SIEBEN: Lietuva

Es vergeht kein Jahr ohne ein oder mehrere Lebenszeichen von Matt Howden, dem Mann, der jahrelang die erste Geige des Neofolk spielte und sein Instrument nach allen Regeln und Regelbrüchen streicht, zupft, als Handdrum nutzt oder mit seinen Bartstoppeln kratzend in die Rassel eines Schamanen verwandelt. Mithilfe von Mikros, Sampling und Looptechnik entsteht im Handumdrehen der Sound einer ganzen Band, bei der Matt dann gleich noch die Rolle des Frontsängers übernimmt. Von seinem Hauptprojekt Sieben erscheinen in zuverlässiger Regelmäßigkeit opulente Alben, doch Kollaborationen und Neuinterpretationen gibt es ebenso häufig. Kleinere Releases sind bei Matt eher selten, und so hat nun auch die erste Sieben-EP so viel Material zu bieten, dass manch anderer ein ganzes Album daraus gebastelt hätte. “Lietuva” ist eine persönliche Hommage an Litauen.

In dem kleinen baltischen Land war Matt wohl schon öfter, und zwei Orte haben ihn besonders für die Gegend eingenommen. Da wäre zum einen das längst überregional bekannte Folkfestival Menuo Juodaragis, das einheimischen und ausgewählten internationalen Acts wie eben Sieben eine Bühne bietet. Einen ebenso starken Eindruck hinterlassen hat der Wilnaer Stadtbezirk Užupis, in dem eine Reihe an Künstlerkollektiven (ganz ähnlich dem bekannteren slowenischen NSK) einen eigenen Staat mit eigeger Verfassung ausgerufen haben.

Auf “Lietuva”, das in der Landssprache Litauen bedeutet, setzt Matt beidem ein musikalisches Denkmal, abgerundet werden die immerhin schon dabei entstandenen gut zwanzig Minuten durch Neufassungen von zwei älteren Songs. Was die beiden neuen Stücke am markantesten hervorhebt, ist die Länge und die ausladende Struktur, bei der typische Sieben-Momente, die Repetition und der stufenweise Aufbau des Klangbildes, derart gesteigert werden, dass sie den üblichen Songcharakter nahezu auflösen. “Black Moon Rise Again” beginnt als eine der futuristischeren Sieben-Nummern, ein mysteriöser Zupfloop und undefinierbares Rauschen stimmen erwartungsvoll, und schnell wird klar, dass es hier ausgesprochen rhythmisch zugehen wird. Erst nach einiger Zeit meldet sich Matt zu Wort, doch vielleicht ist es auch nur sein Replikant, denn die elektrifizierte Stimme wirkt so artifiziell wie das matraartige Wiederholen des Songtitels. Fast könnte man sich davon meditativ einstimmen lassen, doch die Vitalität des Tracks lässt keinerlei Versenkung zu, schon gar nicht, wenn er seinen Saiten veritable Rockriffs entlockt.

Während “Black Moon Rise Again” trotz Länge durchaus in einem alternativen Radiosender funktionieren würde, ist “Užupis” weitaus eigensinniger – die Rhythmen ritueller, die Melodieansätze dramatischer, und die tiefen, hallunterlegten Vocals holen einen zurück ins Hier und Jetzt. Der Text zitiert die Verfassung des Kunststaates, deren Gebote in einem eindringlichen “Dont fight, don’t surrender” kulminieren. Ich möchte die beiden älteren Stücke nicht als Bonus verstanden wissen, denn dafür fügen sie sich zu gut ein in den Sound und die Stimmung der EP. “Cult of the Fallen” mit der Ormanente malenden Geige ist eine elektrifiziertere und gleichsam luftigere Version von “Ogham the Blood“, “Knudlustysummer” ist ein berührender, fast ambienter Ausklang und gibt den Instrumentalparts einen etwas größeren Raum als noch im Original auf “Sex & Wildflowers”.

Nicht nur die Länge, sondern auch die keineswegs auf Eindimensionalität bauende Stimmigkeit der einzelnen Beiträge, lässt “Lietuva” eher wie ein kleines Album als wie eine MCD wirken. In einer besseren Welt würde die Platte mit dem eindringlichen Artwork von Martin Bedford in den Schaufenstern aller gut sortierten Plattenläden stehen. Da das mit der besseren Welt so eine Sache ist, sollte man diese Hoffnung vorerst auf eine der nächsten LPs vertagen, bis dahin heißt die Alternative Bandcamp. (U.S.)

Label: Redroom