MIGHTY SPHINCTER: Rare Unearthed Videos

Gothic hatte schon von Anbeginn immer etwas Theatralisches und auf die Vergangenheit Gerichtetes: Man denke etwa an die Auftritte von Bauhaus, die durch die Beleuchtung an expressionistisches Kino erinnerten – nicht zufällig war die erste Veröffentlichung der Band eine (augenzwinkernde) Hommage an Bela Lugosi. Nik Fiend wirkte dank Schminke ganz so, als habe George A. Romero Mephisto auf Leinwand bannen wollen, die Nebelexzesse der Sisters of Mercy sind legendär und die Virgin Prunes, die natürlich nie in das enge (Genre-)Korsett passten, waren vielleicht die theatralischste all der Bands der frühen 80er. Später konnte man dann den Mehlspuren folgen, um zu einem Auftritt der Fields of the Nephilim zu gelangen, deren Wüsten-Cowboy-Kostümierung dieses weiße Pulver den richtigen staubigen Look geben sollte. Und natürlich lichteten sich die ursprünglichen Christian Death auf der Rückseite ihres Albums, das 1982 erschien und das paradigmatisch für das stand, was in den USA Death Rock genannt wurde, so ab, als seien sie einer von Roger Cormans Poe-Verfilmungen entsprungen. Dabei wurzelten eine ganze Reihe dieser Bands (musikalisch wie personell) im Punk und deswegen war es auch kein Zufall, dass der NME dieses sich neu konstituierende Genre ursprünglich als „Positive Punk“ apostrophierte.

Mighty Sphincters Inszenierung und Kostümierung erinnert an Rozz Willimas und Co, aber sicher spielte bei ihnen auch das hinein, was sich im Horrorpunk der Misfits oder später Samhain zeigte. Dabei muss man bei den Amerikanern zwischen den frühen Aufnahmen mit Sänger Ron Reckless und denen mit Doug Clark am Mikro unterscheiden. Die Stimme des ersteren war ganz klar am Punk geschult (bezeichnenderweise spielten Mighty Sphincter über die Jahre mit Bands wie GBH, Social Distortion, den schon erwähnten Samhain, Dead Kennedys, aber auch Hüsker Dü und natürlich 45 Grave). Die Texte und die Auftritte des adäquat genannten Reckless hatten eine psychopathisch-dysfunktionale Qualität, was sich auf der DVD bei den drei Aufnahmen aus dem Jahre 1984 und dem Video zu „Electric Hosebag“ zeigt. Auf „Waltz in Hell“ singt er: „Backed up full of acid, cigarettes in bed/You pick your blisters and the sore’s well fed“ und wenn man sich diese Aufnahmen anschaut, auf denen Reckless auf der Bühne eine Puppe zerlegt, dann glaubt man Greg Hymes sofort, der in den Linernotes der Compliation „Ghost Walking/New Manson Family“ schrieb: „Our live shows never had a song list. We would huddle around the drums and decide what to do next. We would go wherever the acid took us.“ Vielleicht waren diese frühen Auftritte in ihrer Zurschaustellung des Pathologischen näher an G.G. Allin als an einer Band wie z.B. den Banshees.

Die in wenigen Tagen (in beiderlei Hinsicht zu verstehenden) abgedrehten Videos (und der Auftritt zu Halloween im Jahre 1986) mit Sänger Doug Clark sind musikalisch wie ästhetisch anders geartet: Clarks Stimme klingt dunkler, tiefer, man könnte auch sagen: gothischer. Die Sätze zur Genese der Videos in den Linernotes machen deutlich, dass es der Band primär um Spaß ging. Es werden alle Ingredienzien dessen bemüht, was heute noch vermeintlich einsam-unverstandene Poeten in Gothic-Postillen beschwören: Vollmond, Fledermäuse und Blut (das – wie die Bilder im DVD-Booklet zeigen – durchaus aus der Ketchupflasche stammen darf). Die grellen Farben erinnern einerseits an die Ästhetik einiger Hammerfilme, verweisen aber auch auf Dario Argento. All das ist aber durch die Übersteigerung, durch Grimassieren, Gestik und Kulissen völlig ironisiert und gebrochen. Schaut man sich „Ghostwalking“ oder aber die primär die Band auf der Bühne zeigenden „Hollywood Goes to Hell“ und „Kingdom of Heaven“ (mit seiner sehr expliziten Kirchenkritik) an, dann hat man unweigerlich eine Mischung aus Patchouli und Kunstnebel in der Nase. Die Videos werden weniger vom Plot als von der Atmosphäre getragen und machen auch heute oder vielleicht gerade heute trotz durchwachsener Bildqualität eine Menge Spaß.

Greg Hymes schrieb einmal: „SPHINCTER was an attack on everything“. Und der Name (der schon an die Butthole Surfers – mit denen sie auch aufgetreten sind – erinnert) entstand bestimmt nicht nach der Lektüre von Batailles Sonnenanus, sondern wahrscheinlich eher nach dem Genuss von Alkohol und einer pflanzlichen Substanz, die auch in einer der zwei sehr kurzen Interviewpassagen eine Rolle spielt.

Warum überzeugen Mighty Sphincer mehr als all die kostümierten Langweiler, die dem Besucher des WGT die Schamesröte ins Gesicht treiben? Neben der sympathischen, augenzwinkernden Inszenierung ist das ganz sicher die Musik der Band, die fast durchgängig aufregend, partiell rabiat, wenig steril und trotz der Theatralik authentisch klingt. In einer Zeit, in der dunkle Musik durch verschiedene aus anderen Szenen kommenden Bands -die oftmals interessantere Musik machen als all die Sisters-Klone und (wenig verkappten) Schlagersänger- wieder akzeptabel wird, ist es nicht schlecht, sich diese Videos einmal (oder öfter) anzuschauen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie aufregend Gothic einmal sein konnte.

(M.G.)

Label: Cathedral Music