Das Doppelalbum „Fragmentary“ lässt sich als Livedokument wie auch als eine Art Werkschau des deutschen Duos betrachten, denn die 16 Tracks (inklusive fünf bislang unveröffentlichter Stücke) stammen so in etwa aus jeder Schaffensphase. Der dunkle Ambient, den Herbst 9 seit Ende der 90er auf einer Reihe von Alben gespielt haben, wurde durch Artwork und Titelgebung in Regionen verortet, die zeitlich und örtlich weit entfernt von unserem Habitat sind, nahmen Bezug auf Mesopotamien, auf (ur)alte Zivilisationen: „Ereškigal, Rise From Your Throne“ verweist auf die sumerische Schlangengöttin, Ašimbabbar („The Sage Lord Ašimbabbar“) ist ein seltener Beiname des Mondgottes. Es geht und ging also um Zivilisationen und Gottheiten, die eigentlich schon lange begraben sind: „Buried Under Time and Sand“ heißt ein Stück bezeichnenderweise („Buried By Time and Dust“ nannte sich ein Song auf dem verspäteten Debüt der vielleiht bekanntesten norwegischen Schwarzmetaller). Man hat fortwährend das Gefühl, man müsse sich durch dicke Gesteinsschichten wühlen, um namenlose Städte und Stätten freizulegen, Rufe erschallen „From Below“.
Musikalisch wird viel Hall eingesetzt, man hört entfernte, verfremdete Stimmen, die Unverständliches rezitieren („Ningirsu Ušumgal“, „She Filled the Wells of the Land With Blood“, „Ereškigal, Rise From Your Throne“), archaisch anmutende Perkussion, Drones schwellen an und ab, man hört Kehlkopfgesang („Warkatu I“), Schreie/Beschwörungen („Etequ“), Frauengesang („The Laments Begin“). Auf „Warkatu II“ gehen seltsame Stimmen, Perkussion und Ethnoklangflächen eine Symbiose ein, dass man an eine verrauschte Version von Dead Can Dance erinnert wird und das ist beileibe nicht abwertend zu verstehen.
Das ist Geschichte als Mythos, als Raunen, voll Schamanismus, wenn man so will, viel eher ekstatische als nüchterne Historie und die 16 Stücke sind im wahrsten Sinne des Wortes Stimmungsmusik. Während die Labelkollegen von Inade (oftmals) das Mystische in den Fernen des Weltalls verorten, situieren Herbst 9 es in den Tiefen der Erde und Geschichte, wobei beide Bands es schaffen, mit ihrer Klangforschung – bei Herbst 9 liegt die Metapher der Klangarchäologie natürlich nahe- einem oftmals sehr vorhersehbaren Genre neues Leben einhauchen. (M.G.)
Label: Loki