Schon in den 90ern widmete die Zeitschrift Testcard dem Phänomen “Retro” eine ganze Ausgabe. Mittlerweile jedoch, in einer Zeit, in der man sich Popkultur ohne Rückgriffe auf Vergangenes kaum noch vorzustellen traut, erscheinen einem die damaligen Entwicklungen fast wie ein zaghafter Vorgeschmack auf einen Mechanismus, der heute schwerer zu bewerten ist als je zuvor – schwierig vor allem im Hinblick auf die Frage, ob man das Ganze nun als Resignationsphänomen marke „Es gibt nichts mehr zu erfinden“ betrachtet, oder ob man doch eher die Möglichkeit fokussiert, einer einst unterbrochenen Entwicklungslinie neuen Auftrieb zu verschaffen.
Entscheidet man sich für die pessimistischere Interpretation, so muss man zumindest einräumen, dass vielen heutigen Hörern so manche ältere Musik ohne Retrofirlefanz für immer unbekannt geblieben wäre, und die andere Deutung muss nicht immer so floskelhaft sein, wie sie klingt. Man denke beispielsweise an das im „Pulp Fiction“-Hype wieder aufgekochte Sufrock-Genre – eine Musik, die in den späten 50ern schnell konsumierbare und kein bisschen exotische Partymusik war, sanguinisch cool und doch gespielt und gefeiert von Bürgerkindern, die nach einer kurzen Teenage-Rebellion bereitwillig in ein Leben an der Supermarktkasse einstimmten. Wer heute eine solche Musik goutiert, mag nicht weniger bürgerlich sein, aber der Background ist nicht selten studentisch und was man so “alternativ” nennt, dem Klischee nach macht man vielleicht sogar was mit Kultur oder Medien und hängt auch mit über dreißig noch in hippen Bars rum. Natürlich bringt das eine ganz andere Rezeption mit sich als damals in der Referenzära üblich. Oftmals, allerdings nicht zwangsläufig, wirkt sich das auch auf die Versuche aus, solche Musikstile durch Eigenkompositionen zu beleben. Neben Psychedelia, Postpunk und Folk aller Art gilt auch die einst so futuristisch bewertete elektronische Musik als ausgesprochen retrofähig, und die Ergebnisse rangieren von Nostalgie bis hin zu den wildesten Neukombinationen, wie sie nur im Hipster Age denkbar sind. Ganz besonders profitiert davon diejenige Elektronik, die man (wie so viele andere Musik auch) nach dem Attribut des Minimalen benennt.
Das niederländische Enfant Terrible-Label (u.a. Heimat von Agent Side Grinder) zeigt auf dem vorliegenden Sampler, was in der klanglich reduzierten Synthiesizer-Musik Schwedens derzeit im Gange ist und entschied sich für drei Projekte, die personell wohl eng miteinander verbandelt sind und hier jeweils zwei Stücke beigetragen haben. Den Auftakt übernimmt das Projekt Kord, dessen simpel melodisches „I, Sexuality“ ein echter Ohrwurm zum auf dem Schreibtischsessel herumhüpfen ist, und vielleicht auch so etwas wie ein Genre-Musterstück: so trocken wie Kraftwerk, aber kaum so eigen und originell. So kurzweilig wie frühe Depeche Mode, aber kaum so sehr am Songwriting interessiert und überhaupt sowieso viel mehr Jungsmusik. „Machinery“ reimt ich auf „Reality“, und man denkt unweigerlich an Technik, an Latenzperiode und an gute alte Nerdklamotten, die noch nicht hip waren, sondern die Mama noch für einen ausgesucht hat. Die Frage, wo hier nun das Innovative, Neu-Erfundene, originell Zusammengefügte versteckt ist, könnte verlegenes Kinnkratzen hervorrufen – fast möchte man sagen, der markanteste Bruch in der Tradition der frühen Achtziger liegt in der Tatsache, dass er nicht existiert.
“Music Is Art, Not Fashion” von Monster Apparat ist härter, treibender, angestrengter, basslastiger, trotz der verträumt-melodischen Synthielinie. Der Gesang ist leicht verfremdet, der Beat will dem Hörer ins Bein und an die Nerven, fast fühlt man sich zum Pogo animiert. Es gibt sogar eine Message, selbstredend so simpel, dass der Songtitel genügen würde: Vielleicht ist Musik ja sowieso beides, Kunst und Mode zugleich, aber dass ausgerechnet ein derart musealer Retrosong darüber reflektiert, nenne ich mal mutig. Oder doch wieder nur Ironie – was will man machen… “Klyftan Stor” von der Band mit dem etwas beknackten Namen Adolf Filter bietet die entspanntesten Momente der Compilation, man könnte sich dazu glatt einen Dubmix vorstellen. “River Of Chebar” vom gleichen Projekt ist ordentlich creepy und holt unter monotonem Gestampfe Jack Arnold-Trash in die imaginäre Eighties-Disko. Mit „Swedish Entry“ legt Monster Apparat rhythmisch noch mal um einiges nach, bis Kord die Sammlung mit gefälliger SciFi-Attitüde zum Abschluss bringt.
„Svensk Bonnasynth“ präsentiert Retromusik, die derart desinteressiert an neuen Wegen ist, dass es allein deshalb schon fast wieder Spaß macht. „Vor rund dreißig Jahren haben ein paar fitte Leute eine äußerst schmissige Musik gespielt, von der schon damals nur ein paar Highlights bekannt waren. Und heute? Kennen das erst recht nur ein paar Nerds, und mehr wollen wir ohnehin nicht sein“ – so könnte das Credo hinter der ganzen Sache lauten. Das verdient Respekt und hat seinen Reiz. Tipp für alle, die statt PC „Computer“ sagen.
Label: Enfant Terrible