SILK SAW: Imaginary Landscapes

Auf einer filigranen Tuschezeichnung, die an Modigliani, aber auch an Zeichnungen des japanischen Ero Guro erinnert, hält ein Mädchen einen schwarzen Vogel im Arm. Auf einem anderen Motiv selgeln überdimensionierte Schwalben durch den tapetenhaften Dickicht eines Waldes. Ein andersmal spießt ein Dolch das vielleicht beliebteste Insekt der Welt, einen Schmetterling auf. Welche Musik mag sich wohl hinter diesem Artwork verstecken?

Sind es organische Drones von fast folkiger Feisinnigkeit? Minimale Figuren auf dem Piano? Die stilvolle Tristess alter analoger Schöngeistereien? Ein Titel wie „Imaginary Landscapes“ ist sehr allgemein gehalten und spräche gegen nichts davon.

Wer Silk Saw, die lange als Band pausiert hatten, nicht kennt, würde wohl kaum mit der erratischen Hektik von Breakbeats rechnen, auch nicht mit rauer, digital erzeugter Elektronik, die das Album dominiert, nachdem auf und abebbende Wellen den Hörer in die Musik ziehen wie die Strömung den Schwimmer aufs offene Meer. Getrieben von Melodien, getragen von dunklem Dröhnen, flankiert von filmreifen Streicherzitaten hangeln sich die Beats, oft nur angedeutet, durch die vielfältigen Distraktionen, die die zerklüftete imaginäre Landschaft hier zu bieten hat.

Was die beiden Belgier einzubauen wissen, ist vielfältig: ein Jazzpiano, das sich manchmal schrill und wütend Gehör verschafft, diverse Holzblasinstrumente, dazu grummelige Stimmen, als reine Soundquellen verwendet, und nicht zuletzt Streicher, die für Momente recht schön erklingen, aber meist jaulen und lamentieren – all dies stellt eine stete Gradwanderung dar, ein Wandeln in einem Grenzbereich, von dem aus man leicht in den tiefen Strudel der Verlorenheit oder in einen Mahlstrom lustvoller Stimulation fallen kann.

Schmerz und Lust sind zwei Seiten der gleichen mentalen Konstruktion, sagen Silk Saw im Begleittext, und im Spiegel dieses Dualismus soll hier ein umfassendes Bild des Lebens gezeichnet werden. Ein realistisches wohl! Der Forscher stimmt triumpierend ein, der Burnout-Geschädigte schreit nach Eskapismus und nimmt dann doch mit dem Artwork vorlieb. (J.G.)

Label: Kotä