Dass Kraftwerk in den vergangenen Jahren vermehrt in Museen aufgetreten sind und ihre Alben, Teile ihres „Katalogs“, in Gänze aufgeführt haben, passt ganz gut, denn letztlich sind die Düsseldorfer ihre eigenen Nachlassverwalter geworden, ruht ihr Nimbus –auch wegen Ermangelung neuen Materials – auf den Arbeiten, die sie vor Jahrzehnten eingespielt haben. Zeitkratzer sind bekannt für ihre Interpretationen klassischer Avantgarde (z.B. Cage oder Stockhausen) und natürlich auch für ihre Aufnahmen von eigentlich kaum in herkömmliche Notationssysteme zu übertragende Klänge: Man denke etwa an ihre Interpretation von Lou Reeds Protoindustrialalbum „Metal Machine Music“ oder an ihre Whitehouse-Bearbeitungen. Die Musik Kraftwerks ist dagegen natürlich weitaus weniger atonal und dissonant, allerdings – und hier wird deutlich, dass es sich bei Zeitkratzer eben nicht um das Balanescu Quartet handelt (das in Cosey Fanni Tuttis Autobiographie „Art Sex Music“ gar nicht gut wegkommt) – beschäftigen sie sich doch auf dem Album mit den ersten beiden Kraftwerkalben, das die Düsseldorfer ebenso wie das dritte Album nie auf CD veröffentlicht und kanonisiert haben. “Kraftwerk” und “Kraftwerk 2″ sind im weitesten Sinne „experimenteller“ und improvisatorischer als das elektronische Restwerk, das der Band einen Platz im Popolymp gesichert hat und sie sicherlich zu einer der einflussreichsten Bands aller Zeiten hat werden lassen.
Interessant ist, dass Zeitkrater sich für dieses Albumprojekt (vielleicht augenzwinkernd) tatsächlich als „Coverband“ bezeichnen – einer Kategorisierung, der sie bislang vehement widersprochen haben. Da Kraftwerk ihr Frühwerk wie erwähnt etwas stiefmütterlich behandeln, verspürten Zeitkratzer die „historische Notwendigkeit“, diese Musik mehr Menschen zugänglich zu machen. Getreu dem Motto: ”[O]ur job was to play it as close to the original as possible”.
Das vergangenes Jahr live während des Festival Les Musiques in Frankreich aufgenommene Album beginnt mit „Ruckzuck“, das mit seinen fast schon asiatisch anmutenden Tonfolgen und dem Schlagzeug eine recht beschwingte Nummer ist, die wirklich sehr nahe am Original ist. „Spule 4“ startet leicht dissonant(er) mit dem Knirschen und Knarzen des Geigenbogens. Das ist teils kaum hörbare, unter der Oberfläche brodelnde Geräuschmusik. Daran knüpft „Strom“ mit seinen dissonanten Bläsern an. „Atem“ ist vielleicht mein Favorit: Wie hier der Titel durch das Harmonium illustriert wird und dabei jedes Knistern hörbar gemacht gemacht, ist schon beeindruckend. Das siebzehnminütige „Klingklang“ knüpft dann mit seinen melodischen Bassspuren eher wieder an den Anfang an und die Flöten verleihen dem Stück passagenweise einen fast schon pastoralen Charakter. Megaherz“ mit seinem dunklem Dröhnen und dissonanten Streichern lässt das Album dann aber weniger positiv ausklingen. Diese Musik klingt frisch und kein bisschen museal. (MG)
Label: zeitkratzer records (CD), Karlrecords (Vinyl)