LAIBACH: Spectre

Dass längst wieder eine Zeit für politische Manifeste angebrochen sei, ist bei Weitem keine randständige Meinung, und kaum jemand verkörpert diesen (Gegen-)Zeitgeist im Moment so markant wie Laibach in einigen Songs ihres Albums „Spectre“ – denn wenn es eine Sache gibt, die sich bei den Slowenen verändert hat, dann dass sie mehr denn je verstanden werden wollen. Die stets hervorgehobenen Ambivalenzen, die zweideutigen Rollenspiele früherer Aufnahmen sind nicht völlig verschwunden, machen aber über weite Strecken Raum für recht klare Positionierungen zum aktuellen Weltgeschehen. Und weil Botshaften am besten in schmissiger Verpackung funktionieren, setzt man musikalisch alles dran, um möglichst mitreißend – und populär – zu klingen.

Die wichtigsten Säulen der Musik Laibachs sind orchestrale Wucht und eine rhythmisch orientierte, kraftvolle Elektronik. So sehr dies alles auch immer wieder Mischformen bildet, gab es dennoch Aufnahmen, die eine dieser Seiten, unabhängig vom Experimentcharakter des jeweiligen Werks, besonders stark betonen. Die technoiden Laibach erlebten ihre erste Blüte im „Kapital“, schöpften ihr populäres Potenzial in „NATO“ aus und mutierten im „Tanz mit Laibach“ später zur freiwillig-unfreiwilligen Selbstkarikatur. Karikaturesk, hier allerdings im besten Sinne, ist auch Milan Fras’ (Sprech-)Gesang, der so oft talentlos kopiert wurde und mich doch stets mehr an Leningrad Cowboys als an Rammstein erinnert. Wer darin eine Überzeichnung politischer Ansprachen sehen will, der sollte nicht übersehen, dass es v.a. der messianische oder prophetische Charakter ist, ein bis zur Vergottung religiös aufgeladener Zug politischer Ikonen, den der Frontmann dabei vorführt. Auch „Spectre“ arbeitet mit diesen Komponenten und knüpft an diesen Sound an, was je nach Track technoide, ambiente oder elektropunkige Formen annimmt und dabei perfekt auf die schwarze Großraumdisko abzielt, wo Stücke wie „The Whistleblower“ – ein Ohrwurm wie Pet Shop Boys’ „Go West“ – oder „No History“ den idealen Übergang vom Cybertechno zur Neuen Härte bieten.

Neben zackigen Rhythmen und geschliffenen Synthies dringen dabei allerhand Schlagworte aus den Boxen, die die Schattenseiten einer schal gewordenen Politik und Kultur fassen und manchmal eine regelrechte Anleitung zum Ändern der Welt formulieren. Man kann den Opener als Hommage an moderne Heroen wie Manning und Snowden betrachten, und doch münzen Laibach den Whistleblower-Begriff primär auf sich selbst als Laus im Pelz eines Kulturbetriebes, der schlicht Teil eines Systems ist, das später u.a. mit Folter und einer banalen Konsumreligion in Verbindung gebracht wird. Eine ähnliche Selbstfeier findet sich in „Resistance is Futile“, und spätestens hier wird klar, dass das titelgebende Gespenst, das im zerfallenden Europa umgeht, heute Laibach ist. Das kann man, wie einiges mehr, durchaus doppelironisch finden. Inwiefern das Teutonische die heutige Situation immer noch zu illustrieren vermag, ist fraglich, Spaß macht es aber durchaus.

Die Grundstimmung des Albums ist von einem Aufbruchsoptimismus erfüllt, der mitreißt, der aber auch eine etwas sperrigere musikalische Gestaltung vertragen hätte, zumal er ohnehin an vielen Stellen in wenig vorteilhafte Untiefen kippt. Manche der zackigeren Nummern wirken so naiv-rotzig, dass ich an das Comeback von Atari Teenage Riot denken musste, wobei Mina Špiler, eigentlich Sängerin bei Melodrom, einem Stück wie „Bossanova“ dem coolen Charme eines verqueren James Bond-Songs verleiht. Im letzten Stück gelingt Spiler und Fras ein Duett, das hart an der Kitschgrenze ist: Während die eine Stimme von einem besseren Ort und den Idealen der französischen Revolution träumt, mahnt die andere zur Bodenständigkeit und erinnert daran, dass Worte erst das Rohmaterial für die Zukunft sind. Dagegen ist nichts zu sagen, außer dass es doch etwas zu viel des Didaktischen ist.

So ist „Spectre“ dann auch schwer in seiner Gesamtheit zu beurteilen. Bislang bildeten Inhalt und Form bei Laibach stets eine untrennbare Einheit, wohingegen das neue Werk die Hörer mehrfach spalten könnte. Was die inhaltliche Stoßrichtung betrifft – sollte es in Die Welt und Jungle World Verrisse hageln, dann hätten Laibach gewiss ihr Ziel erreicht, aber letztlich steht und fällt das mit der schon vorhandenen Position des einzelnen Rezipienten. Dass das Ganze konzeptuell subtiler und ästhetisch ohne weichgezeichnetes Spektakel funktioniert hätte, steht auf einem anderen Blatt. Doch im Interesse der Message setzte man wohl alles auf die populistische Karte. (U.S.)

Label: Mute