Zwischen Rhythmus und Kontemplation. Interview mit der Musikerin Midori Hirano

Midori Hirano ist Pianistin und kombiniert den Klang ihres bevorzugten Instruments mit verschiedenen elektronischen Sounderzeugnissen, die ein weites Feld abdecken von meditativer Ruhe bis hin zu vertrackter Rhythmik. Letzteres ist eine noch relativ neue Ausrichtung der aus Kyoto stammenden Künstlerin, die zur Auslotung ihrer rhythmischen Ambitionen eigens ein neues Projekt aus der Taufe gehoben hat: MimiCof. Im Unterschied zu ihren entspannten Ambientkompositionen ist diese Musik alles andere als meditativ, sondern recht komplex und macht bewusst, dass Tanzen nicht zwangsläufig mit Abschalten zu tun haben muss. In meinen vorausgegangenen Beschreibungen betonte ich wiederholt den moderaten und unverkitschten Charakter ihrer Musik, der auch in ihren kontemplativen Momenten stets gewahrt bleibt – das teils zurückgenommene und unprätentiöse ihrer Musik klingt auch im folgenden Interview an.

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Du wirst oft als Komponistin, Pianistin und Soundkünstlerin beschrieben. Wie würdest du dich beschreiben, wenn du die wesentlichen Elemente deiner Arbeit benennen müsstest?

Ich mag einfache Beschreibungen, deshalb würde ich mich schlicht Musikerin nennen.

Ich habe gelesen, dass du dich schon in sehr jungen Jahren für das Klavierspielen interessiert hattest. Was kannst du uns über die Zeit erzählen, als du dich entschieden hattest, Musikerin zu werden?

Während meiner Kindheit spielte ich das Klavier nur zum Spaß, aber als ich dann später an der Universität klassische Musik studierte, wurde es mir irgendwann zu langweilig, die ganze Zeit nur Musikstücke zu spielen, die schon existierten (und außerdem fühlte ich mich im Hierarchiesystem der japanischen Musikerziehung nicht wirklich wohl). So interessierte ich mich dann mehr und mehr für das Komponieren eigener Musik. Anfangs schrieb ich nur Stücke für Klavier, aber so langsam lernte ich, wie man mit einem Computer dem dazugehörigen Equipment Musik macht, und mittlerweile finde das auch sehr interessant.

Hattest du in dieser Zeit Vorbilder, oder zumindest Musiker, die einen starken Eindruck bei dir hinterlassen hatten?

Es gab auf jeden Fall eine Menge Musiker, die ich respektierte, und es ist schwer da jemanden hervorzuheben – aber vor allem J.S. Bach hat in meiner Kindheit einen sehr starken Eindruck hinterlassen was dmeinen Zugang zur Musik als solche betrifft.

Musik mit einem Schwerpunkt auf Sound wird gerne als “experimentell“ bezeichnet. Betrachtest du deine Arbeit als eine Art Experiment, oder würdest du eher die spielerische Seite betonen?

Sich auf Sound zu konzentrieren kann schon Spaß machen, man kann dabei aber auch lernen, die eigenen kreativen Fähigkeiten zu verbessern oder lernen, die eigene Musik aus einer anderen Perspektive zu hören. Aber generell konzentriere ich mich doch eher auf das Erschaffen musikalischer Strukturen, weshalb ich mich dann auch als Komponistin bezeichnen würde. Für mich ist die Konzentration auf Sound wie wenn man versucht, Abstufungen mit einer einzigen Farbe zu erzeugen. Doch wenn du dich auf den Aufbau der Musik konzentrierst, ist das we Malen mit verschiedenen Farben.

Es gibt dieses Klischee, dass es untypisch für Frauen sei, sich für die technologische Seite der Musik zu interessieren. Hast du ein starkes Interesse an technischen Dingen, und wie würdest du auf jemanden reagieren, der in solchen Klischees denkt?

Vor zehn Jahren arbeitete ich tatsächlich in einem Musikstudio in Tokyo, in dem die Musik für Werbespots produziert und Musikequipment vertrieben wurde, und ich war die einzige Frau, die dort arbeitete. So bin ich es seitdem gewohnt, in einer der “Männergesellschaft” der Musikindustrie zu arbeiten. Natürlich war es nicht leicht, aber es war immerhin eine gute Übung für mich.

Normalerweise kümmert es mich nicht, wenn jemand in solchen Klischees redet,  but yet not really against. – Es gab Leute, die dachten ich wäre ein Typ, als sie zum ersten mal meine Musik hörten, aber andere wiederum sagte mir, dass meine Musik sehr feminin klingen würde. Ich schätze beides!

Hier in Deutschland wirst du häufig als japanische Künstlerin vorgestellt. Doch wie stark identifizierst du dich damit? Denkst du, dass deine Musik eine bestimmte Kultur repräsentiert? Oder fürchtest du manchmal auch, dass die Leute dich zu stark exotisieren könnten?

Um ehrlich zu sein fühle ich mich oft etwas unsicher, wenn die Leute mich als “japanische” Künstlerin betrachten, statt einfach als Musikerin. Als ich in Deutschland zu leben begann und als ich durch Europa tourte hatte ich oft mit diesem Gefühl zu kämpfen, das mir hier und da von Leuten entgegen gebracht wurde. Aber ich habe gelernt, es leichter zu nehmen – oder mich zumindest nicht mehr so viel darum zu kümmern. Ich denke, es ist einfach so wie es ist (und ich weiß ebenso, dass viele japanische Künstler aus Promotion-Gründen versuchen, sich besonders japanische zu geben, weil sie wissen, dass das im Ausland ganz gut funktioniert.)

Obwohl ich sehr lange klassische Musik studiert hatte und nie traditionelle japanische Musik, ist es doch sehr leicht für mich, Musik zu komponieren, die wirklich wie japanische klingt. Weil ich weiß, dass es bestimmte Akkordfolgen und Arten von Melodien gibt, die in alten japanischen Liedern oft vorkommen oder in Popsongs, die meist sehr melancholisch klingen.

Als ich in Japan lebte habe ich solche Emotionen oft in meine Musik eingebaut, aber nach meinem Umzug nach Deutschland gelang es mir nach und nach, diese Art von Musik objektiver zu hören, wodurch mein Interesse an mehr soundorientierter Musik wuchs, einer Musik ohne so viele Emotionen. Und dies ist tatsächlich auch einer der Gründe, weshalb ich mit MimiCof ein zweites Projekt neben midori hirano startete.

Gibt es in deinen neueren Aufnahmen Einflüsse, die man als japanisch oder als europäisch lokalisieren könnte?

Ich denke heutzutage nicht viel über so etwas nach, aber wie ich schon sagte kann es natürlich unbewusste Einflüsse geben, die einfach von meinem ursprünglichen Hintergrund herrühren. Und ebenfalls sollten dort auch Einflüsse vorhanden sein, die aus dem resultieren, was ich aus der westlichen Musik gelernt habe.

Du erwähntest gerade schon deine beiden musikalischen Standbeine – die Sachen, die du unter deinem eigenen Namen herausbringst, und dein zweites Projekt MimiCof. Kannst du noch etwas mehr über die wichtigsten Unterschiede zwischen diesen Projekten erzählen?

Die Aufnahmen, die ich unter meinem eigenen Namen herausbringe sind so etwas wie post-klassische Musik, wenn ich sie beschreiben sollte. Wenn ich den Namen MimiCof benutze, dann hat die Musik dominante Rhythmen und ein etwas dunkleres Gefühl. Nicht alles, aber das meiste von MimiCof ist experimentell, aber auch tanzbar.

Aber da beides von mir ist, kann man sicher hier und da Ähnlichkeiten finden, zum Beispiel in den Melodien. Tatsächlich ist meine neueste EP “Magnetic Visionaries”, die ich unter dem Namen midori hirano veröffentlicht habe, doch recht nah an MimiCof. So kann sich beides von Zeit zu Zeit überschneiden..

Wenn du ein Musikstück schreibst, weißt du dann meistens schon gleich, ob es midori hirano oder MimiCof sein wird?

Ich denke ja – wenn ich anfange, Beats zu machen, dann ist klar, dass es MimiCof sein wird. Für midori hirano mache ich Stücke, die auf Melodien und Harmonien aufbauen.

Was kannst du unseren Lesern über dein neuestes Album “RundSkipper” erzählen? Gab es bestimmte Ideen, die dich dazu inspirierten? Wie kam der Kontakt zu den Leuten zustande, die Remixe beisteuerten?

Gegen Ende letzten Jahres hatte ich Lust, Musik zu schreiben, die elektronischer war als alles zuvor und nahm ein paar Stücke für ein Demo auf. Zu der Zeit hatte ich noch keine bestimmte Idee zu einem Album, aber als mein Labelinhaber die Sachen gefunden hatte, die ich auf Soundcloud hochgeladen hatte, schrieb er mich an. So fing alles an, und seit dem haben wir oft diskutiert, welche Art von Tracks als nächstes kommen könnten, um das Album so gut wie möglich zu machen. Manche Künstler mögen das nicht und wollen alle Stücke nur auf der Basis eigener Ideen entwickeln, aber ich diskutiere sehr gerne mit dem Label, da es immer gut ist, Meinungen aus einem anderen Blickwinkel zu bekommen, und so war ich letztlich auch in der Lage, mich noch zu verbessern.

Was die Remixe an geht, ich hatte zu Anfang gar nicht daran gedacht, Remixe machen zu lassen, aber als das Label das vorgeschlagen hatte, hielt ich es für eine gute Idee. Er schlug mir die ersten drei Künstler vor (Serph, Go-qualia, and Fugenn & the white elephants) da er sie kannte, und ich wollte dann jemanden von meiner Seite dabei haben. Deshalb fragte ich Frank Bretschneider, ob er Lust hätte – er ist ein guter Freund von mir und ich bin auch ein großer Fan von ihm, schon lange bevor ich ihn hier in Berlin traf (ich hatte bereits vor Jahren ein Konzert von ihm besucht, als er mit raster-noton in Japan auf Tour war). Ich bin sehr glücklich, dass er das für mich gamacht hat!

Als ich in Google nach “RundSkipper” gesucht hatte, führten alle Ergebnisse zu dir, deshalb denke ich mal, dass das Wort eine Eigenkreation ist. Bezieht es sich auf etwas, oder verwendest du es nur wegen des Klangs?

Wie du schon vermutet hattest, ist “RundSkipper” ein von mir selbst erfundenes Wort. Und es sollte eine Person bezeichnen, die um die Erde herum springt. Ich nahm “Rund”, weil es im Deutschen die Form der Erde bezeichnet und kombinierte es mit “Skipper”, weil ich fand, dass sich das gut anhörte.

Ich nahem das Wort auch, weil alle, die an dem Album beteiligt sind, an verschiedenen Orten der Welt leben – ich in Berlin, Noah (von keepadding, der das Atwork machte) in den USA, das Label und einige der Remixer in Tokyo, und die Herstellung in Taiwan. :)

Wenn ich mir das Album anhöre, habe ich immer den Eindruck, dass du ein starkes Faible für Details hast, und wie sie zusammen gehören. Würdest du zustimmen?

Ich denke ja – ich versuche immer, Details im Blick zu haben.

Du machst Filmmusik, und auf der anderen Seite gibt es auch schöne Videos zu deiner Musik. Außerdem hast du eine Leidenschaft für die Fotografie. Würdest du sagen, dass deine Sensibilität für visuelle Wahrnehmung sich auch in deiner Musik spiegelt?

Nicht immer, aber zum Teil.

Mein erstes Konzert von dir sah ich während der Angura Show im Berliner Staalplaat Store, einem Abend für experimentelle Kunst und Musik aus Japan. Nachdem die anderen Beiträge zum Teil sehr harsch und extrem waren, erschien dein Auftritt wie eine Oase der Ruhe und Kontemplation. Hat dir die Veranstaltung gefallen und findest du, dass sie als Rahmen für deinen Auftritt gut gepasst hat?

Was auch immer die anderen für eine Musik machen, ich versuche zu spielen und mich auf mein Spiel zu konzentrieren… und das ist alles, was ich auf einem Konzert tun kann. Und wenn die Leute im Publikum meine Aufführung mögen, bin ich froh, und das ist alles. Ich hatte den Abend im Staalplaat sehr genossen – im Keller zu spielen und guter Sound..

Du wirst bald für eine Tour nach Japan reisen. Erscheint dir das Auftreten dort sehr anders vergleichen mit Shows in Europa?

Es hängt immer sehr von der Situation in der jeweiligen Konzertlocation ab – nicht nur von dem Land, in dem ich auftrete. Aber ich denke, das europäische Publikum reagiert oft direkter auf das, was es hört oder sieht. Wenn die Leute es nicht mögen, dann quatschen sie weiter mit ihren Freunden. Die Leute in Japan dagegen versuchen generell, sehr leise zu sein und hören sich das sogar dann an, wenn sie es nicht mögen (oder sie gehen einfach raus).

Aber das kümmert mich nicht wirklich – es gibt immer ein paar Hörer, die mir sagen wollen, dass sie meine Musik mögen, an ganz unterschiedlichen Orten sowohl in Europa als auch in Japan. Und ich weiß das zu schätzen.

Die meiste Musik, die ich von dir kenne ist ohne Vocals. Was für Ausnahmen gibt es da, und könntest du dir vorstellen, das weiter auszubauen?

Es gibt ein paar Vocals von mir auf meinen älteren Alben “LushRush” und “klo:yuri”, man kann sich die Sachen zum Beispiel hier anhören: http://www.youtube.com/watch?v=iG8C4nqz814

In einem früheren Interview erwähntest du einmal Yukio Mishima und Haruki Murakami als zwei Prosaschreiber, die du besonders magst. Die Romane der beiden sind ja recht verschieden. Was fasziniert dich an ihren Büchern?

Ich bin in letzter zeit immer weniger an Mishima interessiert.. vielleicht mochte ich früher die Dunkelheit in seinen Texten, aber irgendwie wurde mir das in der letzten Zeit auch zu schwer, so etwas zu lesen :)

Was Murakami angeht, ich hasse seine Romane, aber auf der anderen Seite liebe ich sie auch – ganz abhängig von den Szenen, die er beschreibt. Und ich denke, es kommt nicht so oft vor, einen Schriftsteller zu finden, für dessen Texte du derart Hass und Liebe zugleich empfinden kannst. Das hat mich ziemlich beeindruckt.

Hast du bereits Pläne für neue Aufnahmen?

Im Moment habe ich keine Pläme, neue Aufnahmen von mir herauszubringen – aber eine Compilation namens  “Ryuichi Sakamoto Tribute”, zu der ich einen Song beigesteuert habe (ein Cover aus Ryuichi Sakamotos Frühwerk) wird wahrscheinlich Ende des Jahres heraus kommen.

Und ich habe vor, im nächsten Jahr neue Alben von MimiCof und midori hirano aufzunehmen.

Danke für das interview und alles Gute weiterhin.

Ich hab zu danken für das Interview!

(M.G. & U.S.)

Konzertfoto: Stuart Lee

midorihirano.com