Thomas Köner hat sich allein schon mit seinem Frühwerk einen Platz im Pantheon der Geräuschmusik(er) gesichert, die nun nur digital erhältliche Veröffentlichung „La Barca (Complete Edition)“ wird ein Weiteres dazu beitragen und ist ein wahres Mammutunterfangen: Ursprünglich war „La Barca“ eine Videoinstallation, audiovisuelle Liveperformance wie auch ein Album, das 2009 als CD, 2010 auf Vinyl mit fünf Bonustracks erschien und nun für die digitale Veröffentlichung um weitere fünf, bisher unveröffentlichte Stücke ergänzt wurde.
Gemeinsam ist allen 22 Stücken, dass das Klangmaterial, aus dem diese entstanden, innerhalb von zwei Jahren an verschiedensten Orten der Welt aufgenommen wurde. Köner schreibt, dass der Titel des Albums auf die Sonnenbarke des alten Ägyptens verweise (die natürlich ein Sinnbild für Bewegung, für das Zyklische ist). Sein Plan sei es gewesen, eine „klangliche Kartographie“ der von ihm besuchten Orte zu erschaffen. Natürlich können solche Aussagen dazu dienen, klanglich eigentlich uninteressante Stücke auratisch aufzuladen, mit solch „törichtem Rankwerk künstlich auf[zu]werten“ (wie es Asmus Tietchens, mit dem Köner als Kontakt der Jünglinge arbeitet, einmal formulierte), aber diese Gefahr besteht bei „La Barca“ nicht, zu spannend ist dieses Album, das Material aus Tokyo und Jerusalem, Spitzbergen und Brisbane, Tokyo und Hamburg (und das sind nur sechs der 22 Orte) enthält. Man hört fast immer Stimmen, die aber meistens im Hintergrund bleiben, kaum zu lokalisieren sind: Es ruft der Muezin („Damascus (Hour Six)“), man hört Lautsprecherdurchsagen („Paris (Hour Seven“, „Manhattan (Hor Five)“), Menschen schreien sich etwas zu („Glyfada, Athens“). In Hamburg fällt Regen und Glocken läuten, in Madrids Calle De Argumosa meint man, ein Klavier zu erahnen, in einem Wald bei Brisbane zwitschern die Vögel, ein Mann erzählt in Montenegro.
Verglichen mit Köners Frühwerk ist „La Barca“ wesentlich melodischer, und gleichzeitig ist das trotz der verschiedenen Orte und ihren sehr unterschiedlichen Eigenschaften ein in sich unglaublich stimmiges Album: Allen Stücken gemein ist eine leicht nebulöse, somnambule Atmosphäre, ganz so, als solle eine Melancholie des (Ver)Reisens erzeugt werden (Köner selbst spricht davon, dass die Stücke „a hallucinogenic effect and a Zen-like feeling of eternity“ hätten ). Dieses Album zeigt, dass „das Fahren“ nicht „vergeblich“ ist und dass aus dem Bereisen einzelner Orte durchaus „Wunder und Weihen“ resultieren können – um einem berühmten Gedicht eines Mannes zu widersprechen, für den die Kunst die letzte metaphysische Tätigkeit innerhalb des europäischen Nihilismus darstellte. (M.G.)
Label: Thomas Köner self-released