Als Ende der 70er Genres wie Noise und Industrial entstanden, erlebte die experimentelle elektronische Musik nicht nur neue Dimensionen des Atonalen und Verstörenden. In ihrer sarkastischen Haltung zur spätindustriellen Gesellschaft und aufgrund ihrer Liebe zum Schrott brachen einschlägige Musiker auch eine Lanze für das Aneignen, Recyclen und Umcodieren ganz unterschiedlicher Ausgangsmaterialien, sei es durch Sampling, durch Querverweise oder durch Kollagetechniken unterschiedlichster Art. Über die Jahre ist aus der einstmals revolutionären Neuerung ein solides Handwerk geworden, auf das nur selten noch jemand explizit verweist. Zu den Ausnahmen zählt der in Berlin lebende Kalifornier Mark Wilson, der seit gut fünfzehn Jahren unter dem Namen Conure – dt. „Sittich“ – aktiv ist. Mit seinem aktuellen Titel „Interpretations“ referiert der Musiker auf Praktiken des Wiederverwertens und Umarrangierens – auf den langen Entstehungsprozess des Tapes in einer Folge kontinuierlicher Überarbeitungen, bis sich die einzelnen Tracks aus einem einzigen langen Soundwall herauskristallisiert hatten. Aber auch auf das Verschmelzen von Einflüsse unterschiedlicher Arten experimenteller Musik, die man erst bei genauerem Hinhören zur Kenntnis nimmt.
Wer mit dem ambienten Noise früherer Conure-Releases vertraut ist, wundert sich vielleicht, dass der Opener „What we need“ jegliche Einleitung ausspart und gleich laut und verstörend zur Sache geht. Vielschichtiges Schleifen und Rauschen, durchdrungen von prasselnder Perkussion und einem an den Nerven zerrenden Pfeifton erinnern mehr als nur latent an aggressiven Powernoise, nur die gleitende Monotonie lässt noch entfernt so etwas wie Ambient anklingen. Erst im Laufe des Tapes zeigt Wilson, dass seine Stärken eher im subtilen Spiel mit Andeutungen und im spannungserzeugenden Herauszögern dramatischer Höhepunkte liegen. Die meisten Stücke bauen sich eher langsam auf, spielen mit Erwartunghaltungen und gehen erst mit der Zeit über in derben Lärm, der selten mit soviel Selbstbeherrschung Hand in Hand geht. Laute, atonale Höhepunkte gibt es nur an ausgewählten Stellen, denn Wilson weiß sein Material gut zu dosieren und vor Abnutzung zu bewahren. Dies gilt auch für die latent rhythmischen Momente, die man als Hörer mit nachvollziehen muss, da sie meist nur angedeutet bleiben, so dass der Titeltrack beispielsweise nicht wie ein SPK-Fanboy-Angstpop-Stück endet, sondern als eine von MG-Salven zerfetzte Kakophonie.
Zerfetzt und derangiert muten auch die weniger dramatischen Momente an, so das leicht rituelle „Full Renewal“. Das unterschwellige Knarren, das dem Stück zugrundeliegt, ist mein Lieblingssound dieses reichhaltigen Tapes, auf dem jeder Moment zählt und keine überflüssige Zeit geschunden wird. (U.S.)
Label: Silken Tofu