Von allen Popgruppen mit Wurzeln im New Wave haben die Jungs aus der Londoner Trabantenstadt Basildon, die im letzten Schnipsel der 70er als Composition of Sound firmierten und sich kurz darauf in Depeche Mode umbenannten, die vielleicht konstanteste Erfolgsgeschichte hinter sich, und es gibt außerdem wenige, die in den Jahrzehnten ihres Bestehens in aller Harmlosigkeit derart polarisiert haben. In meiner Teenagerzeit, in der sich auch immer wieder Depeche Mode-Platten in meinem Regal einfanden, gab es die einen, die in der Combo fast so etwas wie ein Mysterium dunkler Avantgarde sahen und sich anhörten, als sprächen sie über Coil oder die Neubauten.
Andere wiederum sahen in dem (damaligen) Quartett nur eine gelackte Teeniekapelle, wobei sich Prolls und elitäre Auskenner oft aufallend wenig in der Wortwahl unterschieden. Tatsache ist, dass Depeche Mode in ihren frühen Jahren atmosphärisch wie soundmäßig durchaus Dinge geschaffen hatten, die wenig mit dem Synthiepop ihrer zahlreichen Epigonen zu tun hatten, man denke nur an mysteriöse Samplekollagen wie “Pipeline” oder urige Semigoth-Nummern wie “More than a Party”, beide vom “Construction Time Again”-Album. Tatsache jedoch ist außerdem, dass Depeche Mode immer eine Affinität zu allzu gefälligen Refrains hatten und Martin L. Gores frühe Texte in ihrer bemühten Tiefsinnigkeit oft an das Dr. Sommer-Team einer verschrienen Postille erinnerten. Ganz schlimm wurde es, wenn dann auch noch Gesellschaftskritik mit ins Spiel kam.
Erst in der zweiten Hälfte der 80er veränderten sich das Auftreten und das musikalische Image der Band. Waren sie zuvor etwas, dass man mit heutigen Begrifen, wenn auch unter Vorbehalt, als Hipster bezeichnen könnte (ein damals üblicher Begriff wie Popper hätte aufgrund ihrer ständigen Hinwendung zu subkulturellen Motiven kaum gepasst), so wandelten sie sich schrittweise über Alben wie “Black Celebration”, “Music for the Masses” und “Violator” in ein Rockstar-Gebilde. Man täte ihnen jedoch Unrecht, würde man das als reinen Qualitätsschwund abtun, denn obwohl die “kultigen” Elemente mehr und mehr verschwanden, gestaltete sich der Sound immer virtuoser ohne je ins Glatte und nur noch Kitschige zu kippen. Die wichtigste Entwicklung in dieser Zeit war textlicher Natur, denn irgendwann wurden die Lyrics poetischer, Interaktionen mit einem lyrischen Gegenüber standen stärker im Vordergrund. Wortungetüme wie “situations” reimten sich nicht mehr auf “diplomatic relations” und die Hörer bekamen auch keine Weisheiten wie “be flexible” oder “get the balance right” mehr aufgezwungen. Der Grundstein war gelegt für die Depeche Mode der 90er, die trotz Dave Gahans narzisstischer Selbstdarstellung zu den anspruchsvollsten Popacts ihrer Zeit wurden bei immer noch bestehendem Interesse an kleinen Experimenten.
Es mag nicht von ungefähr kommen, dass Sylvain Chauveau, den man ansonsten von beeindruckend verstörenden Werken wie dem von Robert Kurz inspirierten “Black Book of Capitalism” her kennt, überwiegend Stücke aus dieser mittleren Schaffensphase aussuchte, als er vor zehn Jahren seine persönliche Hommage an die Gruppe schuf. Chauveaux arbeitet hier ganz als Minimalist, versucht die elf Songs auf ihr wesentliches Minimum bzw. seine Idee davon herunterzubrechen und spielt darauf schon im Titel an – „down to the bone“, ein Zitat aus dem hier eröffnenden Song „Stripped“ von 1986, referiert nicht nur auf die Skellettiertheit der Interpretationen, sondern auch – ganz im Einklang mit dem symbolischen Subtext des Songs – auf etwas, das man wesentlich nennen könnte. Dass das Ganze sehr unspektakulär in Szene gesetzt wurde, trägt definitiv dazu bei.
Die meisten Versionen basieren auf Klavier und Streicher, stimmen wie das eröffnende „Stripped“ einen fast meditative Ton an und holen doch aus dem Melodien alle Emotionalität heraus. In Songs wie „The Things You Said“, das mit mehreren Gesangsspuren arbeitet, kommen anheimelde Holzblasinstrumente dazu, und stets ist es eine gewisse Genügsamkeit, die die Versionen vor jeder Schwülstigkeit bewahrt. Besonders überzeugend ist in der Hinsicht die kammermusikalische Umsetzung von „In your Room“, einer Hymne an eine sadomasochistisch eingefärbte Liebe, die so stark ist, dass sie den Liebenden zum lustvollen Verschwinden bringt.
Einige der Hits der Band werden hier im Schnitt ähnlich radiotauglich, doch stets eine Spur dezenter umgesetzt: „Blasphemous Rumours“ als einzig älteres DM-Stück, beliebte Songs wie „Enjoy the Silence“, das gleich zweimal vertreten ist, einmal allerdings als wenige Sekunden andauernde Stille. Als Sänger ist Chauveau vielleicht nicht der stärkste, aber in einem Martin Gore-Stück wie „Home“ kommt er der Stimmung des Originals recht nahe. „Policy of Truth“ ist fast amerikanische Singer Songwriter-Musik, und genau diese rettet das Stück, das über die Jahre von zu vielen Sekretärinnen und Bankangestellten mit Fitness-Abo zutodegeliebt wurde. Eine kleine Wegmarke ist „Death’s Door“, das Gore damals im Alleingang für Wenders’ Film „Paris, Texas“ aufnahmen – ein verstaubt klingendes Stück Desert Pop, das hier mit schmetternden Akustikgitarren und fatalistischem Gesang zur Kenntlichkeit entstellt wird.
Es gibt zwei Hörergruppen, an die sich das jüngst bei Ici d’ailleurs wiederveröffentlichte Album nicht in erster Linie richtet: zum einen an die überzeugten Fans von Chauveaus wesentlich amstrakterem Frühwerk, zum anderen an unbeirrbare Depeche Mode-Fanatiker. Wer sich dem Album jedoch ohne Scheuklappen nähert, den erwartet ein besinnlicher Songzyklus, der nicht zuletzt auch dadurch überzeugt, dass er – im Unterschied zahlloser weiterer Tributalben für diese Band – nicht ihre schlagerhafte Seite in den Vordergrund stellt. (U.S.)
Label: Ici d’ailleurs