MUSHY: Breathless

Ob die enorme Retromaschine, die weite Teile der Musikwelt in den letzten zwei Jahrzehnten in Gang gehalten hat, alsbald den Geist aufgeben wird, ist schwer vorherzusagen. Freilich, der Vorrat an Wiederverwertbarem und Neukombinierbarem wird mit der Zeit kleiner werden, und der „novelty“ effect, den Folkhippies im Web 2.0, Cold Wave ohne Kalten Krieg und die Durchmischung von Hiphop-Beats mit dem Trockeneis der Gruftiedisco einst auslösten, ist weitgehend in eine „business as usual“-Routine übergegangen. Das klingt ernüchternd, vor allem wenn man im Pop nach wie vor das Spektakel sucht, aber es hat ja vielleicht auch etwas Beruhigendes, wenn man der immer neuen Säue langsam überdrüssig ist, die in regelmäßigen Abständen durch die Dörfer getrieben werden. Sollten sich die musikalischen Vintagemoden tatsächlich in absehbarer Zeit überleben, so sollte man aber mit der Erwartung allzu gravierender Veränderungen vorsichtig sein. Eine echte Wiedergeburt des Neuen nach dem Ende des Hipsters? Oder doch eher der Rückfall in einen bräsigen Purismus, der viel öder wäre als all die geschichtsbewusste Musik der letzten Jahre? Gar der endgültige Abschied von der Popmusik als identitätsstiftender Kulturpraktik? Ich vermute eher, dass die zitathaften Rückgriffe, die im Kleinen ohnehin jeder Kunst inhärent sind, in Zukunft mit nocg größerer Selbstverständlichkeit vorgenommen und nicht mehr wie ein alleinseligmachendes Kriterium für zeitgemäße Musik gehandelt werden.

Dass jemand wie Valentina Fanigliulo, die sich lieber Mushy rufen lässt, im Zuge dessen nicht mehr als Retro-Sternchen rezipiert werden würde, sondern über die Wirkung ihrer Musik, wäre nur ein Beispiel, das für eine solche Veränderung spräche, auch wenn die Behauptung, ihr Gesang verhalte sich zu Liz Frazer wie der von Zola Jesus zu Siouxsie Sioux, positiv intendiert sein mag und sogar zutrifft. Die Italienerin, die nebenbei in der All Girl-Combo Winter Severity Index Keyboard spielt und über ihre Gastrolle bei Mater Suspiria Vision auch in Deutschland bekannter wurde, widmet sich in ihrem Soloprojekt einer kühlen Schwermut, die im selben Zug hochemotional ist und an manchen Stellen ein fast religiöses Pathos ausstrahlt. Eine Musik der trüben Tage im Plattenbau, vielleicht dem Schauplatz von Andrzej Zulawkis “Possession” vergleichbar, und zugleich eine Musik der verschüchterten Sehnsucht nach dem Idyll – ein vermeintlicher Widerspruch, den Mushy schon persönlich verkörpert: Ob sie auf der Bühne ernst, kühl, traurig oder eher stoisch wirkt, ist eine Frage, die sich spontan schwer beantworten lässt, außer in den Momenten, in denen sie aus der Rolle fällt und keinem der introvertierten Stereotypen mehr entspricht. Bei ihren ordentlich besuchten Konzerten, bei denen sich Grufties, Schuhgaffer, Flux.fm-Hörer und Angehörige der persischen Oberschicht stilvoll ignorieren, bricht sie schon mal mit einer der größten Unarten bei Wave-Gigs aller Art, indem sie kurzerhand die Bühne verlässt und unter den Ölgötzen der ersten Reihen ein spontanes Pogo anzettelt – selbstredend ohne dabei eine Miene zu verziehen. Punkige Uptempo-Nummern fehlen auf ihrem zweiten Album „Breathless“ jedoch ebenso wie auf dem technisch noch weniger ausfeilten Vorgänger „Faded Heart“. In Bewegung gehalten werden die Stücke eher von monoton pulsierenden Taktschlägen. Oder durch Spannung verheißende „Ice Machine“-Beats wie auf dem Opener „To be lost“, bei dem Propellergeräusche und eine Stimme wie hinter einer Glasur eine versteckte Emotionalität zum Ausdruck bringen – alles im tristen Grau, das für ihre Musik so typisch ist. Der Schwerpunkt auf die eher hellen Klänge analoger Synthies trägt sehr viel zu dieser Atmosphäre bei und ist eine der zentralen Veränderungen zum basslastigen und somit wärmer klingenden Frühwerk. Fülle hat ihr Sound dabei kaum eingebüßt, er ist nur um einiges klarer und vielschichtiger geraten. In manchen Stücken wie dem skelettierten „Night Dress“ gerät die Stimmung zur kalten Sinnlichkeit, und stets ist es dieses Wechselspiel zwischen Frost und Wärme, das die Songs prägt und in einer unlösbaren Spannung hält. Hier und da scheint sorgsam dosierte Ironie im Spiel zu sein: Wenn die trotz A.R. Kane-Auftritt lethargischste Nummer „My Life so far“ heißt, klingt das nicht gerade berauschend. Dem gegenüber trägt eines der anrührendsten Stücke den Titel „I don’t care“.

In einigen Songs gibt es Momente, in denen die Stimmung recht spontan aus der Lethargie erwacht und der Gesang fast abrupt vom Tagtraum zur Klage auffährt. „Scratch my skin“ hat dieses Moment, und ist ohnehin einer der Anspieltipps auf dem Album. In den unterschwellig fordernden Vocals und dem Goth-artigen Bassound klingen sowohl ganz alte Kirlian Camera als auch altehrwürdige 4AD-Zeiten an. Da war sie wieder, die Retrokiste, ganz kommt man eben auch bei „Breathless“ nicht an ihr vorbei. Dem entgegen steht die Beobachtung, dass Valentinas Stil stets kleinen Veränderungen unterliegt und und mehr und mehr in einem eigenständigen Sound resultiert, der sich durchaus noch stärker vom 80s-Label emanzipieren könnte. Wenn ihr das gelingt, wird ihre Musik vermutlich auch die derzeitigen Moden überdauern. Einen ähnlich großen Ruhm, wie er Zola Jesus zuteil wurde, gönne ich ihr schon jetzt. (U.S.)

Label: Mannequin