Erst kürzlich las ich in einer Kolumne die ironisch gemeinte Beweisführung, dass Roboter die besseren Menschen seien, bzw. dass sie eben darum besser seien, weil sie alle Beschränkungen der menschlichen Psyche und Physis hinter sich gelassen haben. Seit langem träumen Utopisten davon, den Menschen zwar nicht abzuschaffen, ihn aber mittels Technik über seine anthropologischen Grenzen hinauswachsen zu lassen. Transhumanismus nennt man das. Wenn Dave Phillips von einer Erneuerung der menschlichen Spezies spricht, zielt er in die beinahe entgegengesetzte Richtung, denn was er unter Schlagworten wie “humanimal” und “homo animalis” stark macht, sind Aspekte, die seit jeher mit Begriffen des Tier- und Naturhaften verbildlicht werden. In einem manifestartigen Stichwortkatalog macht er im Booklet seiner neuen 2CD klar, warum er seine Ideen dennoch als progressiv begreift.
In deutlichen Worten lässt Phillips keine Zweifel daran, dass die Kampfansage seiner humanimal theory v.a. dem Hypertrophieren der Vernunft gilt, die das abendländische (und später globalisierte) Subjekt seit der Klassik, seit Empirismus und Rationalismus, prägt und das Substrat bildet für Kapitalismus, Nationalstaatsideologien und die Zernutzung der Natur.
Die Beobachtung, dass rationale Logik nur eine Vorstufe intellektueller Reflexion darstellt und dass instrumentelle Sprache nur oberflächliche Wahrheiten ausdrückt, sind die ersten Schritte einer progressiven Entmenschlichung, die v.a. deshalb so brutal klingt, weil Vernunftgläubigkeit seit der Neuzeit untrennabar mit einem emphatischen Humanitätsgedanken verwoben scheint. Logik, Nützlichkeitsdenken und ein Ordnen der Welt in primitive binäre Schemata haben materiellen und ökonomischen Fortschritt um den Preis geistiger und ethischer Verflachung befeuert. Militarismus und organisierte Religion sind ebenso Teil davon wie Konkurrenzdenken und ein kompensatorischer Hedonismus, der mit Lust und Begehren so wenig zu tun hat wie eine philosophische Publikationsindustrie mit echter intellektueller Neugier. Will der Mensch erwachsen werden, muss er all dem einen Fokus auf Intuition, Instinkt und Empathie sowie einen rebellischen Sinn für Kooperation entgegensetzen. Als lingua franca sollte der Sound die Sprache ablösen.
Gedanken wie diese sind nicht brandneu und müssen es auch nicht sein, denn mögen ihre verschiedenartigen Ausprägungen seit der Romantik auch immer mal wieder en vogue gewesen sein, so waren sie im Schnitt doch immer eine Angelegenheit von kulturellen Seitenpfaden, wenn sie denn nicht flugs als eskapistische Heterotopien musealisiert worden sind. Es besteht also Wiederbelebungsbedarf, und Phillips erledigt dies im Rahmen einer Musik, die man eher mit fatalistischen Dystopien als mit der Idee des neuen Menschen in Verbindung bringen würde.
Trotz ihrer z.T. vormaligen Veröffentlichung auf diversen Tonträgern wirken die einzelnen Tracks recht homogen, und gerade die längeren Stücke tendieren oft in Richtung Hörspiel. Die kaum erträglichen Todesschreie, die nicht das Geringste mehr mit Gesang gemeinsam haben, der verrauschte Lärm in verschiedenen Graden der Subtilität, der sich hin und wieder graduell verdichtet und einen Peak ansteuert, der aber ausbleibt – all dies impliziert schon einen narrativen Zug, der durch plötzliche Detonationen und mechanische Arbeitsgeräusche noch verstärkt wird. Ein zentrales Leitmotiv allerdings ist das animalische Quieken und Grunzen, das stellenweise mit (noch) menschlich wirkenden Stimmen verschmilzt und – v.a. in rhythmischer Orchestrierung – ebenso unheimlich wie witzig klingt. Galt in Benns polemischen Versen noch “das Schwein, der Mensch” als Krone der Schöpfung, so scheint die Symbiose aus beiden bei Philips zumindest einen evolutionären Schritt zu markieren.
Diese Vagheit, die Unbeantwortbarkeit der Frage, wie ernst oder doch eher schwarzhumorig Phillips hier zur Sache geht und wieviel Optimismus hinter der Idee seines homo animalis steckt, bewahrt das Konzept davor, trotz der deutlichen Worte ins Didaktische zu kippen. (U.S.)
Label: Schimpfluch Associates