DBPIT & XXENA: IHSV

Religion ist in, Religionskritik ebenso. Für einen streng gläubigen Menschen muss die Frage nach Nutzen und Nachteil eines religiösen Weltbildes sinnlos erscheinen, so manche Zweifler dagegen stehen vor einem Fass ohne Boden, in dem sie nicht nur nach Antworten auf metaphysische Fragen suchen. Religionen werfen bekanntlich eine ganze Reihe an weltlichen Fragen auf, schließlich ist der Glaube in religiösen Gesellschaften eine Basis für soziale, kulturelle und ethische Normen. Theoretisch kann ein areligiöser Mensch der Ansicht sein, religiöse Ordnung tue einer Gesellschaft gut, und manch ein Atheist liebt gotische Architektur oder eine Musik, die ohne Religion nie existiert hätte. Flavio Rivabella (DBPIT) und Arianna Degni (XXENA), Lesern unserer Publikation hinlänglich bekannt, setzen sich auf ihrem aktuellen Tape-Album mit dem Zusammenhang von Glauben und Krieg auseinander. Dabei nehmen sie, wie aus einem Voltaire-Zitat in den Liner Notes hervorgeht v.a. das Christentum unter die Lupe: “Our religion is without a doubt the most rediculous, the most absurd, and the most blood-thirsty ever to infect the world”.

Bei einem Duo, in dessen Projektname das Wort „Industrial“ versteckt ist, erfolgt eine solche Auseinandersetzung natürlich nicht diskursiv – obwohl durchaus Lyrics vorhanden sind – sondern primär konfrontativ, Tracktitel und Atmosphäre wollen diejenigen wachrütteln, für die „düsterer Lärm“ noch etwas mehr als bloßes Konsum- und Sammelobjekt ist. „IHSV“ (ausgeschrieben „In Hoc Signo Vinces“, auf deutsch „In diesem Zeichen wirst du siegen“) funktioniert primär lautmalerisch, insofern die Musik fast durchgehend dunkel und martialisch klingt und sakrale Elemente integriert.

Im Opener verschmilzen die metallischen Klänge schweren Geräts mit rituell-repetitiven Sounds, die entfernt an Kirchenglocken erinnern, moderner Materialismus verschwimmt mit sakraler Erhabenheit zu einer unheilvollen Einheit. Monotone Rhythmen – das Echo einer geisterhaften Prozessionen – und Chorsamples, die ganz ähnlich auch in einem Con-Dom-Stück vorkommen könnten, funktionieren nach dem gleichen Muster, vor allem aber zeigen sie, dass der kritisierte Gegenstand durchaus seine beeindruckenden Seiten hat, denen sich auch mancher Gegner nicht entziehen kann. Aber „IHSV“ ist keineswegs eindimensional und lotet unterschiedliche Stimmungslagen aus. Neben xXeNas berührendem Stimmvortrag im zweiten Track halten die Stücke der zweiten Seite die stärksten Momente parat. Auf den Dialog über die Rolle der Geschlechter in „The Word of our God…“ folgt eine fast schon sarkastische Totenklage, bei der Flavios Markenzeichen, die Trompete, seinen Auftritt hat. Das finale Titelstück, eines der wenigen Stücke mit Gesang Flavios, lässt der stets angedeuteten Gewalt endgültig freien Lauf. Hört man Stiefel über eine gefrorene Schneedecke marschieren, bevor alles in einer MG-Salve endet, ist es fast schon etwas zu viel des Guten.

Ein Konzeptalbum zum Thema Religion und Krieg impliziert schon in der Themenwahl eine gewisse Wertung, da viele Glaubenssysteme sich als Religionen des Friedens betrachten. Dennoch kommuniziert „IHSV“ weitgehend über Andeutungen und lässt vieles offen, so dass eigenen Assoziationen keine allzu engen Grenzen gesetzt sind. Tatsächlich ist die Frage, wie stark religiös verschiedene Kriege motiviert sind, wie sehr religiöses Sendungsbewusstsein gegenüber beispielsweise wirtschaftlichen Beweggründen ins Gewicht fällt, selten pauschal zu beantworten. Freilich gab und gibt es stets Gläubige und Skeptiker, die das eindeutiger sehen wollen.

Für religiös motivierte Kriege sind die Kreuzzüge sprichwörtlich geworden, und der vieldiskutierte Begriff des Djihad wird neben anderen Bedeutungen eben auch ganz buchstäblich für Krieg verwendet. In vielen Kriegsfällen spielt die Religion aber eine Rolle unter anderen. Bei den kolonialen Eroberungen in der Neuen Welt lieferte die Religion den Legitimationsgrund, die eigentlichen Gründe waren jedoch ökonomischer und demographischer Natur. Bei den Eroberungen der muslimischen Umayyaden stiftete die Religion primär Zusammenhalt, die zentralen Gründe lagen aber im Aus- und Aufbau eines lukrativen Handelsnetzes. Die andere Variante, bei der Kriege weniger religiös anmuten, als sie sind, gibt in der neueren Geschichte stets Anlass zur Diskussion. Wurden die verheerendsten Kriege der Geschichte nicht gerade von weltlichen Herrschaftssystemen geführt? Sicher, aber die Frage ist tückisch, sobald man die Spuren religiöser Weltanschauung einbezieht, die in säkularisierter und zugleich ideologisierter Form weiterleben, ganz abgesehen davon, dass der Kapitalismus und seine (linken wie rechten) Nebenwirkungen ohnehin Züge quasi-religiöser Heilslehren aufweisen. In den Weltordnungskriegen der letzten Jahrzehnte saß auch immer der frömmelnde Puritaner mit am Steuer, um mit Büchse und Bibel zu missionieren. Gerade solch indirekte Zusammenhänge lassen das Thema, das auf den ersten Blick wie ein alter Hut wirken mag, immer noch interessant erscheinen.

An der Stelle schließt sich dann auch der Kreis zum Voltaire-Zitat. Doch nun genug zum Fass ohne Boden. Ariannas und Flavios Auseinadersetzung speißt sich in erster Linie aus Wut und der Lust am Einreißen vorgeblich schöner Fassaden. So etwas macht nach wie vor Spaß, alles andere ist Sache des interessierten Hörers. (U.S.)

Label: Industrial Culture