DÈRNIERE VOLONTÉ: Mon Meilleur Enemie

Dass bei dem ganzen Vintage-Wirbel, der in den letzten Jahren um die 80er, primär um deren erste Hälfte, gemacht wurde, auch der Synthie Pop nicht zu kurz kam, wurde auch in diesem Magazin bereits anhand von Gruppen wie Agent Side Grinder gewürdigt. Es gibt in dem Kontext die Fraktion der Computerfreaks und die der waschechten Popper, und der Franzose Geoffroy zählt mit seinem Projekt Dèrniere Volonté zur zweiten Kategorie. Popper, das sind in dem Fall ebenfalls Computerfreaks, aber man sieht ihnen die Technikbegeisterung nicht an, da sie eine ebenso große Leidenschaft für Mode besitzen und dem nerdigen Jungenzimmer dann doch die angesagten Clubs vorziehen. Ganz unnerdig in Geoffroys Fall war dann auch seine Kollaboration mit Schauspielerin und Autorin Ovidie, eine Art neoliberale Antwort auf Sasha Grey.

Für jeden, der den Werdegang des Franzosen in den letzten Jahren verschlafen hat, war das wohl gerade eine etwas unpassende Einleitung, denn generell gilt Dèrniere Volonté wohl allem Synthiepop zum Trotz v.a. als abtrünniger Vertreter des Martial Industrial. In diesem Genre zwischen orchestraler Filmmusik und den Techniken des Post-Industrial, das Ende der 90er den Ästhetizismus von In The Nursery und die radikale Performance früher Laibach zusammenführte und nur in wenigen Fällen an das Niveau dieser Vorläufer heranreichte, nahm er seinerzeit eine Sonderstellung ein, denn er machte aus dem stilistischen Ausgangsmaterial mit das beste, was man in der Zeit daraus noch machen konnte: Pop. Das kurz zuvor im deutschsprachigen Blätterwald eher en passant entstandene Wort Military Pop bekam so dann auch gleich seinen einzigen wirklichen Vertreter nachgereicht.

Dass das Konzept „uniform chic goes boygroup“ nicht noch viel mehr Schule machte, ist fast etwas verwunderlich, aber wahrscheinlich hätte das einfach besser in einer Szene funktioniert, die tatsächlich von Laibach inspiriert die uniformen und zugleich autoritären Unterströmungen des popkulturellen Schönheitsideals spielerisch auslotet. Vielleicht übernehmen das ja irgendwann mal ein paar Hipster. In einer Community indes, in der konzeptloser Fetischismus, Ideologeme und vorhersehbare Provokationsbemühungen die Weichen stellen, war für solche Experimente wenig Raum. Ähnlich wie beim Dark Folk waren die Stereotypen dann auch irgendwann ausgereizt, und wer etwas auf sich hielt, suchte sein Glück in anderen Gefilden, man nahm Versatzstücke des Psych Rock, des Cabaret oder des Post Punk mit in die Umkleidekabine, was passte wurde angeeignet, und in einigen Fällen kam sogar etwas Gutes dabei heraus. In vielen auch nicht. Geoffroy fand seine neue Heimat im Minimal Synth, der seit Jahren wieder ein Substrat für eingängige Songs voll wehmütiger Euphorie ist – so, als hätten Visage und Boytronic nie aufgehört zu existieren.

Mit „Mon Meilleur Enemie“ bewegt sich Dèrniere Volonté nun zum zweiten mal auf dem Terrain kompakter Synthiesongs. Vergleicht man das Album allerdings etwas genauer mit dessen Vorgänger „Immortel“, so fällt auf, dass Geoffroy an einigen Stellen wieder deutlicher die Brücke zu den klassischen Soundtrack-Elementen geschlagen hat, für die seine Musik früher bekannt war. Viele der neuen Stücke besitzen wieder eine etwas deutlichere orchestrale Grundierung, und zur Betonung markanter Stellen wird wieder verstärkt auf perkussive Spannungsmacher gesetzt. Das von plätscherndem Regen stimmungsvoll eingeleitete „Le Chant de la Pluie“, bei dem das Pathos der tonangebenden Keyboardflächen von monoton beschwörenden Pauken untermalt wird, ist da ein ebenso gutes Beispiel wie die schwermütige Orgel in „Le Quay de la Quare“. Schon die instrumentalen Soundcapes im Intro mit seinem leichtfüßigen, aber geradlinig nach vorn preschenden Beat gehen in diese Richtung.

Dem entgegen stehen Momente, die fast alles haben, was Pop braucht – aufgeweckte Rhythmen, Melodien mit Ohrwurmpotential und ein buntes, aber stets überschaubares Soundrepertoire, welches immer auch Momente in petto hat, die die Grenzen des Erwartbaren überschreiten, so beispielsweise die originelle Bläsersektion, die „Une Claquement de Doie“ eine interessante Retronote verpassen und einen guten Teil zu seiner Airplay-Tauglichkeit beitragen. Der einzige Wermutstropfen liegt allerdings im Gesang. Nicht, dass Geoffroy keine angenehme Stimme hätte, aber seine Fähigkeit zur Intonation, die bei etwas wilderer Musik wenig Wünsche offen ließe, reicht kaum, um den eingängigen Songs auf diese Weise die schöngeistige Krone aufzusetzen. Dort generell die etwas rauere Methode zu wählen und mehr auf Markanz zu setzen, würde der poppigen Musik mit ihren dezent kämpferischen Orchestralzitaten nicht schlecht zu Gesicht stehen.

Ich bin immer noch der Ansicht, dass Geoffroys stilistischer Werdegang von einer positiven Entwicklung zeugt, und die neuen Songs offenbaren eine durchaus eigene, charakteristische Stimmung und Soundgestalt. Bei der auf sechshundert Exemplare limitierten Vinylversion soll noch eine Single mit einem anderswo nicht erhältlichen Stück enthalten sein.