Noch in den 90ern lag zwischen Rock und Minimal Music ein Abgrund, und die Vorstellung, dass eine Musik beides zugleich sein könnte, wäre den meisten wohl absurd erschienen. Das änderte sich bekanntlich, als das Erbe von Pionieren wie LaMonte Young, schon weitergetragen durch Innovatoren wie Glenn Branca, im Mainstream ankam und die unterschiedlichsten Genres hervorbrachte. Lili Refrain zählt zu denen, die in beiden Welten zuhause sind. Ihre früheste musikalische Leidenschaft galt Rock und Metal, irgendwann entwickelte sie – die Auseinandersetzung mit Theorie wird ihren Teil dazu beigetragen haben – ein Interesse an der Repetition, am endlosen Dröhnen und an der Inklusion unterschiedlichster Motive in kunstvolle Klangmosaiken. Letzteres sollte sich in ihrer eigenen Musik schon bald als eine veritable Loopmaschine entpuppen.
Hätte man ihrem letzten Album, einer Hommage an die Musen mit dem Titel „9“, mit etwas Fantasie noch einen leichten Folktouch attestieren können, so fehlen auf „Kawax“ akustische Elemente weitestgehend. An die Stelle von „Desertsnake Ballads“ tritt neuerdings eine noch schwerere Ladung dröhnenden Feedbacks, dessen doomiger Beigeschmack zusammen mit dem an Gruppen wie Menace Ruin erinnernden Gesang gleich zu Beginn im Abstrakten aufgelöst wird. Das an den Albumtitel anspielende „Kowox“ fällt mit einem enervierend altbackenen Gitarrensolo mit der Tür ins Haus, allerdings ist die Tonfolge viel zu repetitiv um prollig zu wirken, und über kurz oder lang verschwindet sie ohnehin unter einer massiven Dröhnwand. Viel eher behaupten sich die Heavy-Anleihen in martialischen Riffs und heroischen Melodien, die bald die Oberhand haben, doch Refrain scheint ein gutes Gespür dafür zu haben, wie weit sie gehen kann, ohne dass doch noch ein Song daraus wird. Immer wieder deuten Aspekte in diese klassische Richtung – auch Außermusikalisches wie der Titel „666 Burns“ oder das Artwork, dessen Symmetrie der Symbolik wiederum eine stark artifizielle Note verleiht – doch niemals geht die Künstlerin in die Falle der Retromanie und Pseudo-Authentizität.
Neben urigen Rock-Motiven ist europäische Kunstmusik eine weitere Säule ihres Repertoires. Zugleich demonstrieren die entsprechenden Stücke, dass Refrain eine talentierte Sängerin ist, die auch in weniger experimentellen Musiksparten zu überzeugen wüsste. In „Goya“ mischen sich Operngesang und kräftige Chorpassagen mit einem fast punkigen Bandsound, der sich in „Elephants on my Pillow“ verselbständigt. Wie es scheint, hat sie auch beim New Wave, bei The Damned und Andam Ant ihre Hausaufgaben gemacht. Ein besonderer Moment ist ihre Neuinterpretation von Eden Ahbez’ Evergreen „Nature Boy“, den sie regelrecht zerfetzt und wie ein krudes Puzzle neu zusammensetzt. Stets werden bestimmte Passagen des schlichten Textes wie im Zoom hervorgehoben, wiederholt, überblendet, kontrastiert und in einen Klagegesang transformiert. Am Ende beschleicht einen das Gefühlt, dass erst so herum – bei allem Respekt vor den Umsetzungen von Nat King Cole, Bowie oder In Gowan Ring – ein Schuh daraus wird.
Bei all diesen Bezügen und Lilis „postmoderner“ Verwurstung müsste „Kawax“ eigentlich ungemein nerdig klingen, verkopft obendrein, und heiteres Referenzenraten wäre angesagt. Dass dem nicht so ist, könnte daran liegen, dass bei all der Umgestaltung des Materials dessen Energie nicht verloren gegangen ist und stets die Liebe zur Musik durchscheint. Schon deshalb ist „Kawax“ auch kein simpler Meta-Rock für selbsternannte Auskenner.
Label: Subsound