Mr. Mallory aus Pennsylvania war der typische amerikanische Everyman, er hätte ebenso gut Robert Smith oder John Taylor heißen können, und auch mit einem komplizierteren Namen wäre sein solides Leben sicher nicht besonders spannend gewesen. Deshalb vermisst man auch die fehlenden Informationen darüber, ob er nun Sympath oder Unsympath, zufrieden oder grummelig war nicht sonderlich. Interessant wurde sein Leben erst in dem Moment, als ein Unfall in einem benachbarten Atomkraftwerk eine heftige Zäsur in sein tägliches Einerlei schlug. Mallory verlor seinen linken Arm und erhielt dafür sechs rechte Hände sowie einige übersinnliche Fähigkeiten, über die er sich gewiss ganz gut mit Superman hätte unterhalten können.
Man ahnt es, die fiktive Story, die sein geistiger Vater Flavio Rivabella in kryptischen Andeutungen auf dem Album „The Outstanding Story Of Mr. Mallory“ erzählt, ist eine Art Superhelden-Comic in Musikform, voller SciFi-Nostalgie und jungenhaftem Retro-Charme. Mit den schrillen Fieldrecordings, die mal laut und lärmend, mal zurückgenommen und psychedelisch daherkamen, hätte der Stoff nur schwerlich ein adäquatere Umsetzung finden können. Allerdings hat die Superheldenstory einen gewaltigen Haken, denn unser Held ist von Geburt an Linkshänder und konnte mit seinen sechs rechten Händen herzlich wenig anfangen, und so brachten ihm auch die restlichen Superkräfte mehr Scherereien als alles andere. Kurz gesagt: Die außergewöhnliche Geschichte Mallorys hätte auch Beckett oder Ionesco gefallen, und wie es kommen musste stirbt unser Antiheld einen Tod, der frei nach Salinger eher phony als tragisch ist. Eine erneute Mutation, und zwar zu einem Sinnbild sinnloser Fähigkeiten, wird posthum nachgereicht.
Es gibt die Floskel, dass jeder eine zweite Chance verdient hat, und so hat Mallory nun die Gelegenheit, seinem merkwürdigen Leben eine neue Signifikanz zu geben. Mutiert ist nämlich in der Zwischenzeit auch Flavios Projekt DBPIT (Der bekannte postindustrielle Trompeter), denn aus dem Soloprojekt ist vor einigen Jahren ein Duo namens DBPIT & XxeNa geworden, das nun – bestehend aus Flavio und seiner Partnerin Arianna – Soundart mit Action Painting verbindet. In bester Jam-Manier geben entweder die verzerrten Soundkollagen oder die smoothe Trompete den Ton an, auf den die Künstlerin mit spontanen Zeichnungen reagiert oder eben umgekehrt. Im Kontext des aktuellen Projektes wurde nun die Geschichte Mallorys neu aufgerollt in Form eines Sequel-Albums, dass dann gleich als äußerst chic gestaltete Metall-Box mit 3”-CD, DVD und Booklet erschienen ist. Mallory ist also von den Toten zurück, und fünfzig treue Fans dürfen die Reinkarnation nun in Ton und Bild genießen.
Dank der visuellen Umsetzung durch XxeNa wirkt Mallory noch cartoonhafter als in seinem ersten Leben, noch geschärfter wirkt aber auch sein Blick auf eine Welt, deren Absurdität ihm schon lange bewusst geworden ist. Recht linear inszeniert der erste Track seine Wiedergeburt, mit dem Klang verzerrter Schreie und durch die Luft geschleuderter Späne wirkt sie jedoch (trotz Ariannas entrückter Vocals) kaum organisch, und der Alienembryo, der kurz darauf von Metallperkussion begleitet durch den Raum schwebt, scheint den Eindruck von Transhumanismus zu bestätigen. Passend zur seltsamen Geschichte will sich auch die Musik nicht entscheiden, ob sie eher Ambient oder doch lieber Noise sein will, was dem Klangspektrum aber durchaus zugute kommt. Dass Mallory nicht von dieser Welt ist bekräftigen auch die eingeblendeten Titelseiten internationaler Zeitungen, die sich in Schlagzeilen über seine Wiederkunft überbieten: Die Welt, La Republica, El Pais, The Sun (die auch Crowley erwähnt). Flavios smoothe Trompete wirkt dabei stets als relaxter, aber auch abgeklärt-fatalistischer Kommentar.
„Ratrace“ ist ein gelungenes Stück audiovisueller Plakativität, es zeigt die Welt als das Chaos, das unser Protagonist erlebt, der die Realität nicht in gewohnheitsmäßiger Betriebsblindheit aufzufassen und als natürlich abzuhaken in der Lage ist. So kritisch das gemeint ist, ist es doch die altbekannte Teenage-Angst, die hier auf originelle, fast präpubertäre Art inszeniert wird. Verkehrschaos, Hororfilmszenen, stylische Heels, Frauencatchen auf der einen Seite, undefinierbare Maschienen- und Vokal-Sounds auf der anderen. „Life is no Videogame“ resümiert eine Stimme auf dem Off, natürlich ironisch, wobei auf der gängigen Spielkonsole in der Tat kein Raum für so viel Irritation ist, wie sie Flavio und Arianna hier in Szene setzen.
„Vampires“ und „There Is No Superhero“ sind die aussagefreudigsten Stücke des Albums, sie resümieren Mallorys Sicht fast überdeutlich. „They Suck You Dry And Let You Die“ klagt er allgegenwärtige Ausbeutung und Abzocke an und schaltet Großes, Chaotisches und Gewöhnliches parallel. Murnaus Nosferatu wirkt nicht befremdender als der Papst oder als ein Mädchen mit Hund, vorausgesetzt man sieht sie durch die Augen eines komplett Fremden. Kein Superman, auch kein Batman und kein Spiderman rettet diese Welt, die so hilflos ist wie ein mit wirren Plastiksounds malträtiertes Baby. In diesem Stadium erfährt Mallory endgültig die Trostlosigkeit einer Welt, die er nur mit bitterer Ironie kommentieren kann. Beispielsweise durch Tarotkarten, in denen der Mensch als Molotowcocktail, die Straße als Unfall, die Gesundheit als Zigarette und die Hölle als Flagge symbolisiert wird. Als Ausweg bleibt die Flucht in den eskapistischen Nichtort im Song „Escape to outer Space“, bei dem Flavios Sohn Pusio einen Gastauftritt als Keyboarder hat – ein außerirdisches Atlantis, in das Mallory wie einst E.T.A Hoffmans Held im „Goldenen Topf“ entrückt wird. Ein Happy End? Kunstvoll bearbeitete Planetenimpressionen lassen es so scheinen, doch gegengeschnittene Vernichtungsszenarien und eine Totenklage aus Flavios Trompete sprechen eine andere Sprache.
Eine Stärke des Albums besteht darin, dass Sounddesign, Bildwelt und die cartoonhafte Leichtigkeit der Zusammenführung derart liebevoll und unterhaltsam gestaltet sind, dass sie auch die Rezipienten ansprechen sollten, denen die Story etwas zu programmatisch erscheinen mag. Wer sich darauf einlassen will, wird mit einer originellen, absurden Sci Fi-Welt belohnt, die sich hören und sehen lassen kann. Bei einer Auflage von fünfzig Exemplaren sollte die Erstauflage jedoch nicht mehr lange zu haben sein. Nachfragen unter dbpit.xxena@gmail.com
Label: Misty Circle/Ozky e-Sound/GattoAlieno