Sabotage Dressed Up As Song: Ein Interview mit Guy Dale von Mute Swimmer

Es gibt eine Menge Musik und Kunst, die man nur schwer greifen kann, aber das besondere an den Arbeiten Guy Dales ist, dass man sie gar nicht unbedingt greifen muss. Die Musik, die der Engländer mit seinem Akustikprojekt Mute Swimmer spielt, entfaltet eine sehr unmittelbare Wirkung, scheint fast physisch im Raum greifbar zu sein und ist in ihrem wesentlichen Kern doch schwer zu begreifen. Auch wenn die berührende Melodik, der intime Gesang und der fast poppige Appeal seiner Songs auf den ersten Eindruck mit der abstrakten Reflexivität seiner Texte im Kontrast steht, hat man stets das Gefühl, dass Musik und Worte eine untrennbar zusammengewachsene Einheit bilden. Sein Droneprojekt Dala ist auch musikalisch abstraker und experimenteller und schlägt die Brücke zu den visuellen Abeiten des Künstlers – Bilder, Installationen und Filme, die primär mit subtilen Andeutungen arbeiten und gerade deshalb eine geheimnisvolle Intensität ausstrahlen. Sie sind Teil eines Gesamtwerks, bei dem Plurimedialität kein Schlagwort aus dem Elfenbeiturm der Theorien ist. Im folgenden Interview resümiert Guy Dale seinen bisherigen Werdegang und macht auf Neues gespannt..

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U: Soweit wir wissen kommst du ursprünglich aus Nordengland. In welcher Stadt oder Region bist du aufgewachsen?

Ich komme aus einer Kleinstadt in der Nähe von Stoke on Trent, das ist zwischen Manchester und Birmingham. Es ist in Wirklichkeit so etwas wie ein nationales Fegefeuer, weder Norden noch Süden in einem Land, dass vom Einteilen besessen ist. Ich bin mit neunzehn Jahren weggezogen, aber die Leute bemerken immer noch meinen Akzent.

U: Der Norden Englands hat eine große Rolle in der Geschichte der Popmusik gespielt, gerade von Städten wie Manchester, Sheffield oder Newcastle gingen viele neue Impulse aus. Wie sehr hat dieses kreative Flair in jungen Jahren geprägt, und welche Musik hast du früher gehört?

Ich bin in einem kleinen Marktflecken aufgewachsen – unser Plattenladen war das örtliche Woolworths. Die Bahnlinie hatten sie schon vor Jahren dicht gemacht, und der letzte Bus aus Stoke kam gegen 19 Uhr, von daher war es nicht gerade das Hacienda unserer Stadt (Für Spätgeborene außerhalb des UK: Das Hacienda war ein legendärer Club im Manchester der frühen 90er, der von New Order-Mitgliedern betrieben wurde, Anm. d. Red.). Als Junge versetzten mich Leonard Cohens “Live Songs” (1973) in Angst, allein wegen des Covers. Es war in der Plattensammlung meiner alten Herrschaften, und ich fragte mich, warum sie diese LP von einem Zuchthäusler hatten – ich dachte, es wäre in der Duschkabine im Knast aufgenommen worden – gekachelte Wäre, rasierter Kopf, Starren. Ich brauchte Jahre, bis ich mir das endliche mal anhören konnte, und als ich es tat war ich wie verzaubert. Ich erinnere mich an Kassetten, die ich aus der Stadtbücherei ausgeliehen hatte. Faust IV, “Greed”/”Holy Money” von den Swans, “Tusk” von Fleetwood Mac, Tom Waits’ “Bone Machine”, Brian Enos “Music for Films” waren alle seit langem fällig! Ich mochte außerdem viel, das auf 4AD heraus kam, besonders The Pixies. Mit The Smiths kam ich erst spät in Berührung. Natürlich kommst du mit diesen ganzen Szenen als Jugendlicher in Berührung, aber ich hatte mich nie auf diese Art mit Musik indentifiziert. Ich vermute, ich war nicht gerade, was man einen coolen Teenager nennt.

U: Warst du vor Mute Swimmer in anderen Gruppen, und wie kam es zur Gründung des Projektes?

Ich begann mit abstrakten Vierspur-Tapesachen zu experimentieren, als ich auf der Kunsthochschule war. Damals schlug ich die Gitarre eher, statt sie zu spielen. Daraus entstand das Dala-Projekt, das mittlerweile meist ein Trio ist, zusammen mit meinen Freunden Brunstein und Dave Parker. Irgendwann 2005 brachte ich selbst “Treehouse” heraus (unter dem Namen G. Dale). Ein paar Musiker aus Brighton besuchten Shows von mir, und wir fingen an, zusammen zu spielen. Die Band nannte sich Funés (einer Kurzgeschichte von Jorge Luis Borges entlehnt, in der es um einen Jungen geht, der nichts vergessen kann, das er jemals gesehen hat). Wir trennten uns gerade, als wir anfingen gut zu sein. Ich legte mir den Namen Mute Swimmer zu, bevor ich nach Südamerika ging, aber ich denke, ich kam zurück mit deinem besseren Sinn dafür, was Mute Swimmer war, oder was es sein sollte.

U: Wie lange warst du in Südamerika, und hast du dort viel gespielt bzw. Kunst gemacht?

Ich war ungefähr acht oder neun Monate in Südamerika. Es war etwas, das ich schon sehr lange machen wollte ohne zu wissen warum. Ich kaufte mir eine billige Nylongitarre und zog damit durch die Gegend, aber ich bin nicht aus diesem Grund dahin. Ich machte sehr wenig dort, ich hatte zu viel in mich aufzunehmen. Ich lernte etwas Spanisch in Buenos Aires und machte mich dann auf nach Kolumbien. Es war gut.

U: Viele bezeichnen dich als Folksänger, was zu einigen deiner Songs sicher passt, aber insgesamt auch ein bisschen oberflächlich ist. Wie denkst du generell über solche Kategorien, und wie würdest du deine Musik jemandem beschreiben, der sie noch nie gehört hat?

Ja, ich habe mich immer sehr schwer getan, anderen zu beschreiben, was ich mache. Als ich betrunken war, sagte ich mal zu jemandem, es sei “Sabotage als Songs herausgeputzt”. Mit dem Etikett “Folk” macht man es sich immer einfach, aber Künstler hassen das meistens, und ich bin da keine Ausnahme. Ich denke, eine Kategorie ist nur sinnvoll, wenn du etwas außerhalb seiner eigenen Begriffe definieren willst – auf die Art siehst du deine eigene Arbeit sofort ganz anders, bist mehr auf das Allgemeine als auf das Spezielle fokussiert, siehst es aus dem Blickwinkel der Rezeption und nicht nur aus dem der Produktion. Zugleich wird dir, wenn du etwas promotest, klar, dass die Leute einen einfachen Bezugspunkt/Zugang wollen – und wenn sie so über “Art Folk” oder was auch immer zu der Musik kommen, ist das vollkommen ok, denn du willst ja schließlich, dass die Leute deine Musik hören -  aber danach wird das Etikett praktisch wieder obsolet, und sie können sich ihren eigenen Reim darauf machen, was es ist.

U: Deine poetischen Lyrics sind so wichtig wie die Musik, und es gibt oft Momente, in denen sie anscheinend ganz im Vordergrund stehen. Fängst du immer mit Worten an, wenn du einen Song schreibst?

Wenn du mit Worten und Musik arbeitest sollte es schon eine Art balance geben, aber ich denke, dass viele Songwriter das auch zu wörtlich nehmen. Balance kann durch Kontrast erreicht werden, durch Unterdrücken oder Hervorheben des einen oder des anderen an verschiedenen Stellen eines Songs (oder Albums). Ich würde auf den späten Scott Walker oder auf Talk Talk verweisen, denen diese Art von Balance meisterhaft gelungen ist. Manchmal sin die Melodien mehr angedeutet als wirklich gegeben – ein bisschen wie die Gewalt in einem Hitchcock-Film. Und weißt du, manchmal lasse ich beides weg, ich denke dass die Stille ein stark unterschätzter Teil des Vorgangs ist. Die Musik kommt meistens zuerst, und die Worte folgen, l a n g s a m. Gelegentlich kommt mir ein Song regelrecht vollständig in den Sinn und ich muss nachhause rennen, ein Intrument in die Hand nehmen um ihn zu übersetzen. Aber das ist eine sehr seltene Gunst.

U: Ich frage mich, wie ambivalent du der Sprache generell gegenüber stehst, wie sehr du sie als etwas betrachtest, das Wiederstand bietet und eine Art Opposition heraufbeschwört, die den krativen Prozess einleitet. Ich fand, dass etwas von diesem Gefühl in deiner letzten 7” zu spüren war…

Das ist eine interessante Frage, aber ich denke, das Resultat spricht da besser für sich selbst, als ich es könnte. Du kannst auf jeden Fall sagen, dass ich meine Songs mit einem ausgewogenen Verhältnis aus Respekt vor und Misstrauen gegenüber der Sprache schreibe. Und wenn du singst, kannst du natürlich die inhärente Bedeutung von Worten durch Klang und Melodie modifizieren. “I Went to Write” von der “Orientation”-EP wäre ein Beispiel für das Spiel damit. In den Songs auf der 7“ geht es ideomatisch auch sehr um diese Herangehensweise. Ich bin sehr sparsam geworden mit dem Schreiben von Texten. Es ist zutiefst ernst gemeint und zugleich komplett absurd. Für mich ist das ein guter Ausgangspunkt zum Schreiben. 

U: Eines meiner Lieblingsstücke von dir ist „Different Name“, das mit der Idee eines Identitätswechsels spielt. In dem Song zitierst du aus einem alten Jazzklassiker über die Freuden einer symbiotischen Beziehung. Würdest du sagen, dass dieser alte Song gar kein so fröhlicher ist, auch wenn er erst einmal so klingt?

Anscheinend haben einige Leute eine besondere Vorliebe für dieses Lied entwickelt, und das ist sehr nett. Es versteht sich von selbst, dass du “Different Name” auf ganz verschiedene Art lesen kannst, und vielleicht liegt darin auch die besondere Anziehungskraft, die ich dann auch nicht versauen will. Was das Cole Porter-Zitat betrifft, cool dass es dir aufgefallen ist. Ich mag besonders Franks Version.

U: Du bist ebenfalls Bildender Künstler. Da auch Mute Swimmer eine starke “Multimedia”-Seite hat würde ich gerne wissen, ob es jemals für dich zur Diskussion stand, sich für eine der beiden Kunstformen zu entscheiden?

Ich sehe immer mehr davon ab, das was ich mit Sounds und Songs mache von dem zu trennen, was ich ausstelle. Früher ja – da gab es eine Art Konflikt – doch je mehr die Songs sich den Interessen meiner künstlerischen Praxis annäherten, desto interessanter und überzeugender schienen sie zu werden und desto weniger begannen sie wie andere Songs zu klingen.

K: Nun sind wir an einem interessanten Punkt angekommen. Guy, du hast in London Kunst studiert. Ich frage mich, ob du uns ein bisschen was über deine Kunstpraxis erzählen kannst. Was hat dich sozusagen auf den Weg der Kunst geführt?

Ich hatte Kunst noch in Stoke und Leicester studiert, aber später dann in London viel ausgestellt. Ich schätze, dass Kunst mir zuallererst erlaubte, ein paar meiner Konflikte während der Adoleszenz anzugehen. Es gibt dann einen Punkt, an dem dieses Selbstabsorptions/”Kunst als Therapie”-Ding sich in etwas anderes verwandelt oder in einer anderen Weise absorbiert wird, aber in meiner Teenagerzeit war Kunst für mich enorm wichtig. Und auch wenn es ein bisschen melodramatisch klingt denke ich, dass sie mir auf gewisse Weise das Leben gerettet hat. Bisweilen beschwöre ich diesen erhebenden Zustand von Ausgeschlossenheit und Angst herauf, den man in seiner Jugend empfindet, denn er ist so rein. Ich denke “Song Against Itself” ist teils Teenage-Krise, teils metatextueller Joke.

K: Bist du nach wie vor im Kunstbereich tätig? Wird es zum Beispiel eine Ausstellung geben in der näheren Zukunft?

Ich habe letztes Jahr in Madrid ausgestellt. Das Stück musste versendet werden, und so machte ich ein fotografisches Abbild eines Briefcouverts, frankiert und an den Kurator adressiert. Dieser Fakebrief kam tatsächlich an, und das war dann “das Exponat”. Also ja, ich bin nach wie vor aktiv, aber wie gesagt mache ich da ohnehin keine Unterscheidung.

K: Was ist dein neuestes Projekt, und woran arbeitest du im Moment?

Ich habe eine Handvoll neuer Songs, und von mir aus kann es losgehen. Im April gehe ich nach Dänemark um sie in einer Blockhütte in der Nähe von Kopenhagen aufzunehmen. Ich will es im Vorfeld nicht verhexen, aber ich bin wirklich begeistert. Ich denke, die Songs zählen zum besten, das ich je geschrieben habe, und ich freue mich darauf, sie in einem größeren Rahmen herauszubringen als bisher. Keine Ahnung, wie und durch wen sie herauskommen werden, warten wir es ab.

K: Gab es eine bestimmte Erfahrung, die dich vom Produzieren von Objekten zu einer eher “immateriellen”, performanceorientierten Herangehensweise geführt hat?

Ich denke nicht, dass es eine bstimmte Erfahrung gegeben hat, zumindest keine, die ich hier leicht erklären könnte, aber ich war lange an diesen Dingen interessiert, bevor ich mit Performance angefangen hatte. Viele Arbeiten haben ihren Ursprung in einem inneren Wiederspruch oder einer Krise – wenn du erkennst, dass was du machst letztlich unerheblich und unsinnig ist und du zugleich weißt, dass es das wichtigste und bedeutsamste ist, das du machen kannst. Ich weiß, dass ich ganz gewiss nicht der einzige bin, der so fühlt – es ist vielleicht nur ungewöhnlich, dies als Ausgangspunkt zu nehmen, um “Dinge” zu machen. K: Du zeigst auch Filme, wenn du deine Songs auf die Bühne bringst. Zeigst du eigene Werke, persönliches Material oder gefundene Aufnahmen?

Nichts von all dem. Wie viele der Songs zeigen die Bilder alles in einer Momentaufnahme – sie übertragen den Raum, das Publikum, mich selbst in einer leichten Verzögerung. Du schaust dir den Moment eines gerade vergangenen Momentes eines gerade vergangenen Momentes an… und so weiter in einer immer kleiner werdenden Bewegung zurück. In einer Presseerklärung würde es wahrscheinlich heißen, es sei wie wenn David Lynch einen buddhistischen Traum verfilmt

K: Welche Art von Bezug erkennst du zwischen deiner Entwicklung in der Kunst und deinen letzten Bühnenauftritten?

Nun, ich würde das in fast jeder Hinsicht als zusammenhängend betrachten. Ich denke nicht, dass du dich unbedingt ausschließlich als Maler, Fotograf, Songwriter, Soundartist etc. definieren musst. Aber du hast bestimmte Ideen, die dich selbst zu einem bestimmten Medium führen, und du nutzt es. Es ist wie wenn du verschiedene Beziehungen hast. Ich schätze, ich habe gerade eine intesive Affäre mit Songs. Vielleicht gibt es gar keine neuen Ideen, du öffnest nur bereits existierende, die ganz unterschiedlich auf merkwürdige Weise auf dich einwirken und hoffst, dass sie sich auf eine neue Art auf dein Publikum übertragen. Das meiste, das ich gemacht habe, in was für einem Medium auch immer, war das Resultat von zwei oder drei Ideen, die auf eine bestimmte Art auf mich einwirkten, die ich nach wie vor ungemein spannend und inspirierend finde.

K: Kannst du uns etwas über Werke/Künstler erzählen, die dich inspirieren? Und spiegelt sich das auch irgendwie in deiner Musik wieder? Ich denke da an Stephen Burch von The Great Park. Er hat einen Song für ein Gemälde geschrieben, das in einem Museum in den Niederlanden ausgestellt ist…

Ich bin von einer Menge Sachen inspiriert – Duchamp, Beuys, Rothko, Cage, Richter, Jorges Luis Borges (der Schriftsteller) sind Leute, auf die ich immer wieder zurück komme. Es gab eine Zeit, in der ich Magritte hasste, und dann liebte ich ihn wieder. Später entdeckte ich Crossover-Projekte mit Kunst und Sprache wie Red Krayola, Alvin Luciers “I am Sitting in a Room’” oder Martin Creeds Arbeiten, die auf Songs basieren. Auch wenn die Methoden und Resultate radikal verschieden sind habe ich dieses Gefühl eines gemeinsamen Territoriums. Die Sache im Groningen-Museum war ein perfektes Projekt für The Great Park. Ich wohnte damals gerade mit Stephen (und Fee Reega) in Berlin, als er dieses Stück aufgenommen hatte. Es ist eine fantastische Idee. Ich denke nicht, dass das bei mir zur Zeit funktionieren würde, einfach deshalb, weil ich eher daran interessiert bin, die erzählrische Funktion des Schreibens zu unterdrücken, statt sie auszubauen. Ich beabsichtige nicht, mit Songs auf Kunst zu reagieren, sondern selbst Kunst mit Songs zu machen, und das sind ziemlich verschiedene Dinge, denke ich.

U: Die Konzerte, die wir von dir besucht hatten, waren meistens Soloshows, aber du spielst auch oft mit anderen zusammen. Wer spielt und spielte alles eine Rolle bei Mute Swimmer?

Ja, ich liebe es, mit anderen Leuten aufzutreten. Das sind grundsätzlich nur Leute, die ich getroffen hatte und die Freunde wurden – oft sind sie bessere Musiker als ich – sie adaptieren oder ergründen intuitiv, was ich in einem Song suche. Ich hatte vor Jahren begonnen, mit Matt Kerry (The Freed Unit) zuzsammen zu arbeiten – einige unserer Instrumentalstücke sind auf dem ersten G. Dale-Album. Laurence (The Diamond Family Archive) und Stephen (The Great Park) waren so nett, dem ersten Mute Swimmer-Album ihre Zeit zu widmen. Nezih (Antakli) ist ein langjähriger und sehr wichtiger Freund von mir. Er hat fast alle Perkussion für die ersten Mute Swimmer-Sachen in seinem Zimmer in Philadelphia aufgenommen. Kay (Johnson) singt auf “Different Name”. Ich denke, ihre Harmonien sind ein wesentlicher Grund, dass so viele Leute immer wieder auf diesen alten Song zurück kommen. Ich fürchte, sie weiß gar nicht, wie talentiert sie eigentlich ist…Tom (Marsh – The Robot Heart/Diagrams) und ich hatten uns betrunken kurz befor ich mich nach Berlin abmachte und haben die Single (“Song Against Itself”/”Some Examples”) ganz schnell in einem Studio in Brighton fertig gemacht. Diese Single ist der Sound von zwei Leuten, die völlig intuitiv vorgegangen sind. Tom kommt vorbei und arbeitet mit mir, wenn immer er kann. Andere Freunde wie Brunstein und Preslav Literary School kamen vorbei und remixten die Single ebenfalls, was großartig war. Ich würde gern mehr in dieser Art machen.

K: Deine Bühnenshow ist voller introspectiver Momente und zugleich ein interessantes Konzept der Partizipation. In dem Song “No Time (Shut the Fuck Up)”, beispielsweise spielt das Publikum eine integrale Rolle, wenn die Leute aufgefordert werden, den Satz “why don’t you shut the fuck up?” vier Minuten lang zu wiederholen. Manchmal endet es so, dass die Leute den Satz schreien … Dieser Song scheint die Grenzen der Geduld und Ausdauer zugleich herauszufordern. Welche Rolle spielt das Publikum generell in deiner Arbeit?

Das Publikum ist wirklich wichtig bei dem was ich mache – ob es nun stimmlich partizipiert oder nicht – denn oftmals spreche ich sie persönlich und in der Gegenwartsform an – es gibt da eine ausdrückliche Beziehung, die das Wesen eines Auftritts bestimmt und in einem bestimmten Maß auch das Material selbst. “No Time (Shut the Fuck Up)” ist ein Witz, viele meiner Arbeiten sind ein Witz, aber das heißt keineswegs, dass es mir damit nicht ernst ist. Wiederholung, Geduld, Ausdauer –  ich liebe es, mit all dem zu spielen. Wiederholung kann je nach dem eine Masche, ein Mantra, ein Reizmittel oder ein Beruhigungsmittel sein. Ich laube, in einem Song wie “Same” sollte es all das zugleich sein! Um John Cage zu paraphrasieren – wenn du etwas langweilig findest, mach’s noch mal. “No Time (Shut the Fuck Up)” ist ein Witz, vieles was ich mache ist ein Witz, aber das heißt nicht, dass ich es nicht ernst nehmen würde.

K: Wo kam die Idee mit dieser Audience Participation eigentlich her, und was wolltest du damit rüberbringen?

Nun, eigentlich mag ich Audience Participation nicht einmal, aber in dem Fall fand ich es interessant. Ich denke, du könntest sagen, dass ich die Grenzen zwischen Publikum und Performer auslote, aber die Wahrheit ist, dass ich mir bloß das Loop-Pedal nicht leisten kann, um den Track allein auf die Beine zu bekommen. Viele deiner Beschränkungen können sich am Ende als Segen erweisen. “No Time (Shut the Fuck Up)”, entstand aus dem widersprüchlichen Impuls, über den ich eben sprach. Manchmal verliere ich mich wirklich, wenn ich diesen Song spiele, und ich suche danach, wenn ich spiele – eine Art Selbstvergessenheit, Gunst oder Hingabe – selbst wenn es abgeschwächt wird durch den Zweifel, den da Publikum für mich externalisiert.

K: Was sollte deinem Wunsch nach das Publikum nach einer Show mitnehmen?

Ich möchte nicht, dass die Leute irgendwas verstehen. Ich hab keine Botschaft oder ein erzieherisches Anliegen. Das würde nicht viel Spaß machen. Was die Zuschauer nach einer Show mit nachhause nehmen ist eine Mischung von ein paar Sachen, die ich kontrollieren kann und einer Menge Sachen, auf die ich keinen Einfluss habe. Du hoffst, dass du die Leute auf irgendeine Art erreichst, wenn auch nur für einen Augenblick, jenseits der nackten Physiognomie des Aufnehmens von Klang – emotional, intellektuell, spirituell, chemisch, gastronomisch – keine Ahnung, aber auf irgend eine Art, die über die Ohren allein hinaus geht.

U: Vor ein paar Jahren bist du nach Berlin gezogen und hast hier und anderswo in Mitteleuropa eine Menge Konzerte gegeben. Wie sehr prägen Orte, an denen du lebst das was du machst, und was war speziell Berlins Anteil an deinem Werk?

Ich bin mittlerweile seit achtzehn Monaten in Berlin – irgendwas hat da bei mir Klick gemacht. Abgesehen davon, dass es kulturell unglaublich reich ist, ist es wahrscheinlich der Raum. Oft muss ich mich selbst überlisten, um Songs zu schreiben. Ich finde keinen direkten Zugang, etwa am Pult mit der Gitarre oder so – ich muss mich mit irgendeiner profanen Tätigkeit ablenken, wie zum Beispiel gehen. Und so spaziere ich in Berlin herum, und im Gegensatz zu London kannst du deine Gedanken schweifen lassen. Und es ist so still. Oder zumindest ist es still, wenn du es so haben willst (und so laut wie du es dir wünschen kannst, wenn nicht). So ist Berlin für mich schon eine Offenbarung gewesen. Ich habe drei Songs mehr oder weniger gechrieben, während ich wie ein Irrer fünf Kilomenter Bürgersteig singend zurücklegte.

Das andere ist, dass Berlin nach wie vor ungemein preiswert ist, und dazu beigetragen hat, dass mein künstlerisches Werk wirklich mein Werk ist. Eine solche Situation ist undenkbar in Großbritannien, besonders momentan. Ich hoffe, es ändert sich nicht zu schnell.

K: Wie betrachtest du das Zusammenwirken deiner Musik mit unterschiedlichen Locations? Könntest du dir vorstellen, auch in einer Galerie aufzutreten?

Die Akustik des Raumes, der Klang der Bodenbretter, sogar die Gestaltung eines Auftrittsortes – all das ist mir sehr wichtig geworden. Wie du weißt ist die Liveshow eine sehr intensive Erfahrung, und bei meinen Unpluggedshows in Berlin ist mir klar geworden, wie viel das ausmacht, wenn ich mich mit meinem Körper noch mehr im Raum herum bewegen kann. Wenn du nicht an das Mikro unter dem Scheinwerfer gekettet bist – dann kannst du den Raum auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen bewohnen und dich dabei auf ihn beziehen. Das ist zwar alles keine Voraussetzung für meine Sachen, aber es ist schon irgendwie cool und ich hab definitiv viel dadurch gelernt. Ich hab schon in einigen Galerien gespielt. Das Tolle bei Mute Swimmer ist, dass ich mit all den Vorstellungen über Kunst und Musik spielen kann, indem ich mich auf verschiedene Räume einlasse. Der Russian Club in Dalston war mein letzter Gig in einer Galerie – es war ein toller Raum und ein cooler Abend.

U: Neben Mute Swimmer hast du noch das Soundart-Projekt Dala, was in seiner rauen und abstrakten Art ein bisschen der Kehrtseite deiner songorientierteren Sachen darstellt. Bist du auch mit diesem Projekt noch aktiv?

Es liegt auf Eis, aber es ist keineswegs tot. Es juckt mich sehr, mal wieder darauf zurück zu kommen und ich hab auch schon daran gedacht, einiges davon neu zu mastern und einmal richtig zu veröffentlichen. Das letzte offizielle Lebenszeichen war unser Support für Tim Hecker 2010, und im Anschluss hatten wir (also ich zusammen mit den gelegentlichen Dala-Mitstreitern Brunstein und David Parker) dann sogar neue Sachen aufgenommen. Vielleicht finde ich ja diesen Sommer etwas mehr Zeit dafür, aber momentan beansprucht Mute Swimmer einfach fast meine gesamte Zeit.

U: Es gibt da eine Reihe von wiederkehrenden Themen in deinen (visuellen und musikalischen) Arbeiten, vor allem im Bezug auf die Gegenwart und auf das Phänomen Zeit. Kannst du dazu etwas sagen?

Man könnte schon sagen, dass das ein ziemlich durchgehendes Motiv für mich war, eines, an dem ich sehr früh interessiert war und das in vielen meiner visuellen Arbeiten vorkommt. Irgendwann habe ich das auch in mein Songwriting einfließen lassen. Ich denke, in meinen Songs erforsche oder artikuliere ich in gewisser Weise Augenblicke, und das gibt ihnen die selbstreflexive Dimension, die man aus vielen meiner visuellen Arbeiten kennt. Es reizte mich, weil so etwas (außerhalb von Hip Hop und Rap) im Songwriting kaum vorkommt, aber ein Aspekt vieler Werke der Literatur und Bildenden Kunst oder auch des Films ist, die mich beeinflusst oder inspiriert haben – wo die Eigenart des Mediums auf eine spezifische Art berücksichtigt und mit einbezogen wird.

Die Gegenwart ist etwas, das man nie wirklich verstehen oder meistern kann, aber ich spüre in ihr eine tiefe Anmut. Es gibt dort etwas zutiefst Romantisches, das ebenso das Unmögliche und Frustrierende anerkennt, dass diese Suche in sich trägt. Viele assoziieren Momenthaftigkeit mit Improv, aber ich bin kein Freier Improvisationsmusiker, ich interessiere mich für manche der Ideen dahinter, aber ich befasse mich lieber damit innerhalb eines Songs.

K: Was sind deine Pläne für die nähere Zukunft? Wo könntest du dir vorstellen, dauerhaft zu leben?

Ich nenne Berlin mein Zuhause, denn so fühlt es sich an. Ich bin dieses Frühjahr lange auf Tour und mein Sinn für das Zuhause wird in einer solchen Zeit sehr wichtig. Also werde ich hier sein für die nächste Zeit, so oft ich es einrichten kann.

K: Zum Schluss würden wir gerne wissen, welches der merkwürdigste Ort war, an dem du jemals warst.

Ich spielte letztes Jahr ein einer Art Klassenzimmen in einem Münchner Bahnhof. Reihen grauer Tische und eine weiße Tafel. Ich dachte schon, ich wäre versehentlich für einen Vortrag gebucht worden. Die Promoter (Innen Aussen) kamen dann und brachten alles nach draußen -  brachten Vorhänge an, installierten Lampen, verwandelten den Ort sozusagen für ein paar Stunden in einen Bühnenraum und machten anschließend alles wieder rückgängig. Es war cool, alle Nase lang rollten Züge vorbei.

Letztes Jahr spielte ich auch einmal auf der Toilette in einem Badezimmer in Düsseldorf zusammen mit Haruko und Hynur Gudjohnsson.

K&U: Danke für das Interview und alles Gute!

Gerne. Danke für die guten Fragen.

(Katharina Worf, Uwe Schneider)

Werke: Dialogue for Objects in a Room 1 & 2, Carreor

Porträts: Eva Krehl, Justin Davies

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