Elliott Sharp, der seit den 70ern als Komponist und Virtuose an verschiedenen Instrumenten in Erscheinung tritt, ist nicht nur ein Grenzgänger der Musiksparten – Studium bei Morton Feldman, Kollaborationen mit John Zorn, Bill Laswell, den Hi Sheriffs of Blue u.v.a. – sondern auch sehr frei im Hinblick auf die Umsetzung seiner Kompositionen. Um den Interpreten weitgehend freie Hand zu lassen, hat er eine Methode entwickelt, seine Partituren mittels Photoshop soweit vage zu machen, dass die Musiker nur noch einen grob richtungsweisenden Anhaltspunkt haben.
Fraglos ist das Solistenensemble zeitkratzer mit seinem Händchen für originelle Interpretationen da ein überaus passender Partner, und in der Vergangenheit kam es auch schon zu Zusammenarbeiten mit der Gruppe und einzelnen Mitgliedern. Das vorliegende „Oneirika“-Album basiert auf einem Konzert, das 2014 für das Berliner Maerzmusik Festival in Auftrag gegeben wurde. Von Sharp stammt nicht nur die an John Cage orientierte Komposition, er stand auch mit Tenorsaxophon, E-Gitarre und nicht zuletzt als Dirigent mit auf der Bühne.
Eines, das sicher nicht bloß dem freien Umgang mit dem Material geschuldet ist, ist der auf den ersten Blick provisorische Charakter der Musik, denn der wirkt relativ programmatisch – wie ein Test, in dem die einzelnen Instrumente schon einmal angerührt wirken, mutet der erste Abschnitt an, in welchem aber zugleich schon einige der wesentlichen Schwerpunkte der gesamten Aufführung angedeutet werden: Ein im Zentrum stehendes Saxophon, wenngleich es sich hier noch eher zaghaft zu Wort meldet; ein in weiten Teilen metallischer Sound, wobei besonders das kleinteilige Rasseln, das nach über den Boden geschleiften Blechteilen klingt, die bekannte Handschrift zeitkratzers trägt; ein sich mit der Zeit in Fülle und Intensität steigernder Verlauf; irgendwann ein gewisser Reihungsstil, bei dem kurze Saxmotive hektisch aneinander gereiht werden.
„Oneirika“ bleibt ohnehin alles andere als zaghaft, wobei Sharp und das Ensemble sich, wie es scheint, immer wieder spontan zu arrangieren wissen, und das nicht nur in den getrageneren Momenten, wo Saxophon- und Hornklänge zusammen bemerkenswert stimmige Muster ergeben. Je schriller und eindringlicher Sharps Spiel, desto dramatischer und wuchtiger auch der Rest. Immer mehr zeichnen sich neue Wege ab, die in Stimmung und Timing wechselhaft sind, von der trunkenen Atmosphäre taumelnder Kreisbewegungen ist es bis zu rhythmischer, fast technoider Perkussion kein weiter Weg, und ob der gallopierende Takt nur zufällig an Western-Scores erinnert und der streckenweise Big Band-Touch nur der Fantasie des Hörers geschuldet ist – wer weiß das schon?
Als Teil der „Parnassus Series“ erscheint das Werk dreihundert mal auf schweren Vinlyscheiben bei Karlrecords.
Label: Karlrecords