PACIFIC 231 & BARDOSENETICCUBE: The Traditions Of Changes

Wenn zwei Musiker einen völlig konträren Ansatz verfolgen, kann eine Kollaboration zu ungewöhnlichen Ergebnissen führen oder grandios scheitern. Nur eines ist sie niemals: vorhersehbar. Igor Potsukaylo alias Bardoseneticcube ist nach eigener Einschätzung der geborene Surrealist, der sich von seinen Ideen und Assoziationen eher treiben lässt, vergleichbar einem Schreiber der ecriture automatique, der seiner Feder und den Worten freien Lauf lässt. Pierre Jolivet alias Pacific 231 ist Komponist, der dem Soundmaterial begegnet wie ein Bildhauer seinem Steinblock, wenn er schon längst die Idee des künftigen Werks vor Augen hat. Einer fürs kreative Chaos also und ein anderer, um ebendies in eine verdauliche Form zu bringen.

„The Traditions of Changes“ beginnt mit diesem reizvollen Knack- und Frickelsound, die auch der versierteste Noisefan zunächst an einen Defekt denken lässt, zumal das erste der vier Stücke auch noch sehr leise anklingt und Hochfrequentes enthält. Interessant, wie ein dünner Hochtöner diesem minimalistichen Szenario Struktur gibt. Bis zum Ende des ausgiebigen Auftaktes und zum Übergang in etwas heterogeneres Material, wäre der unkonzentrierte Gelegenheitshörer längst in Tiefschlaf verfallen, denn es braucht einen gewissen Grad an Involviertheit, um in den chaotisch vor sich hin mäandernden Soundfetzen aller Coleur, die sich in alle Richtungen im Raum verteilen und gelegentlich in menschliches Geschnatter münden, die durchaus vorhandenen Kompositionsmuster zu erkennen. Im Verlauf erweist sich das auf zahlreichen Feldaufnahmen basierende Soundpanorama allerdings als ausgesprochen vielschichtig und reich an Überraschungen und Variationen.

Laut Eigenangabe ist „The Traditions of Changes“ von einem Klassiker der utopischen Literatur, nämlich Francis Bacons „New Atlantis“ inspiriert und von der Idee, eine neue Sprache zu erfinden. Nun ist die Idee, die verbale Sprache durch Sound zu ersetzen, nicht neu und hat die Menschen immer wieder beflügelt. Was die beiden Musiker hier absolvieren ist jedoch weniger eine solche Sprache selbst, als der Versuch eine solche zu entwickeln – ein work in progress mit einem noch offenen Ende, dass durch surreale Komik und originelle Soundideen überzeugt. (U.S.)

Label: Silken Tofu