Ganz gleich, ob es sich um die große Geschichte eines Landes oder um die vielen kleinen Geschichten einzelner Phänomene handelt – schon ihre offizielle Niederschrift durch akademische Chronisten ist von vielfachen Ungereimtheiten und sich abwechselnden Moden geprägt. Richtig heterogen wird es, wenn man all die inoffiziellen Geschichtsschreiber mit einbezieht, die frei von akademischen Konventionen ihre meist weniger rigide Version der Geschichte ins Spiel bringen. Eine wichtige Rolle neben dem Volksmund spielt dabei die Fiktion des Künstlers, allem voran in der Literatur, aber auch in Songs und nicht zuletzt in der Bildenden Kunst. Mit dem in Schottland geborenen Maler und Zeichner Andrew Gilbert hat die Geschichte des britischen Kolonialreichs seit rund zehn Jahren eine Heimsuchung erfahren, an der sie noch lange zu verdauen hat. In ätzenden Aquarellen verarbeitet er, getrieben von einem obsessiven Interesse, das ihn seit seiner Kindheit verfolgt, seine eigene Vision der britischen Kolonialkriege – ein lauter, ereignisreicher Kosmos voll reißerischer Schlachten und derber Ausschweifungen.
Verspottet werden vor allem die Kolonialherren und ihr Militär, auch wenn es nie zu einer simplen Gut-Böse-Zeichnung kommt. Gilbert neigt dazu, die Gemeinsamkeiten aller Gruppen aufzuzeigen, und letztlich geraten beide Seiten fast immer zur Karikatur, bei der durchaus auch einmal überkommene Klischees wie das von der Triebhaftigkeit „wilder“ Völker augenzwinkernd bedient werden. Dabei verwendet er Techniken, die an Comics ebenso erinnern wie an die Satiren von George Grosz oder den Primitivismus des jungen Picasso. Ob bei Schlachtszenen oder bei Sujets aus dem Alltag des Koloniallebens, stets wirken eine Arbeiten wie eine Parodie auf die salonfähige Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, deren kaschierte Formelhaftigkeit er schon im Stil bloßstellt. Simple Flächigkeit und slapstickartige Szenen geben dem Stoff eine Naivität, die stets zwischen Unschuld und makaberem Spott hin und her wechselt.
Du sagtest einmal, dass du schon als Kind ein starkes Interesse an der britischen Kolonialgeschichte und am Militär generell hattest. Wann hattest du angefangen, solche Sachen zu zeichnen und wie kamst du zu deiner satirisch-kritischen Sicht auf diese Dinge?
Militärgeschichte ist das älteste meiner Themen. Ich war sehr früh fasziniert von der Jacobite Rebellion 1745, und nachdem ich irgendwann den Film „ZULU“ gesehen hatte, interessierte ich mich auch für den Anglo-Zulu-Krieg von 1879. Als Kind zeichnete ich die Kämpfer als Früchte und Gemüse – zum Beispiel grüne Weintrauben, denen ich die Haut abgezogen hatte, als Briten und dunkle Weintrauben als Zulus. Ich weiß noch, dass ich den Memorial Service zur elften Stunde des elften Tages des elften Monats vollkommen absurd fand. Schulkinder standen in Militäruniformen um einen gigantischen Phallus herum. Ich schaute eine Menge Monty Python-Filme als Kind, bei denen die Britische Armee wunderbar parodiert wird. Ich zeichnete meistens auf dem Boden kniend in totaler Stille, so wie ich heute noch immer arbeite. Als ich zwölf war, überfielen sie erstmals den Irak, und ich wusste, dass das ein Verbrechen war, und mit der Zeit wurde Shaka Zulu ein Vorbild. Nina Simones Version von “Strange Fruit” hat mich stark geprägt, als ich noch sehr jung war – sie taucht immer noch in meinen Zeichnungen auf.
Ist es für dich immer noch ein bisschen wie Krieg spielen, wenn du diese historischen Szenen zeichnest und dein Alter Ego mit in die Handlung einbaust?
Wenn du erst einmal besessen bist von Soldaten in dicht gedrängten Reihen, dann bist du es dein Leben lang. Auf der anderen Seite ist es aber auch unmöglich, dir den Grad an Fantasie zu bewahren, der nötig ist, um einen Wohnzimmerteppich z.B. in ein Gettysburg zu verwandeln. Allerdings habe ich erst gestern Highlandkämpfer aus der Jacobite Rebellion gezeichnet, und obwohl ich sie seit meiner Kindheit nicht mehr gezeichnet hatte, war es das gleiche Gefühl. So etwas ist unmöglich zu beschreiben. Wenn ich in einen Supermarkt gehen muss, dann stelle ich mir immer vor, dass ich eine Infanterie in einen Kugelhagel führe, vor allem, wenn ich an einer Ampel warte, ist es immer, als warte ich darauf, den Befehl zum Vorrücken zu geben. Ich stelle mir gerne vor, wie mein Kopf von einem Geschoss weggeblasen wird. Bin ich erst einmal im Supermarkt angekommen, dann gehe ich die Regale entlang und preise die Produkteals würde ich meine Regimenter vor dem großen Angriff noch einmal inspizieren. Mein Alter Ego kam übrigens nie in meinen Miniaturschlachten vor, darin war meine Rolle die Gottes, ich schaute von oben durch die imaginären Wolken aus Kanonenrauch. In meinen Zeichnungen komme ich sehr wohl vor, meist als ein gelber Vogel, aber als Schöpfer dieser Landschaften und Herrscher über die Ereignisse ist meine Macht unbegrenzt.
Du sagtest einmal, dass deine Arbeiten von einem bestimmten Gefühl handeln, das dich beim Besuch europäischer Museen überkommt. Wie würdest du dieses Gefühl und deine Reaktion darauf beschreiben?
Ich denke, das bezog sich auf das Gefühl, dass mich immer in Militärmuseen beschleicht, aber auch in ethnografischen Museen. Die Exponate aus den Stammeskulturen und die Militärkostüme werden in der gleichen Weise präsentiert. Das hat natürlich mit der Umgebung zu tun, aber auch mit der ähnlichen Faszination, die von diesen Objekten ausgeht. In meinen Installationen versuche ich ständig, diese beiden Orte miteinander zu verbinden. Ich kann das kaum erklären warum, aber auch bestimmte Gemälde und Zeichnungen in Museen für westliche Kunst haben diese Wirkung auf mich. Die deutschen Expressionisten (Die Brücke) sind ein gutes Beispiel, ich werde beim anschauen ganz krank und kann nicht länger bleiben, ich muss einfach zeichnen. Die Kraft dieser Objekte ist ungemein stark, Picasso beschrieb ein solches Gefühl, nachdem er in Paris eine “primitive” Skulptur entdeckt hatte. Aber ich muss hervorheben, dass ich das alles auch gerne parodiere. Die deutschen Expressionisten, die, wie etwa Ernst Ludwig Kirchner, die Werte ihrer zeitgenössischen Gesellschaft und die Industrialisierung zurückwiesen, hatten eine extrem romantische Vorstellung vom Stammesleben und der Stammeskunst. Ich hatte 2008 eine große Installation angefertigt, draußen im Freien auf der Insel Rügen, bei der Emil Nolde und ich eine nackte afrikanische Lady in der Natur malten. Sowohl Nolde als auch ich wurden als lebensgroße Figuren dargestellt, die in britischen Militäruniformen der Kolonialzeit hinter ihren Staffeleien standen und malten. Ich baute jedoch auch noch Soldaten, die als Bodyguards fungierten, für den Fall, dass uns am Ende noch Wilde oder gefährliche Tiere angreifen sollten – die Erfahrung des Primitiven als sicheres und genießbares Erlebnis, ein Sonnenschirm beschützte uns, und wir bekamen beim Malen sogar kleine Erfrischungen serviert. Es war wie in den alten “Kolonial- oder Welt-Ausstellungen”, wo ganze Dörfer und Eingeborene für ein typisches Publikum des 19. Jahrhunderts vorgeführt wurden. Du musst bedenken, dass ich an diesem Thema arbeite, seit ich auf der Kunsthochschule bin, und das war mit siebzehn. Es ist also eine Art andauernder Obsession, und der Grad an Inspiration, der mich immer noch täglich antreibt – ich zeichne ja jeden Tag – kann nicht beschrieben werden in einer normalen, rationalen Sprache.
Gab es einmal eine bestimmte Erfahrung, die dich zu der Ansicht brachte, dass viele der gängigen Meinungen über die Kolonialzeit und die Kolonialkriege lückenhaft sind?
Wie gesagt arbeite ich konstant und nahezu ausschließlich an diesen Themen, und ich kann keinen besonderen Moment hervorheben, oder eine spezifische Erfahrung. Aber der Film „ZULU“ von 1964 ist ein gutes Beispiel. Dieser Film inspirierte viele führende Experten des Anglo-Zulu-Krieges, wie etwa Ian Knight, der einige exzellente Bücher zu dem Thema verfasst hatte. „ZULU“ unter der Regie von Cy Endfield ist ein klassischer britischer Kriegsfilm, von denen es eine Menge gibt, im Unterschied zu Deutschland aus offensichtlichen Gründen. So wird dieser Fim oft an Sonntagnachmittagen gezeigt oder an Weihnachten, wenn die britische Familie vor dem Fernseher zusammen kommt. Er erzählt die Geschichte der Verteidingung von Rorke’s Drift, wo hundert britiche Soldaten eine Armee von viertausend Zulukriegern besiegten. Wie im amerikanischen Equivalent „The Alamo“ wurde der größte Teil des Films um die Schlacht selbst herum gebaut, während man auf die Ankunft der furchtbaren Zuluarmee wartete. In Wirklichkeit erfolgte der Angriff auf Rorke’s Drift direkt nach der Schlacht von Isandlwana, die Zulu-Streitkräfte waren müde und undiszipliniert, es gab nämlich keine vier Tage des Wartens mit dramatischer Musik, wenn die Zuluarmee endlich auf dem Hügel auftaucht (übrigens ein herausragender Moment im Film).
Der Film erklärt nicht, weshalb die Zulu ihr Land gegen die britische Invasion verteidigen. Der Film endet mit einem Song über Ruhm, Tapferkeit und Respekt für den Feind, nicht mit verwundeten Zulu, denen man in den Kopf schoss oder die man mit dem Bajonett umbrachte. Ein britischer Soldat beschrieb den Schrecken, als er einen toten Zulu sah, dem man in die Stirn geschossen hatte. Als er seinen Körper umdrehte, war der ganze Hinterkopf weg. Im Film fallen die Zulu allerdings, ohne dass man überhaupt Blut sieht. Der Film endet mit einer Liste all der Männer, die das Viktoriakreuz (Anm.d.Red.: Die Victoria Cross Medal ist die höchste britische Tapferkeitsauszeichnung) verliehen bekamen, was nie mehr in der großen Zahl an einem einzigen Tag passierte. Auch hier übrigens wieder exzellente dramatische Musik.
Allerdings, durch die Figur des von Michael Caine dargestellten Lt.Bromhead wurde die Hierarchie innerhalb der britischen Armee, ihre Arroganz und ihr Hang, nach Klassen zu unterscheiden statt nach Können, auch stark kritisiert. An einer Stelle fragt ein einfacher Soldat, warum er eigentlich Zulu töten soll, er sah nie einen in seinem Dorf in Wales, weshalb sollten sie also seine Feinde sein. Der letzte Angriff der Zulu, die Reihe um Reihe von britischen Schnellfeuergewehren niedergemäht wurden – ebenfalls wieder eine unbeschreibliche Szene – endet in regelrechten Stapeln getöteter oder verwundeter Krieger vor der Linie der Briten, und letztendlich ist Lt Bromhead von der ganzen Gewalt nur noch abgestoßen (am Anfang des Films verweist er noch auf die große Militärtradition seiner männlichen Vorfahren). Übrigens wurde der Film im Südafrika in Zeiten der Apartheid verboten, aus Furcht vor einem möglicherweise entstehenden Zulu-Nationalismus. Der heutige Zulu-Anführer Buthelezi spielte den historical Zulu-König Cetshwayo kaMpande.
Ihr müsst verstehen, dass man 6000 Seiten über die Bedeutsamkeit des Filmes „ZULU“ schreiben könnte, er zeigt etwas Naives und doch Reines, vielleicht die britische Kultur, bevor sie durch einen amerikanischen Einfluss zerstört wurde und korrumpiert von einem modernen Zynismus, der alles attackiert und nichts zu bieten hat. Er präsentiert lächerlichen Patriotismus und ebenso lächerliche Propaganda, er präsentiert Technologie gegen Primitivismus (ich gab Ernst Ludwig Kirchner eine Kopie auf DVD), er präsentiert das unruhige Leben des Produzenten und Schauspielers Stanley Baker. Um das Thema “ZULU” mit einem Zitat aus einer Geschichte der britischen Armee von 2009 abzuschließen – “Der verzweifelte Kampf bei Rorke’s Drift 1879 untermauert den Heroismus der Luftlandetruppen bei Arnhem 1944, und das gleiche gilt heute für Afghanistan.
Ich weise ebenfalls darauf hin, dass eine kleine Gruppe englischer Fußballfans in nachgemachten weißen Helmen aus dem Zulukrieg nach Südafrika reisten, vor der kompletten Niederlage gegen die Deutschen.
Welche Rolle spielt das Werk Kiplings für dich? In seinem berüchtigten Gedicht beschrieb er die Kolonisierten als “halb Teufel, halb Kind”, weswegen “den Bedürfnissen [der] Gefangenen zu dienen” die “Bürde des weißen Mannes” sei. Denkst du, dass diese Spannung zwischen einer Art fehlgeleitetem Idealismus und Chauvinismus wichtig für deine Kunst ist?
Das ist ein exzellentes Zitat, danke! Mr Kipling, oder Edwina, wie wir ihn im Zeltlager nannten, hat mich mit seinem Gedicht “A Young British Soldier” inspiriert, vor allem die Zeile “better to shoot your self than be mutilated by the Afghans” – was auch heute wieder eine große Signifikanz hat. Sein Buch “The man who would be King” war Inspiration für viele meiner Zeichnungen und für mein Buch “The man who would be Queen” (meine Autobiografie im Stil des 19. Jahrhunderts). Jetzt fragt ihr mich wieder nach etwas Psychologischem und Emotionalem, das ich nur schwer in rationalen Worten erklären kann. Ich habe das Symbol des weißen Phallus benutzt, um die europäischen Kolonialmächte zu verbildlichen, ich verwende ebenso das im Mittelalter gebräuchliche christliche Symbol für Jerusalem als eine heilige Frauenfigur und verknüpfe das gerne mit Ulundi, der Zulu-Hauptstadt, die von den Briten 1879 zerstört wurde. Die militante Bildlichkeit christlicher Missionare, die visuelle Propaganda der mittelalterlichen Kreuzzüge wie zum Beispiel die Skulpturen von Vezelay (wo Papst Urban II zum ersten Kreuzzug aufrief), passen ebenso zum Vorgehen der britischen Kolonialarmee. Auch inspirierend ist die Tatsache, dass die Europäer afrikanische Kultbilder verbrannten, so wie die Protestanten katholische Bilder zerstörten. Es gab während des ersten Weltkriegs übrigens eine britische Propaganda gegen die Deutschen, bei der deutsche Kriegsdenkmäler mit Nägeln bedeckt waren, wie bei Fetischen aus Afrika, was auf die dunklen Rituale der Deutschen anspielen und einen negativen Effekt zeitigen sollte. Die Verehrung des Objektes im heutigen Europa, die Verkehrsampel als ein mit Karotten bedecktes Kultbild, referiert ebenfalls auf die Arroganz der europäischen Gesellschaft mit ihrer Vorstellung, aufgeklärt und zivilisiert zu sein.
In einigen deiner Arbeiten vermischst du absichtlich Accessoires der Kolonialherren und der Kolonisierten und schaffst so interessante Hybridfiguren (beispielsweise ein Zulukrieger mit dem Union Jack auf seinem Schild oder Mixed Media-Soldaten mit einigen “indigenen” Merkmalen). Denkst du, dass eine solche “positive” interkulturelle Beeinflussung zwischen Gruppen etwas ist, dass in der Regel zu kurz kommt, wenn wir die Ereignisse der Kolonialzeit lediglich als Aufeinandertreffen fremder Kulturen betrachten?
Ich zeichne gerne Zulu-Kriegerinnen, die das britische Phallussymbol, den weißen Helm, tragen. Ich gestalte auch gerne meine eigenen Uniformen für meine afrikanische Elite-Leibgarde. Ich bin inspiriert von afrikanischen Anführern, die europäische Uniformen aus dem 19. Jahrhundert adaptiert haben und deren ganze Sprache von Macht und Propaganda mit indigenen Machtsymbolen kombinierten. Idi Amins Militär in britischen bzw. schottischen Uniformen sind faszinierend. Ebenfalls sehe ich eine große Ähnlichkeit zwischen den Uniformen der europäischen Stämme des 19. Jahrhunderts mit ihren Federn, Leoparden- und Bärenfellen und der Art, so wie sie in Museen präsentiert werden, in Glasvitrienen in dunkel beleuchteten Räumen, und der afrikanischen und ozeanischen Stammeskunst oder den Militäruniformen der Zulu – mit ihren Federn und Tierhäuten. Ich muss hervorheben, dass Shaka Zulu als militärischer Reformer und Stratege oft mit Napoleon vergleichen wurde. Seine Regimenter konnte man anhand verschiedener Federn unterscheiden, sowie anhand der Farbe ihrer Kuhfelle auf den Schilden. Er führte Wehrdienst und ein Kasernensystem ein, er verkürzte die Speere zum Stechen (ähnlich den Römern), er schaffte die zeremonielle Schlacht ab (Speerwerfen und Beleidigen) zugunsten einer totalen Vernichtung des Feindes, er schaffte die Sandalen ab, damit seine Truppen schneller laufen konnten. Er entwickelte die Formation „The Horns of the Buffalo“ (beschrieben von einem Buren im Film „ZULU“ – er benutzte ein Schwert, um ein Diagramm davon in den Sand zu zeichnen, so wie es in der Schlacht von Isandlwana vonstatten ging, bei der die gesamten britischen Einheiten aufgerieben wurden). Shaka Zulu machte mit Südafrika, was die Briten mit der ganzen Welt gemacht hatten, er eroberte und unterwarf alles, was in Reichweite war. Wie bei vielen europäischen Herrschern führte ihn seine Macht in den Wahnsinn, und er wurde am Ende von seinem eigenen Volk ermordet. Ich vergleiche ihn gerne mit MacBeth, und es ist kein Zufall, dass Shakespeare und Shaka Spear gleich klingen. Die Rolle der Medizinmänner und ihr politischer Einfluss auf den Zulu-Hof ist gut dokumentiert, so wie die Hexen bei MacBeth. Das Leben Shaka Zulus spiegelt die christliche und generell die europäische Mythologie, ebenso wie wie Excalibur dem Speer Shaka Zulus entspricht.
Ein letztes Beispiel für diesen Crossover in meinen Bildern ist die Einzelausstellung „Trophies of the Savages“ (Gallery 207, Prag 2012). Der Titel der Ausstellung kommt von einem Bild von Emil Nolde. Nolde reiste 1913/14 mit einer deutschen Kolonialexpedition zu den Südseeinseln. Sein Gemälde „Trophäen der Wilden“ zeigt abgetrennte Köpfe im Dschungel, was sich auf die Kopfjägerpraktiken der Eingeborenen bezieht. Ich benutzte diesen Titel allerdings im Bezug auf die deutsche Besetzung von Namibia und die abgeschnittenen Köpfe, die zur medizinischen Forschung verwendet wurden. Der Begriff „Wilde“ wurde von den europäischen Machthabern eingeführt. Darüber hinaus basierte das zentrale Bild der Ausstellung auf einem Kreuzigungsbild von Nolde, der Titel „Trophies of the Savages“ ist somit ebenfalls auf die europäischen Kultbilder der christlichen Frömmigkeit bezogen, und in meinen Zeichnungen sind die Primitiven häufig die königliche Familie mit ihren wirren Ritualen, und nicht die Eingeborenen aus Übersee.
In den akademischen Cultural Studies ist eine kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit und allgemeiner mit Britishness ja ziemlich trendy – eines von vielen „post“-irgendwas Phänomenen, deren intellektuelle Tiefe nicht immer gewährleistet ist… Interessierst du dich für solche Sachen, und gibt es ein Buch, dass du empfiehlst?
Ich interessiere mich nicht für solche Dinge, aber ich empfehle einen kurzen Dokumentarfilm namens „The Mad Masters“/“Les maitres fous” von Jean Rouch aus dem Jahr 1955. Ich sah den Film vor kurzem, und er bestätigt eine ganze Reihe meiner Vorstellungen.
Wo ziehst du sonst so deine Inspirationen her, wenn es um bestimmte Details geht? Gibt es bestimmte Dokumente oder Kunstgegenstände, die einen starken Einfluss auf deine Werke ausgeübt haben?
Ich suche ständig nach historischem Material und besuche Museen. Was die Militärgeschichte des British Empire betrifft, empfehle ich die Bücher von Ian Knight und Saul David. Auch die “Osprey”-Serie (in Berlin bekommt man die beim “Berliner Zinnfiguren”-Shop in Charlottenburg). Das neue Buch “Human Zoos – The Invention of the Savage” (erschienen 2012 bei Musee du Quai Branly, Paris) enthält exzellente historische Fotos und Illustrationen. Der in Berlin lebende Stralsunder Künstler Stefan Pfeiffer gab mir neulich das Buch “Kolonialpiraten” von Franz Rose (1941 Berlin) , welches großartige Anti-Empire-Illustrationen enthält, u.a. die Reproduktion eines Gemäldes, das die Hinrichtung von indischen Rebellen zeigt, die von den Briten vor Kanonen gebunden wurden. Das Ethnologische Museum in Berlin-Dahlem und das Tervuren Africa Museum in Brüssel sind auf jeden Fall einen Besuch wert. Für Freunde des Primitivismus ist Heidelberg ein Epizentrum alter Energien. Das Ethnographische Museum in Heidelberg ist unglaublich, und man kann von da aus direkt zur Sammlung Prinzhorn gehen und die Holzschnitzereien von Karl Brendel sehen, u.a. “Militarismus”, das dauerhaft gezeigt wird, neben einer Kota-Reliquienfigur, die Hans Prinzhorn verwendete, um seine Theorie des Primitivismus zu illustrieren. Ebenfalls in der Nähe ist das Museum HausCajeth für Primitive Malerei.
Aber zurück zum Film – ich sehe mir oft “The Charge of the Light Brigade” (1968) an, der animierte Sequenzen über die britische Armee enthält. Auch den Film, über den wir uns neulich unterhalten hatten, “Soldier Blue” (1970), in dem der amerikanische Kavalerie-Kommandeur einen weißen britischen Kolonialhelm trägt, während er ein Dorf massakrieren lässt.
Die Biographie von Shaka Zulu ist absolut lesenswert. Nach dem Tod seiner Mutter hatte Shaka Sex erst mal ein Jahr lang für illegal erklärt als Form nationaler Trauer. Um die Loyalität seiner Regimenter zu prüfen, ließ er sie in Reihe aufstellen und ließ nackte Zulufrauen vor ihnen tanzen. Jeder Mann, dessen Speer zur Sonne zeigte (der sexuell erregt wurde) bekam seinen Kopf mit einem Knüppel zerschmettert.
Dein Buch „Andrew Emperor of Africa“ ist eine Erzählung in Bildern mit einem Alter Ego von dir als Hauptperson. Kannst du diesen anderen Andrew Gilbert beschreiben?
Ich versuche mich kurz zu fassen. Zunächst ist er Offizier, er ist allein zurückgelassen worden an einem Außenposten in Südafrika. An diesem Punkt begann er durch Isolation und Malaria ein ganzes Reich zu halluzinieren, über das er herrscht. Er fängt an, lebensgroße Soldaten zu bauen, seine Regimenter und Gefährten aus Holz mit gemalten Uniformen und Kohlköpfen (für die Köpfe und Brüste), außerdem Diener. Er fertigt Zeichnungen an, von denen er denkt, es seien Fotos von all seinen vergangenen Heldentaten. Zufälligerweise gab es tatsächlich einen Generalmajor namens Andrew Gilbert beim Black Watch Highland-Regiment. Er wurde im Sudan verwundet und 1899 in Südafrika getötet, als er gegen die Buren kämpfte.
Die Erzählung ist nicht linear, ich bewege mich in verschiedenen Zeiten und Situationen. So kann ich unterschiedliche historische Figuren antreffen – zum Beispiel Ernst Ludwig Kirchner, den Mahdi vom Sudan oder General Gordon aus Khartoum, der ebenfalls Blumen malte und dessen Kopf abgeschnitten wurde, als Khartoum von der Armee des Mahdi erobert worden ist. Ich traf außerdem den Heiligen Broccoli, der mein spiritueller Beschützer ist, aber auch zu extremer Gewalt neigt.
Ich habe viele Frauen, alle wurden wegen bestimmter Verbrechen exekutiert, wie z.B. das Schneiden der Heiligen Zwiebeln oder weil sie den Tost verbrannt haben, oder weil sie das Werk eines anderen Künstlers mehr mögen als meines.
Es gibt diese eine Stelle – das Lady Rajbaj-Bild – wo Andrew Gilbert als Offizier und als Maler im gleichen Bild auftritt. Um einen Begriff wie “meta-artistisch” zu vermeiden, gibt es diese Konstellation mehr zur Verwirrung, oder offenbaren das ein bisschen mehr über deine Rolle als erlebende und (re)produzierende Figur?
Sicher nicht zur Verwirrung, in dieser Zeichnung zeige ich mich in zwei meiner Rollen, als General und als Militärkünstler, dessen Job es ist, die wichtigen Ereignisse zu dokumentieren – als Gottes Zeuge, als Gottes Auge auf Erden. Es ist ja in der Kunstgeschichte nicht unüblich, dass Künstler sich selbst versteckt in wichtige Ereignisse hinein malen. In der unveröffentlichten Zeichnung von der Ermordung Kennedys sieht man mich bei einer Militärparade mit meinen angeketteten Sklaven im Wagen, ich erscheine am Fenster, während ich mir selbst den Kopf wegschieße.
Übrigens war “Lady RajBaj” von der Zeichnung einer historischen Figur namens Lakshmi Bai, der Rani von Jhansi, inspiriert, einer Führerin gegen die Briten im Indischen Aufstand von 1857. Ich fand ein Bild von ihr in Saul Davids Buch “The India Mutiny” und war von ihrer Schönheit fasziniert.
Viele deiner Bilder sind sehr brutal, und oft werden sie immer cartoonhafter, je pornografischer sie sind. Abgesehen davon, dass sie sehr amüsant sind, wer denkst du verdient am meisten, schockiert zu sein durch diese in Sex und Gewalt getauchte Geschichtsschreibung?
Die Gewalt zeichne ich, weil ich muss. Weil sie mir hilft, ruhig zu bleiben und wegen vieler aktueller Ereignisse, die mich wütend machen. Es gibt einen Feind, der denkt, es ist normal, für Reichtum und Macht zu töten. Dieser Feind soll die Suppe der Gerechtigkeit kosten. 10 000 Garnelen, 20 000 Heilige Zwiebeln und viele Mönchszähne und die Schädel von 10 000 Eulen kommen in diese Suppe.
Bei deinen Themen habe ich mich gefragt, in welchem Maß Conrads “Heart of Darkness” und/oder Coppolas “Apocalypse Now” einflussreich und inspirierend für dich war.
In der Kunsthochschule sagte mir eine Professorin, ich sollte einmal “Heart of Darkness” lesen, sie sah eine Verknüpfung zwischen meinen primitiven Kultbildern der europäischen Kultur und den gewaltvollen Ritualen und diesem Buch. Das Buch ist sehr gut. Ich zeichne oft Hubschrauber, die im 19. Jahrhundert Zivilisten in die Luft sprengen, das ist von einer Szene aus dem Film inspiriert.
Ich stelle mir immer eine Waldlichtung vor, wo meine Kultbilder stehen, vergessene Rituale der Gewalt und der Gemüsebeschwörungfinden dort statt, ich stolpere über diese Götzenbilder, wenn ich den Außenposten verlasse, das Blut ist frisch, das Ritual könnte vor tausend Jahren, oder auch erst an diesem Morgen stattgefunden haben. Die Idee fasziniert mich, und ich bin der einzige außer dem Hohepriester, der die Sprache lesen kann, die in brutalen Markierungen und gehackten Pilzen geschrieben ist. Die Köpfe auf den Pfählen überall in Apocalypse Now sind auch sehr inspirierend.
Die zeitgenössische Realität hinter sich zu lassen wie Kurt oder der Charakter in “Heart of Darkness” ist auch eine große Inspiration, die koloniale Landschaft ist unendlich, die Feldzüge enden nie, der Dschungel hört nie auf, die Imagination hört niemals auf.
Es gibt ein Foto von dir, auf dem du in ernster militärischer Pose vor Insignien wie einer Flagge und Uniformteilen posierst. Für mich hatte das auf den ersten Blick etwas parodistisches und zugleich ernsthaftes. Wenn du dich mit dem einfachen Soldaten der Britischen Kolonialarmee befasst, welche Aspekte interessieren dich auf eine positive und empathievolle Weise?
Es existiert noch ein besseres Foto, auf dem ich eine rote Uniform trage, mit einem Kartoffelsack als Maske oder Schleier und einer Halskette aus Karotten. Der Schleier verweist auf Stammesrituale und auf den Schleier in persischen Miniaturen. Wie du sagst, eine Parodie auf die militärische Pose, aber auch noch etwas anderes, verknüpft mit der visuellen Repräsentation von Macht, es war ein Bild, das 2009 für die Einladungskarte der Ausstellung „The Zulu Queen Stood As Jerusalem Fell“ in der Galerie Ten Haaf Projects in Amsterdam verwendet wurde.
Es gibt ein kleines Denkmal für die britischen Kommandotruppen in den schottischen Highlands. Die probten dort für den zweiten Weltkrieg. Heute gibt es dort Ehrungen für die Truppen, die in Afghanistan getötet wurden. Durch Zufall kam ich auf ihre Seite, als ich gerade die Ausstellung „Andrew’s Death in Afghanistan,1842“ (Power Gallery, Hamburg 2009) vorbereitete. Es ist nicht der Fehler des einzelnen Soldaten, zum Sterben in diese Länder geschickt zu werden, aber es ist vorherzusehen, dass Menschen ihr Land gegen fremde Besatzer verteidigen. Meine viktorianischen Soldaten trinken Kaffee in ihren Zelten, besuchen Lonnie Donegan-Konzerte, um auf ihren Übersee-Feldzügen ihre Moral zu steigern, werden getötet und verüben Scheußlichkeiten an der Zivilbevölkerung, die sie im Namen der Zivilisation zu befreien glauben.
In deinem Buch zeigst du oft die Brutalität beider gegnerischer Parteien mit einer ganz eigenen Mischung aus Empathie und Sarkasmus. Im Indien-Kapitel hat beispielsweise ein Bild namens „Smash British Rule in India“ seine Entsprechung in „Smash Gandhi“. Ist der verspielte Spott der Preis, den beide Parteien zahlen müssen, um in deinen Arbeiten zu Wort zu kommen?
Ich bin fasziniert vom Bezug zwischen Propaganda und Werbung, und von der Tatsache, dass Propaganda auf allen Seiten gleich aussieht und gleich funktioniert. Da ich permanent zeichne, bewegt sich mein Geist schnell und irgendwelche Veränderungen hängen davon ab, wie viel Kaffee ich getrunken habe und wie spät es ist. An den Beispielen, die du ansprichst, sieht man, dass die pro-britische Propaganda wesentlich primitiver gestaltet ist, während das pro-indische Motiv viel feiner ausgeführt ist. Eine berühmte Aussage von Gandhi war, als er auf die Frage „Wie denkst du über die Zivilisation Europas“ sagte „Das wäre eine gute Idee“. Ich zeichne Massaker, die von allen Seiten begangen werden, tatsächlich wurde meine Frau, mit der ich in den Flitterwochen in Indien war, eine Europäerin, von den indischen Rebellen während des Cawnpore Massakers (1857) abgeschlachtet. Zum Glück sah ich mir gerade ein Cricket-Spiel an und überlebte – obwohl meine Mannschaft verlor.
Leute sind oft faul und viele bevorzugen ein Happy End und einfache Erklärungen, aber es gibt da bei dir immer einen gewissen Grad an Ambivalenz. Gab es deshalb jemals feindselige Reaktionen?
Nein, gelegentlich wurde ich bloß gewarnt, einen brutalen, wahnsinnigen Diktator wie Shaka Zulu nicht zu sehr zu romantisieren.
Ist es dir generell wichtig, wie (und wie gut) deine Werke vom Publikum und von den Medien verstanden werden? Was wäre das unangebrachteste Feedback, dass du dir vorstellen könntest?
Ja, das Verständnis ist mir sehr wichtig. Und im Großen und Ganzen wird es auch sehr gut verstanden und gewürdigt von denen, die es würdigen sollen. Würde mich die Queen als ihren königlichen Künstler einladen, könnte das ein Problem sein, oder wenn Bono von U2 ein Fan werden würde. Oder wenn man mich beauftragen würde, ein Werbeplakat für die britische Armee zu gestalten, das könnte auch ein Problem sein.
Vor kurzem gab es erneut eine Diskussion darüber, welchem Land eigentlich die Falkland-Inseln gehören. Morrissey sagte seinem Publikum in Argentinien, die Inseln gehörten ihnen. Wie denkst du über solche Relikte einer kolonialen Vergangenheit?
Zunächst einmal waren die Morrissey-Fans auf der Kunsthochschule immer furchtbar arrogant und elitär, aber dafür kann er nichts. Die Briten auf den Falklands sind so lächerlich wie die Deutschen in Namibia waren, oder so albern wie Leute, die Pastinaken verehren und deshalb Leute umbringen, die Blumenkohl anbeten.
Historische (Meta-)Fiktion ist seit den 80ern in England recht populär, man denke nur an Autoren wie Fowles, Byatt oder Ackroyd. Ich denke, dass Barry Unsworth’ Roman “Sacred Hunger“ (dt.: „Das Sklavenschiff“) eine interessante Sicht auf gewisse Aspekte der Kolonialgeschichte bietet. Mich würde interessieren, ob du das Buch oder den Nachfolger “The Quality of Mercy” kennst?
Leider kenne ich keines dieser Bücher. “Sacred Hunger” klingt sehr interessant, und ich werde danach Ausschau halten. Ich lese fast nichts Fiktionales mehr, aber ich muss unbedingt noch mal eine Ausgabe von Aldous Huxleys “Ape and Essence” in die Hand bekommen, das ich vor vielen Jahren gelesen hatte und noch mal neu lesen will.
Letztes Jahr hattest du in Berlin zusammen mit David Tibet ausgestellt. Wie kam das zustande und was denkst du sind die verbindenden Elemente eurer Arbeiten? Du hattest einmal gesagt, dass du Davids Musik schon lange kennst und auch einige andere, die bei Current 93 mitmachen…
Die englische Künstlerin und Freundin Lucy Stein gab David Tibet mein Buch “Andrew, Emperor of Africa”. Er kontaktierte mich zeitgleich als ich gefragt wurde, ob ich in dem Berliner Projektraum „nationalmuseum“ ausstellen will. Ich fragte David, ob er mit mir zusammen ausstellen würde, und er sagte zu.
Ich fand, dass es eine exzellente Ausstellung war, und viele Berliner Künstler sahen das ebenso. Davids halluzinatorische Darstellungen lassen sich sehr gut mit den religiösen Visionen kombinieren, an denen ich zur Zeit des Mahdi vom Sudan arbeitete. David ist ein ebenso obsessiver Sammler und Forscher wie ich. Du hattest die Verbindung unserer Arbeiten schon ziemlich gut im African Paper zusammengefasst. Ich würde hinzufügen, dass ich seine Songtexte und das repetitive brutale Schreien immer sehr inspirierend fand, es erinnert mich an das Hämmern von Nägeln in Fetischobjekte, was auch meine Faszination für John Cale (zum Beispiel im Song “Fear is a Man’s Best Friend”) erklärt. Seine Gemälde sind hervorragend, unabhängig davon, ob du seine Musik kennst, auch da stimmten viele Berliner Künstler überein. Ich brauche Kunst, die ein bestimmtes Gefühl hervorruft, was wir bereits diskutiert hatten und was man nicht beschreiben kann, und ich erlebe das sowohl in seiner Musik als auch in seinen Bildern.
Ich höre Current 93 seit ich sechzehn bin, damals ging ich noch zur Schule. Michael Cashmore kenne ich durch die Künstlerin Steffi Thiel schon seit vielen Jahren.
Du hattest mal in einem Interview gesagt, dass du “das Bild eines aus dem Mutterbauch gerissenen Babys zwar gemalt, aber nicht erfunden hast”, und betontest damit, dass Menschen oft vergessen, dass furchtbare Verbrechen in der realen Welt begangen werden und nicht auf der Leinwand. Wenn in Deutschland über so etwas gesprochen wird, hört man oft, das sei “unvorstellbar”. Ich denke immer, dass solche Verbrechen eben gerade deshalb begangen werden, weil es eben doch möglich ist, sich das vorzustellen. Ist deine Kunst da, um dasjenige zu zeigen, das andere als unvorstellbar betrachten?
Wenn ich nicht zeichnen würde, dann würde ich nichts sinnvolles tun, meine Arbeit hält mich am Leben. Die Verbrechen der Vergangenheit werden ständig wiederholt, die Technologie zum Töten von Zivilisten hat sich weiter entwickelt, aber die Motivationen für diese Verbrechen sind die gleichen geblieben. Ich zeichne für mich, zuallererst, um zu versuchen, diese Dinge zu verstehen, aber auch weil ich es liebe, Uniformen zu zeichnen. Weil ich es liebe, Geschichte zu erforschen, und weil ich es liebe, die aktuelle Wirklichkeit zu verlassen. Aber zugleich hoffe ich, dass es in diesem Interview klar geworden ist, dass sich mein Werk auch auf aktuelle Probleme bezieht. Ich sehe keinen Unterschied zwischen einem Fernsehgerät und einer Mikrowelle, die mit alten Kartoffeln gefüllt ist. Da ist ein grauer Schleier der Mittelmäßigkeit, der alles überzieht, durch die Werbung, durch die Medien. Es ist vital, die Bestie hinter diesem Schleier zu zeigen, die absolute Brutalität vorzuführen, die sich hinter dieser ganzen Entertainment-Welt versteckt. Der primitivistische Künstler Dubuffet sagte, es sei besser, verbrannten Broccoli zu essen und etwas wirkliches zu erleben, statt etwas langweiliges. Thomas a Kempis, der mittelalterliche Mystiker, hörte sich lieber das Quaken der Frösche an als die angenehm nichtssagenden Klänge einer Kirchenorgel. Der Heilige Broccoli kommt in Frieden, aber wenn seine Kinder wieder und wieder ermordet werden, dann wird er irgendwann seine Machete der Gerechtigkeit in die Hand nehmen und sie tief in das Herz der Bestie schlagen.
(M.G., T.M., U.S.)
Übersetzung: U. Schneider, N. Seckel
Neue Arbeiten:
“Andrew And Nolde Meet The Mahdi, 1885″
Jahr: 2011
Format: 70x100cm
Aquarell, Acryl, Pen on Paper
Private collection Duesseldorf
“The Battle Of Omdurman, 1898″
Jahr: 2012
Format: 70x100cm
Aquarell, Acryl, Pen on Paper
Power Galerie (Hamburg)
Ältere Titel: Helmet, The Man Who Would Be Queen, The Birth Of Andrew Emperor Of Africa, Black Magic White Power, Africa 1879, Victoria’s Wars, Andrew And Lady Rajbaj, India 1857, The Defense Of Jerusalem, Monument To Andrew The Zulu Queen (Andrew Gilbert: Andrew, Emperor of Africa. Bielefeld: Christof Kerber 2011)