JOANNE POLLOCK: Stranger

Joanne Pollock stammt aus dem Umfeld von Aaron Funk alias Venetian Snares, mit dem sie bereits ein Projekt namens Poemss in Leben gerufen hatte. Auf ihrem ersten offiziellen Solo-Album “Stranger” – es gab zuvor diverse EPs – präsentiert sie elektronische Popsongs, bei denen Schrägheit und filigrane Eleganz keine Gegensätze sind. Inhaltlich widmet sie sich nach eigener Angabe ganz der Erkundung des eigenen Selbst. Dieses, so Pollock, muss einem zwangsläufig als fremd erscheinen, wenn man sich erst einmal aus seiner vertrauten Komfortzone herausbegeben und den Spiegel, der einem ein kohärentes Selbstbild suggeriert, in zahllose zersplitterte Teile zerschlagen hat.

Gleichwohl Pollock mit Texten arbeitet und aussagekräftige Titel wählt, ist ihr eigentliches Medium der Sound und die sinnliche Qualität ihrer mehrere oktaven umfassenden Stimme – zwei Ausdrucksmittel, mit denen sie dem positiven Gefühl einer befreienden Entfremdung durchaus stimmig Ausdruck verleiht. Stimmig heißt in dem Fall aber, dass die Kanadierin immer wieder zwischen verschiedenen Extremen wechselt und dabei in ihren Übergängen keinen allzu großen Wert auf Berechenbarkeit legt.

Pollocks bisweilen glasklar produzierte Musik mit ihrer quirligen Verspieltheit und dem stets leicht melancholischen Unterton verweigert allzu eingängige Strukturen. Betörende Melodien, die wie beim Opener beinahe als Flüstern daherkommen, in einigen Stücken gewagte und bisweilen verträumte Manierismen vollziehen oder, wie in Titelstück, eine erdige Folksong-Qualität bekommen, treffen nicht nur auf kühle, glattpolierte Synthies und groovig vor sich hinblubbernde Bässe, sondern auch auf noisiges Rauschen und die kontrollierte Brachialität gebrochener Rhythmen.

Stücke mit Titeln wie “Melt Myself” und “Myself Apart” schaffen es, die – musikalische – Selbstauflösung durch Fragmentierung, zeitliche Unschärfen und Schichtung und Montage überzeugend ins Werk zu setzen, und zugleich alle Komponenten so kunstvoll in Balanche zu halten, dass man dennoch das Gefühl bekommt, dem Entstehen von etwas ungemin Vitalen beizuwohnen. (J.G.)

Label: Timesig / Planet Mu