Andrew Liles ist vor allem als Musiker bekannt. Schon in den 90ern ein unermüdlicher Bastler, machte er zunächst eher sporadisch mit minimalistischen Soundexperimenten von sich reden, meist in kleineren Auflagen auf CDr. Durch stetes Experimentieren vergrößerte sich sein Renommee recht bald, und die vor sechs Jahren erschienene „Vortex Vault“-Reihe ist aus der Geschichte soundorientierter Musik längst ebenso wenig wegzudenken wie seine Arbeiten mit Nurse With Wound, Liles’ wohl bekanntestem Nebenschauplatz zusammen mit Current 93. Die Zahl seiner musikalischen Kollaborationen ist groß, mit Daniel Menche, Bass Communion und Jean-Hervé Peron sind nur die bekanntesten genannt.
Von Beginn an spielte die Tonträgergestaltung eine wichtige Rolle in Liles’ Arbeiten, und wenngleich er in den frühen Jahren ganz unterschiedliche visuelle Ausdrucksweisen ausprobierte, lassen sich in seinen meist digitalen Coverdesigns doch Schwerpunkte erkennen: Einerseit nahmen fotografierte Puppen und Figuren mit puppenhaftem Aussehen einen großen Raum ein, was sicher auch im Kontext seiner Vorliebe für Künstler wie Hans Bellmer und Jan Svankmajer zu sehen ist. Einen anderen Schwerpunkt bilden Referenzen zur Bildsprache des viktorianischen Zeitalters, die seinem Artwork einen nostalgischen, stets aber in der Überzeichnung auch ironischen Beigeschmack verliehen. Erst in den letzten Jahren wurden die visuellen Aspekte seiner Releases in der Presse stärker hervorgehoben, was sicher dem konzeptuell stringenten Artwork seiner aktuellen Reihe zu verdanken ist – einer schier endlosten Serie an Platten, Printmedien, Downloads und zahllosen Merchandise-Artikeln zum Thema „Monster“, die hoffentlich noch lange weitergeführt wird. Das digitale Design der Monster-Serie hat den Stil grostesker Comics mit schematisch gezeichneten Chimären, die trotz ihres aufgeräumt anmutenden Minimalismus und den einfachen Spielzeugfarben vor sleaziger Erotik übersprudeln und von einem Sinn für schwarzen Humor zeugen. Weniger bekannt ist, dass der passionierte Autodidakt seit einiger Zeit auch unabhängig von seinen Tonträgern als visueller Künstler aktiv ist. Auf eine Auswahl dieser Arbeiten stößt man eher beiläufig beim Stöbern auf seiner umfangreichen Webseite, wo sie unter der unscheinbaren Überschrift „Original Artwork“ aufgeführt sind. Interessant ist, dass diese Werke eine stilistisch ganz andere Seite seines Schaffens darstellen, und ohne entsprechendes Wissen kämen wohl die wenigsten darauf, dass die Arbeiten – allesamt Feder- und Buntstiftzeichnungen auf schwarzem Tonpapier – vom gleichen Künstler stammen. Verbindendes Element der seriell anmutenden Kompositionen ist ihre unheimliche, bedrohliche Austrahlung, etwas Dämonisches, das schon in manchen der Titel angedeutet ist: „Cycloped“, „The Fur Faced Boy“ und „Old Father Grime“ sind einige der Werke betitelt. Auf einer derart allgemeinen Ebene ist die Gemeinsamkeit mit dem comichaften Monster-Artwork durchaus evident, und natürlich steckt in den skurrilen Körpern und Physiognomien oder in einem Titel wie „Sprite on Coke“ manch humoresker Zug. Dennoch haben die Zeichnungen eine ganz eigene Handschrift. Wollte man dem jeweiligen Stil eine Musik zuordnen, dann lassen viele seiner Coverdesigns an eine coole, futuristiche Surfrockvariante denken, die Zeichnungen dagegen erinnern an klassische Psychedelia, an Urtümlich-Archaisches, und stilistisch stehen sie ohnehin der Folk- und Outsiderart recht nahe. Alle Bilder der Reihe gehen von einem schwarzen Hintergrund aus – in der fertigen Komposition ist dieser bei manchen Arbeiten nur noch undeutlich erkennbar, meist jedoch bildet er die Basis für ein kontrastives, leuchtendes Farbenspiel, das viel zu der gespenstischen Grundstimmung der Arbeiten beiträgt. Der flächige Eindruck der Bilder wird durch geschwungene, stark bewegte Einzellinien erzeugt, die in ihrer unüberschaubaren Vielfalt figürliche Formmuster bilden. Diese fließenden Muster lassen vielfältige Assoziationen zu, allem voran entsteht ein für Folkart typischer Eindruck des Floralen, Organischen. Aufgrund der Farben sind ebenso Assoziationen zu Feuer, zu züngelnden Flammen möglich. Die Figuren, die sich aus diesem unübersichtlichen Wulst aus im einzelnen klar konturierten Linien manifestieren, sind allerdings im Gesamtbild niemals fixierbar, sondern stets unbestimmt bewegt. Interessant ist dabei, dass die Farbgebung der Einzellinien sehr vielfältig ist; insofern wirken die Werke weniger monochrom, als dass sie vielmehr farblich vibrieren. Gleichwohl werden aber in der sich so ergebenden amorphen Figur ganz bestimmte Akzente gesetzt: Meist sind es die Augen oder andere Gesichtspartien der Figuren, die eine besondere Betonung erfahren und die mythischen Gestalten dieser urtümlichen Parallelwelt direkt mit dem Betrachter in Kontakt treten lassen. Eine größere Auswahl an Zeichnungen findet sich hier, einige neue Werke sind am 15. Juni auf dem Epicurean Escapism Festival in Berlin zu sehen.
(T.M. & U.S.)
Abbildungen: 1. Pripanic, 2. Elongongated, 3. Hypnophantasmo, 4. Cycloped.