Das Titelstück beginnt mit einer melodischen Klangfläche, zu der sich verschleppte Beats (die Band selbst nennt auf ihrem Facebookprofil Trip Hop oder Dubstep als Referenzpunkte) hinzukommen. Sängerin Jófríður Ákadóttir erinnert zwar durchaus etwas an ihre wohl bekannteste musikalisch aktive Landsmännin, aber das sollte eher inspiratorisch als plagiatorisch gelesen werden. Was die primär am Laptop (von Þórður Kári Steinþórsson) komponierte Musik aber aus dem Gros ähnlicher Klänge herausragen lässt, ist zum einen die Fähigkeit von Samaris gute Songs zu schreiben und zum anderen auch die gelungene Kombination aus Laptopsounds und (der von Áslaug Rún Magnúsdóttir gespielten) Klarinette, die insbesondere „Viltu Vitrast“ prägt. Oftmals wird die Stimme in den Vordergrund gerückt und wie bei letztgenanntem Stück nur von spärlichen perkussiven Klängen untermalt. Auch „Góða Tungl“ rückt die Stimme ins Zentrum, dezent pluckert die Elektronik. Die drei Mixe sind zwar jetzt nicht unbedingt essentiell und gerade der Remix von „Viltu vitrast“ (zer)stört etwas die dichte Atmosphäre des Originals – hier sollen hippe Bars beschallt werden und die Vorhersehbarkeit der Beats hat die Musik überhaupt nicht nötig. Da funktioniert der Remix von „Góða tungl“ besser, sind die Sounds origineller und auch die gegen Ende eingesetzten Scratches fügen sich ins Klangbild. Ob die Zweiteilung des Minialbums jetzt nun etwas mit dem Kontrast zwischen den langen Tagen des Sommers und den langen Nächten des Winters zu tun hat, kann (und will) ich (natürlich) nicht beantworten.

(M.G.)

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