Im Zuge der vielen (mal mehr, mal weniger gelungenen) Wiederbelebungsversuche des Folk erschien eine beachtliche Reihe an Stilmischungen auf der Bildfläche, und die Überblendung englischer und angloamerikanischer Traditionen wurde um einige interessante Facetten bereichert. Je nach Ausrichtung lassen sich solche Hybride auch kaum vermeiden, wenn man bedenkt, wie eng beide Linien miteinander verknüpft sind. Dennoch bringt die junge Engländerin Liz Green, die in der britischen Musikpresse derzeit unzählige Lobeshymnen erfährt, eine markante neue Nuance ins Spiel, denn die Bandbreite ihrer Songs geht weit über den Einbezug von Blues und Apallachian Folk hinaus.
Wie wenige populäre Folksänger dieser Tage scheint sie ein starkes Interesse an der Musik des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu haben, an den synkopisch aufgebauten Ragtime-Schlagern aus Louisiana und Missouri, aus denen vor ungefähr hundert Jahren dann der Jazz entstehen sollte. Was bei vielen anderen sicher in nostalgischen Kitsch für die nächste Oldtimershow ausgeartet wäre, erweist sich bei Liz Green zum Glück als derart unaufdringlich und dezent, dass einem die Exotik ihrer Songs schon nach kurzer Zeit vertraut und selbstverständlich erscheinen mag. Als vielleicht wichtigster Garant dafür muss das Zusammenspiel aus raumgreifender Produktion und minimaler Instrumentierung genannt werden, das sich von der ersten bis zur letzten Minute durch das Debütalbum zieht. Green selbst begleitet sich je nach Song an der akustischen Gitarre oder am Klavier, doch eine vierköpfige Band ergänzt das Grundgerüst an ausgewählten Stellen durch punktuellen Bläsereinsatz, coolen Slap-Bass und minimale Perkussion – eine passende Klanggestaltung, denn der im besten Sinne „säuerliche“ Alt-Gesang Greens hätte sich kaum mit einem Orchester vertragen, wie man es auf „Ys“ von Joanna Newsom zu hören bekam, mit der die Sängerin gelegentlich (und meines Erachtens etwas willkürlich) vergleichen wird. Ihr Gesang lässt ohnehin viel eher an Nina Simone und Karen Dalton denken, aber auch an zeitgenössische Sängerinnen wie Sharron Kraus, die mit Banjo und ähnlicher Stimmlage auf ihre Art amerikanische Spielweisen mit einer englischen Tradition verknüpft. Man könnte „O, Devotion!“ nun als den Endpunkt von Greens Karriereauftakt begreifen, denn das Album schließt an eine Reihe von Singles und ein ausgiebiges Tourleben an, bei dem sie sich die Bühnen mit Musikern wie Mary Hampton und The Great Park teilte.
Fast alle Stücke des Albums sind seit längerem Teil ihres Live-Repertoires, auch die A-Seiten ihrer Singles sind enthalten – klanglich leicht überarbeitet, und so auch für die Vinyl-Besitzer interessant. Erfreulich, dass ein vier Jahre alter Song wie das stimmungsvoll-tanzbare „Bad Medicine“ zwar etwas weniger verrauscht klingt, aber keinesfalls einer taktischen Glättung unterzogen wurde. Das hätte zu dem gewollt holprigen Finger Picking auch ebenso wenig gepasst wie zu dem derben Text über eine Medizin, die den Körper zerfallen lässt – ein Vorgang, den Green eindrucksvoll zu schildern weiß. Fokussiert man den amerikanischen Aspekt, so könnte die heraufbeschworene Szenerie einem Roman von Faulkner oder O’Connor entsprungen sein – ein Szenario, das zeigt, dass auch die Welt jenseits der großen Gatsbys und ihrer glamourösen Bälle beschwingt war und ihre ganz eigene Tragikomik hatte. Auch das urige „Midnight Blues“ erschien schon vor Jahren auf einer 7”, die auch ein Cover des The Great Park-Songs „I Do Wrong“ enthielt. Der Song könnte irgendwann in den Dreißigern oder Vierzigern am Mississippi entstanden sein, und wie in „Bad Medicine“ gibt es auch in diesem merkwürdigen Liebeslied eine Überblendung von alltäglichen Erlebnissen und abergläubischer Folklore, die in Wortwahl und Darbietung fast en passant umgesetzt wird. Manchmal wirkt die schnoddrige Beiläufigkeit beinahe abweisend, aber man bekommt schnell das nötige Gespür für den trockenen Humor der Songs. Kurze Ausflüge in Dixiejazz sorgen immer wieder mit hintergründigem Bläsergegrummel für Heiterkeit, wirken aber nie wie eine Retromasche im Interesse des schnellen Effekts.
Ein ganz eigenes Spannungsverhältnis aus Trockenheit und gefühlvoller Emphase gehört zu den Hauptmerkmalen von „O, Devotion!“, wenngleich die Balance immer mal in eine der beiden Richtungen zu kippen scheint. Zum weniger beschwingten „Rag & Bone“ könnte man glatt schunkeln, wäre es nicht so spröde, beim „Displacement Song“ wird der betuliche Walzertakt mit humorigem Tubaeinsatz kontrastiert – was vielen, denen solche Musik neu ist, als Ironie erscheinen mag, und vielleicht spielt die Künstlerin ja gerade auch mit solchen einkalkulierbaren Reaktionen. Ausflüge in den Bereich des Chanson („French Singer“, das Antony Hegarty covern sollte) oder in hispansiche Musik („Luis“) geben der Melancholie etwas mehr Raum, „Hey Joe“ mit seinem hintergründigen Beckenrauschen ist vielleicht Greens nachdenklichstes Stück, aber dank des schlicht-herben Gesangs weit entfernt von dem, was man Retroschmachtfetzen nennen könnte.
Dass von unzähligen jungen Folkmusikern der letzten Jahre nur ein kleiner Teil die Popwelt erobern konnte, versteht sich. Doch selbst im Hinblick auf größere Publikumstauglichkeit machten nicht immer die Besten Karriere, und so manche originelle Musik blieb weit unter der Oberfläche dessen verborgen, was die Musikindustrie gemeinhin als Indie klassifiziert. Im Falle Liz Greens jedoch findet gerade eine originelle Stimme Gehör, die uns hoffentlich auch weiterhin mit Songs von derart spröder Kauzigkeit erfreuen wird.
Label: PIAS/Rough Trade