In Maeror Tris Beitrag zur niederländischen „Mort Aux Vaches“-Reihe treffen zwei Namen aufeinander, über die man seitenweise texten könnte. Aus dem Norddeutschen Trio, dessen Ambient stets auch zur Erforschung und Exposition tiefenpsychologischer Prozesse diente, gingen die Projekte Troum und Tausendschoen hervor, mit Drone Records zudem eines der wichtigsten Underground- und Experimentallabels in Deutschland. „Mort Aux Vaches“ ist eine seit den 90ern stattfindende Radioshow, bei der meist ein Noise-, Drone- oder sonstiger Experimental-Act exklusives Livematerial einspielte, das dann später beim renommierten Staalplaat-Label als Tonträger erschien. Dass der Titel – auf deutsch „Tod den Kühen“ – auch auf die in den 90ern grassierende BSE-Krankheit gemünzt sein sollte, kursierte hier und da als Gerücht und wurde von den Kuratoren bewusst offen gehalten. Ursprünglich stammt der Slogan aus dem Slang französischer Soldaten, mit den Kühen waren die Gegner rechts des Rheins gemeint. Über die Jahre gab es um die siebzig Beiträge zur Reihe und in manchen Kreisen gilt es nach wie vor als Auszeichnung, auch ein „Mort Aux Vaches“-Album draußen zu haben.
Der Beitrag von Stefan Knappe, Martin Gitschel und Helge Siehl alias Maeror Tri, der 1995 aufgenommen wurde und zwei Jahre später erstmals auf CD erschien, ist in seinen drei Abschnitten eine modern-archaische Rite de Passage, die den Anspruch erhebt, den Hörer, sollte er sich auf die Musik und ihre Wirkung einlassen, über die Schwelle eines neuen Bewusstseinszustandes zu führen – große Worte natürlich, die man von der Schlacke all der religiösen Discountmoden bereinigen muss, die die Welt auch nicht gerettet haben, selbst wenn sie so klangen. Die Klangerzeugung erfolgt stets über „herkömmliche“ Saiten- und Perkussionsinstrumente, die jedoch eine vielfältige Verfremdung erfahren und die Musik somit stark an elektronischen Ambient erinnern lassen. Lässt man sich auf die Musik ein, spielen solche Banalitäten ohnehin keine große Rolle mehr.
Der „Initiation“ betitelte erste Teil beginnt ausgesprochen leise und bedächtig. In den ersten fünfzehn Minuten, die einen leicht wellenförmig vibrierenden Klangteppich ausrollen, sollte sich entscheiden, ob der Hörer bereit ist, sich auf den Zustand zwischen Konzentration und Hingabe einzulassen, der zwangsläufig etwas vom Abtauchen ins Un- oder Vorbewusste hat. Irgendwann jedoch schreckt ein unterschwelliges Grollen den Hörer aus seiner Kontemplation, das in rituelles Pulsieren überleitet und die Initiation abschließt. Bis dahin findet man sich bei entsprechender Neigung allerdings schon komplett in der Parallelwelt Maeror Tris wieder. Ist der erste Teil noch von einem ausgewogenen Verhältnis aus wohlklingender Hypnotik und einem kaum bemerkbaren infernalischen Untergrund geprägt, so zielt der weitaus unbehaglichere Mittelteil mit seinen kleinen aber deutlichen Noisespuren und dem Scheppern von Metallobjekten anscheinend auf einen drastischen Stimmungswechsel („Alternation“) ab. Wer hier allerdings glaubt, dem Sturm vor der Ruhe beizuwohnen, den muss der „Expansion“ genannte Schlussteil gehörig irritieren: Was sich da aus dem verwischten Soundnebel herauskristallisiert klingt nach Raketen und entwickelt sich zu einem beinahe luftkriegsartigen Ausbruch – die Entgrenzung eben, die der Titel bereits impliziert, deren Brutalität jedoch überrascht. Freilich bleibt all dies subtil und sollte nicht mit Noise im eigentlichen Sinne verwechselt werden. Erst gegen Ende machen sich harmonische Klangwelten zwischen den Lärmpartikeln breit wie zwischen den Mauern und Säulen eines leerstehenden Gebäudes.
Mit dem Zusatz „Hypnos/Transe“ wurde „Mort Aux Vaches“ soeben bei Raubbau wiederveröffentlicht und meine Enpfehlung geht auch an all diejenigen Kids, die seit Jahren Begriffe wie „Drone“ auf den Lippen tragen, weil jedes zweite gelackte Kunstmagazin darüber schwadroniert – hier kann man sich einen Begriff davon machen, wie solche Musik klang, bevor sie in aller Munde war und über weite Strecken epigonal wurde. Die knapp einstündige Session ist im Grunde Ritualmusik im eigentlichen Wortsinne, fernab herkömmlicher Genrebegriffe. Für rationalere Gemüter ist das freilich nettes, exotisches Kolorit, eignet sich zum kreativen Abschalten und (gerade in der Neuauflage mit dem Artwork von Stefan Alt) als Fetisch für die post-industrielle Sammelwut. (U.S.)
Label: Raubbau