MICK HARVEY: Four (Acts Of Love)

Mick Harvey gehört nicht zu denen, die sich übermäßig viel Zeit lassen für ihre Alben, und wenn man bedenkt, was in der jüngeren Vergangenheit alles auf dem Plan stand – u.a. Touren mit den Neubauten, die Produktion des letzten PJ Harvey-Albums, die Arbeit an einer umfangreichen Serge Gainsbourg-Hommage – dann wundert man sich fast, dass zwischen „Sketches From the Book of the Dead“ und dem jüngst erschienenen „Four (Acts of Love)“ nur knapp zwei Jahre vergangen sind. Aber das passt umso besser, denn in dieser doch sehr australisch geprägten Saison darf neben Simon Bonney, Nick Cave und Hugo Race natürlich auch ein Lebenszeichen des ehemaligen Crime- und Bad Seeds-Mitstreiters Harvey nicht fehlen.

Harveys Aufnahmen haben meist Konzeptcharakter, und „Four (Acts of Love)“ ist dem Popthema schlechthin, der romantischen Liebe gewidmet. Über das Attribut „romantisch“ könnte man ganze Bibliotheken füllen. Hier soll genügen, dass wenige Begriffe derart unterschiedlich gebraucht werden, und dass alle, die in Harveys Album ein süßliches Melodrama erwarten, ein paar – wie ich hoffe, erfreuliche – Überraschungen erleben werden. Die romantische Liebe – „ihr Werden, ihr Bestehen, ihren Verlust und ihren Platz im Universum“, wie das Label mitteilt – offenbart sich hier in ihrer projektiven, mitunter tragischen, v.a. aber stets flüchtigen und ungriffigen Form und wird am Ende doch mehr gefeiert als dämonisiert. Bekennt sich der Sänger in „Praise the Earth“ zur uncoolen, idealisierenden Projektion, dann geschieht dies im Wissen um Vergeblichkeit und Irrealität, ein trauriger, aber auch genügsamer Beiklang ist weder im Timbre, noch in der Wortwahl zu überhören. Liebe ist Staub, überschattet von Kummer, heißt es im schlussgebenden „Fairy Dust“, und zwischen diesen Polen ist mancher Perspektivwechsel möglich.

Geht es zu Beginn noch recht schöngeistig und voller Songwriter-Pathos zu, so verleiten mich ein paar weitere Songs zu einem der größten Verbrechen der Musikschreiberei: einem Tom Waits-Vergleich. Interessanterweise betrifft dies zwei der Coverversionen. PJ Harveys „Glorious“ wird mit Distortion und viel Whiskey in der Stimme zu einem vordergründig abgeklärten Lamento über das Scheitern, während die Gezeiten wie immer ihren Gang gehen und das Universum sich einen Dreck um die Tragik der kleinen Seele schert. Die aufgewühltesten „Swordfishtrombones“-Momente beinhaltet „Summertime in New York“ von Outsider-Folkie Exuma, das bei Harvey kurzerhand im Noiserock-Koffer landete. Stücke von Van Morrisson, The Saints und Roy Orbison wurden wohl wegen der passenden Texte ausgewählt und geraten zu Chansons und nettem Folkpop. Zu den überzeugendsten Arbeiten zählen allerdings Harveys zum Teil abstraktere Eigenkompositionen, die hier und da mit rauem Feedback und dämonischem Flüstern aufwarten. Hervorhebung verdient das grandiose Instrumentalstück „Midnight on the Ramparts“ – selten habe ich einen so überzeugenden Morricone-Abklatsch gehört mit feierlicher Lagerfeuergitarre und einem pfeifenden Outlaw, wahrscheinlich direkt via Zeitmaschine eingeflogen aus einem der andalusischen Western-Drehorte.

Will man Harvey nun mit einschlägigen Kollegen vergleichen, dann sollte das nicht irgendwelchen Schubladen Vorschub leisten, und dass die Melbourner Veteranen alle düsterromantisch-angebluest sind, ist ja hinlänglich bekannt. Man könnte nun darauf hinweisen, dass Harvey als Songwriter weniger doppelbödig-abstrakt vorgeht als Simon Bonney, sein Instrumentarium weniger rustikal klingen lässt als Hugo Race und zuguterletzt weniger den verwegenen Edel-Hobo raushängen lässt als Meister Cave. Anders gewendet könnte man auch seine ernsthafte, etwas manirierte und bei aller Sensibilität doch direkte Emotionalität betonen. Dass all dies hier viel souveräner umgesetzt wurde als auf dem noch etwas rührseeligen Vorgänger sollte die Hoffnung nähren, dass seine Post-Bad Seeds-Phase noch einiges zu bieten hat.

Label: Mute