CHARALAMBIDES: Exile

Über das texanische Duo Charalambides wurde bei uns noch nicht berichtet, und ihr letztes offizielles Studioalbum „Exile“ erschien auch bereits letzten Herbst beim amerikanischen Ausnahmelabel Kranky. Die Eheleute Carter, welche den Nukleus und oftmals auch die einzige Besetzung der Band ausmachen, verdienen aber jede Aufmerksamkeit. Aufgrund weniger angenehmer Umstände (dazu unten mehr) ist im Hause Charalambides momentan auch jede Unterstützung willkommen. Aber das ist nicht der einzige Grund, weshalb ihr Album auch nachträglich noch eine Empfehlung verdient.

Das Besondere an der Musik der Charalambides, deren Name eventuell einmal als Hommage an einen zypriotischen Dichter gewählt wurde, in wenigen Worten zu benennen, wäre mühsam, denn ihre Musik irgendwo in dem weiten Feld zwischen minimalem Acoustic-Folk und schwermütigem Dronesound zu klassifizieren, hätte trotz formaler Relevanz einen profanen Beigeschmack. Ihrer persönlichen Version des elektronisch verstärkten, doomig eingefärbten Americana-Sound haftet etwas Auratisches an, das ungreifbar bleibt, ebenso das mehr als nur angedeutete Gefühl des Entrückten, das Sängerin Christina stets mit recht einfachen stimmlichen Mitteln hervorzurufen weiß. Dass all dies nicht aufgesetzt wirkt und Legionen von Neofolkern, Hipstern und Metalkids hinter sich lässt, hinterlässt einen Eindruck des Souveränen, der auch beim Blick auf die mittlerweile beachtliche Diskographie aufkommt: Charalambides haben es (Solo und als Band) immer verstanden, Einflüsse von anderen in ihr Schaffen zu integrieren, und dabei trotz allem nie ihr Gesicht verloren. Die vor rund zwei Jahren erschienene Songsammlung „Likeness“ ist da vielleicht am deutlichsten exemplarisch, denn sie enthält überwiegend alte amerikanische Songs – primär Balladen, deren Ursprünge sich im Dunkel des 19. Jahrhunderts verlieren, aber musikalisch und inhaltlich ist es ein lupenreines Charalambides-Album mit eigener Aussage.

Auch der Nachfolger „Exile“, der den momentanen Stand der Dinge markiert, hat einen narrativen Schwerpunkt. Im Zentrum des lyrischen Interesses stehen Themen der Trennung und Entwurzelung, oft im Rahmen von Alltagsszenarien, denen vielleicht etwas Profanes anhaften würde, gerade dann, wenn sie mit mehr Pathos oder auch mit mehr Hysterie umgesetzt wären. Die Herangehensweise der Carters, all dies unverblümt und doch ohne ironische Brechung anzugehen, lässt die existenzielle Tragweite umso mehr durchscheinen. Auf diese Weise geraten Songs wie das finale „Pity Pity Me“ und „Immovable“ zu Höhepunkten des Albums. „Pity Pity Me“ schildert eine menschliches Sackgasse, deren einziger Ausweg das offene Eingeständnis sein könnte. Aber im Song ist es nicht einfach nur irgendein Eingeständnis. Die getragenen Figuren auf Piano und Gitarre, die an minimale Kompositionen von Arvo Pärt erinnern, und die leitmotivische Hervorhebung des Titels wirken zunächst bewusst penetrant, doch durch die schier endlos ritualisierte Wiederholung und das gelegentliche Hinzukommen weiterer Motive schaffen es die Charalambides, das Ganze am Ende kraftvoll erscheinen zu lassen – spätestens nachdem der Song sich in doomigen Psych Rock verwandelt hat, dessen schwere Gitarrenwälle mit Christinas heiserem Sopran kontrastieren.

Das langsame, latent bluesige „Immovable“ bietet inhaltlich Stoff für einen ganzen Roman, doch die Geschichte einer Begegnung mit den Schattenseiten eines Bildungs-, Medien und Gesundheitssystems hat wenig von resignativer, sozial eingefärbter Popliteratur, und auch hier dominiert viel eher eine charismatische Ernsthaftigkeit, die letztlich dem ganzen Album einen unterschwellig robusten und trotz aller Bedächtigkeit trotzigen Grundtenor verleiht. Die ganz eigene Schönheit der Musik kommt hinzu, die gerade im Kontrast zur Fremdheits- und Entfremdungsthematik einen kontemplativen, aber stets kitschfreien Zug bewahrt – beim gehemnisvollen Folk des Instrumentalstücks „Autums Leaves“ ebenso wie beim dronigen „Before You Go“, das mit dem Cello von Helena Espvall und dem Kontrabass der Portugiesin Margaride Garci das Klangspektrum erweitert.

Die Charalambides waren gerade auf Tour in Europa, allerdings mussten wegen einer schweren Lungenentzündung Tom Carters alle Konzerte abgesagt werden. Der Gitarrist befindet sich derzeit immer noch in einem deutschen Krankenhaus und wird einer längeren und kostspieligen Behandlung unterzogen. Interessierte finden nähere Informationen dazu auf der Webseite von Volcanic Tongue, die zu diesem Anlass einen umfangreichen Benefizkatalog mit Carter/Charalambides-bezogenem Material zusammengestellt haben.

Label: Kranky