Kassandra, die trojanische Königstochter, die die Zukunft voraussagen kann und zugleich gestraft ist, für immer ungehört zu bleiben – wie würde ihr Ruf klingen, wäre er Musik? Wäre er schrill und hysterisch, um voller Verzweiflung gegen die tauben Ohren derer anzukämpfen, die ihr Fatum vergessen und verdrängen? Oder wäre er ganz leise, kaum hörbar, im diffusen Rauschen der Welt verhallend? Maciek Szymczuk entwirft in seiner „Music for Cassandra“ eine Figur, die längst Teil des Schicksals geworden ist, das sie voraussagt, und die der Taubheit und Indifferenz ihrer Adressaten eine genügsame Abgeklärt entgegen setzt, die – vielleicht aus Liebe zu den ihrem Untergang geweihten – nicht frei von Wehmut ist.
Tatsächlich hat man recht wenig in der Hand, um solch eine Deutung festschreiben zu können, doch so sehr man der Offenheit von Szymczuks rein instrumental gehaltener Musik auch Rechung tragen sollte, implizieren Songtitel wie „Infinite Sadness of Being Right“ oder „I Am Free“ eine ebenso deutliche Sprache wie die schönen unaufdringlichen Melodien, die sich dezent hinter entspannten minimalen Takten verstecken, nicht weil sie etwas zu verbergen hätten, sondern weil sie die Reichweite ihrer eigenen Ausdrucksfähigkeit niemals überschätzen würden.
In ihrem Mythos war Kassandra nicht nur die mit dem kohlschwarzen Augen, die Tod und Untergang sah, sondern auch die Fremde, fremd weil ungehört, später enführt aus ihrem verwüsteten Land, fremd unter ihren Landsleuten, auch in ihrem Geschlecht – dronige Ambienttracks von plastischer Machart wie „She Who Entangles Men“ und „Helen’s Golden Veil“ referieren auf Kassandras Ahnung von Helena, die als erste Schicksalsfrau der Antike die damalige Welt einzig durch ihre passive Anziehungskraft ins Wanken bringen sollte. Auch ist es die Hand einer Frau, der eifersüchtigen Gattin ihres Entführers, durch die Kassandra am Ende sterben wird – in „Last Lament In Death“ gibt Szymczuk auch dem finalen Kapitel ein retardierendes Element voll melancholischer Schwere.
Stellenweise gerät die Musik jedoch derart friedvoll, dass sich die Vorstellung von einer trotz allem guten Prophezeihung aufdrängt, Szymczuk gestaltet dies aber mit einem durchaus soliden Ensemble an Ideen. Bisweilen untermauern überraschend wuchtige Dröhnwellen, von Eispickelbeats segmentiert, den hochemotionalen Subtext der Musik, und hier und da meint man, einen klassischen Songanfang zu erleben – Kirlian Camera hätten in den frühen 80ern ganze Songs aus Passagen gemacht, die Szymczuk hier in einigen Sekunden abhandelt.
Label: Zoharum