In den vergangenen Rezensionen zu Rozz Williams’ „Lost Recordings“ habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass die frühen SPK insbesondere ästhetisch-thematisch eine wichtige Rolle für ihn gespielt haben und dass Premature Ejaculation sich (durch Artwork, Tracktitel und Samples) immer wieder mit den Versehrungen des menschlichen Körpers (und Geistes) beschäftigt haben: Diesmal erinnert das das Cover zierende Bild einer Trepanation natürlich an das erste unter dem Namen System Planning Korporation veröffentlichte Album „Information Overload Unit“.
Das auf der Doppel-CD „Part 3“ enthaltene Material stammt von einer unbeschrifteten Kassette und ist wahrscheinlich etwa Mitte der 80er entstanden. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es kaum Pausen zwischen den einzelnen Tracks gab, findet sich pro CD nur ein langes Stück, das jeweils eine Seite der Kassette wiedergibt. Die erste CD beginnt mit einem Loop von Schweinegrunzen (vgl. „Pig Face Show & Tell“ vom „American Gothic“-Sampler, vgl. auch, was Coil als Sickness of Snakes auf „Nightmare Culture“ gemacht haben), der fast den Rhythmus vorgibt; es folgt etwas, das nach Wolfsheulen klingt, man hört ein kaum verständliches Sprachsample, Gesangsloops, eine längere Passage, in der es um „systolic heart murmur“ geht und die hier minutenlang fast völlig unbegleitet und unbearbeitet wiedergegeben wird (auf dem zweiten Track wird dieses Sample erneut verwendet, diesmal aber von einen Noiseloop untermalt). Das kranke Herz kann natürlich hier als Symbol dienen für die Versehrungen, die Williams immer wieder (um sich herum) wahrnahm. Danach folgen Klavierfragmente, heftiges Atmen (beim Sex?), Scheppern, verfremdete Stimmen, debiles Singen. Das zweite Stück enthält ab und an atonale Schockeffekte, Scheppern, Katzen- oder Kinderjammern, eine Frauenstimme, dann Beschimpfungen. Hier wird das Heim ein Ort des Schmerze(n)s – ein Premature Ejaculation-Track auf einer anderen Veröffentlichung heißt „Every Home A Jones Town“ [sic]: Das ist die Radikalisierung der berühmten und sprichwörtlich gewordenen Eröffnungszeilen aus Larkins „This Be The Verse“ – hier fucken dich Mutter und Vater nicht mehr nur ab, sondern sie schicken dich zur Schlachtbank – und wenn du nicht willst, gibt es Kool-Aid.
Williams’ Arbeistweise erinnert an den frühen Boyd Rice, aber dessen Stücke klingen verglichen mit Premature Ejaculation insgesamt weniger trist und trostlos (und konzentrierten sich oftmals auf nur einen Loop). Der Eindruck, der durch Artwork und Sounds entsteht, ist, als hinge man in einem „Menschenschlachthaus“ (W. Lamszus) am Fleischerhaken. Williams entfaltet ein Panoptikum der Verfehlungen – sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene. Ob Tier, ob Mensch, alles sind gequälte und quälende Kreaturen. Dabei hat man den Eindruck, dass die aneinandergereihten, sich überlagernden Loops für Williams sowohl Rohmaterial (einige der Klänge wurden auch auf anderen Veröffentlichungen verwendet) als auch (De-)Kompositionen im eigentlichen Sinne sind.
Man ist gewillt zu fragen, was Williams aus den Auflösungserscheinungen gemacht hätte, die durch Crystal Meth- oder Krokodil-(Ab)Usus verursacht werden. Vielleicht möchte man die Antwort nicht wissen, wobei man trotz allem nicht vergessen sollte, dass das Artwork auch immer voll schwarzen Humors und Zynismus war. Auf einem Flyer aus den 80ern, der das Motiv des aufgebohrten Schädels aufgreift, steht:„What are you doing about that hole in your head?“ Im Untertitel heißt es nur lapidar: „How society encourages it and what can be done to halt the trend!“ Und natürlich bleibt einem angesichts des Schwarzbuchs der Menschheitsgeschichte vielleicht auch tatsächlich nichts anders übrig als ein dem Würgen entrungenes Lachen.
(M.G.)
Label: Cathedral Music