We try to catch lust for life underneath the chaos. Interview mit Oiseaux-Tempête

Oiseaux-Tempête bestehen im Kern aus Frédéric D. Oberland und Stéphane Pigneul, zwei Multiinstrumentalisten, die vor einigen Jahren, als beide noch in zahlreichen anderen Formationen spielten, zu jammen begannen und ihren typischen Stil zwischen schleppenden Rhythmen, dröhnenden Gitarrenriffs, verspielten Saxophonparts und allerlei elektronischen und folkloristischen Beigaben entwickelten. Wenn die beiden ihre Band als ein offenes Projekt begreifen, bezieht sich das aber nicht nur auf die zahlreichen Gastmusiker, die v.a. auf ihrem aktuellen Album “Al-’An!” (Sub Rosa 2017) mitwirkten und das stilistische Repertoire erweiterten. Oiseaux-Tempête sind leidenschaftliche Reisende, und in den bisherigen Zielen ihrer Reisen – Griechenland, Türkei, Libanon – hat man immer wieder den Eindruck, dass die jeweiligen Orte und ihre Menschen, Dinge und Ereignisse mehr als blose Motive sind, sondern die Musik aktiv prägen. Eine fast persönliche Präsenz auf allen Aufnahmen der Band hat das Mittelmeer. Im folgenden Interview lernt man Frédéric und Stéphane als freie Geister, leidenschaftliche Musikliebhaber und große Enthusiasten kennen.

English version

Um mit etwas Allgemeinem anzufangen: Wie kam es zu Oiseaux-Tempête? Gab es eine bestimmte Idee, eine Melodie oder eine Stimmung, die nicht in die Gruppen passte, in denen ihr bisher spieltet?

Frédéric D. Oberland: Die Wurzeln der Band liegen im reinen Instinkt und der Spontaneität. 2012 ging ich mit dem Fotografen Stéphane Charpentier nach Griechenland; als ich mit einem Sack von Field Recordings zurück in Paris war, fragte ich Stéphane Pigneul, meinen Musikbruder, ob er sich dem Abenteuer anschließen will. Es ging noch gar nicht darum, eine neue Band zu gründen, wir wollten nur ein bisschen um ein paar neue Ideen herumjammen und was neues ausprobieren. Damals spielten Stéphane und ich mit Le Réveil des Tropiques (einer verrückten, rein improvisierten Psychedelic-Band) und in FareWell Poetry (einem Kollektiv, das dunkle Soundscapes mit analogen Filmaufnahmen und Lyrik verbindet). Heute, nach fünf Jahren, kann ich sagen dass Oiseaux-Tempête genau in der Mitte all dieser Richtungen liegt und unsere musikalischen Grenzen zugleich merklich erweitert hat. Die Improvisation ist immer unser grundsätzlicher Gestus bei allen Aufnahmen; für die Konzerte “lernen” wir dann nachträglich, die Songs zu spielen, inklusive neuer Momente der Improvisation und freien Interpretation. Es ist wie ein Raum mit beweglichen Wänden.

Stéphane Pigneul: Der einzige große Unterschied zu den anderen Projekten, die wir zusammen oder nicht hatten, ist die musikalische Chemie zwischen Fred und mir. Alles ging uns ziemlich leicht von der Hand, es musste nicht viel über die Richtung geredet werden, in die alles gehen sollte. Wenn ich mit einer Bassspur oder einem Akkord ankomme, geht er darauf ein, wenn er ein Riff spielt, weiß ich es in mein Spiel einzubauen, und das alles, ohne viel nachzudenken. Es bringt dich als Musiker in eine sehr komfortable Position, in eine Blase aus Sound und Vertrautheit, wo alles möglich ist, vom einfachen Versuch bis zu anspruchsvollen Konzepten und jeder Menge verrücktem Zeug.

Frei zu sein, dass denke ich, ist das wichtigste überhaupt in der Musik.

Ihr erwähnt gerade einige Gruppen, in denen ihr bereits vor Oiseaux-Tempête aktiv wart, und auch eure Kollaborateure haben meist ihre eigenen Projekte. Was sind eurer Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften all dieser Leute, die Oiseaux-Tempête zu dem machen, was es ist?

Frédéric: Ja, von Anfang an haben wir Gäste und Kollaborateure eingeladen, deren Stil und Musik wir mögen, für einen Track, für ein bestimmtes Album oder für Live Performances. Ähnlich wie das Improvisieren, worüber wir gerade gesprochen haben, ist auch das eine Möglichkeit, die Band und unseren Sound offen zu halten, auszuprobieren, zu experimentieren, Spaß zu haben. Zuallererst sind diese Musiker unsere Freunde, und wir thaben die gleiche Idee, dass Musik ein vitaler Funke ist.

Stéphane: Als ob unsere magische Verbindung ansteckend wäre, macht es immer großen Spaß, mit unseren Freunden zu jammen, oder mit Musikern, die wir respektieren und mit denen wir zusammenarbeiten wollen. Paul, Sharif, Christine, Jos, Charbel oder Abed haben das auch gesagt. Was dann bei aktuellen Album herauskam, war weit mehr als das, was wir erwartet hatten, dank ihres Vertrauens, ihres Könnens und irher Freundschaft. Die Familie wird immer größer!

Eure Veröffentlichungen haben meist mit einer Reise in ein anderes Land zu tun, beim letzten Album “Al-’An!” haben dann auch viele Libanesische und Palästinensische Musiker mitgewirkt, und immer gibt es einen Einblick in bestimmte Stimmungen, Diskurse und Probleme des entsprechenden Ortes.. Gab es von Anfang an ein Konzept, das in diese Richtung ging, oder ergab sich das einfach mit der Zeit?

Frédéric: Es gibt da kein Konzept, aber schon einen bestimmten Hintergrund: Als wir nach Giechendland fuhren hatte die Halbinsel mit schweren sozialen und ökonomischen Krisen zu kämpfen, unser Aufenthalt für “ÜTOPIYA?” in Istanbul fand nach den Gezi-Protesten statt, und zuletzt im Libanon beeindruckte uns das winzige Land, das von drei undurchdringlichen Grenzen umgeben ist (Israel, das Bürgerkriegsland Syrien und das mittelmeer)- wir nahmen dort die Hälfte unseres aktuellen Albums, “AL-’AN!” auf… Wir sind natürlich an all diesen Dingen interessiert – den menschlichen, sozialen, politischen, kulturellen Aspekten – und wir all unsere täglichen Erfahrungen in unsere Musik einfließen. Ich kann und ich will mich nicht aufteilen in den Musiker und den Menschen, was hätte das für einen Zweck? Ich denke Kunst sollte mit dem realen leben ebenso viel zu tun haben wie mit Träumen. All das ist m.E. Teil des alternativen DIY-Geistes, der uns allen in Beirut aufgefallen ist. Mit Charbel (Haber), Sharif (Sehnaoui) und Abed & Ali von Two Or The Dragon teilen wir alle die gleiche Melancholie, während wir zugleich an underen großen Erwartungen hängen.

Stéphane: Es war ganz logisch, dass Frederic nach seiner Zeit in Griechenland und der Türkei weiter gehen wollte, er besuchte mich in Sizilien, wo ich seit einiger Zeit lebte, während der Aufnahmen zu “UTOPIYA?”. Irgendwann wurde uns recht schlagartig klar, wie sehr sich unsere Alben alle um das Mittelmeer drehten, und wie sehr wir mit der ganzen Region verbunden waren, und das brachte uns in den Libanon. Wieder war es ein ganz natürlicher Prozess, und wir ließen es einfach darauf ankommen.

Das Mittelmeer scheint tatsächlich ein verbindendes Element in all euren Arbeiten zu sein…

Frédéric: Es ist die Alma Mater. Für mich persönlich ist es das erste Meer, das ich sah und worin ich schwamm, und mein Großvater kommt außerdem aus einem kleinen Ort in der Gegend um Venedig. Es ist schwer zu sagen, warum man sich an einem bestimmten Ort zuhause fühlt, selbst wenn man nicht immer dort ist; aber genau so geht es mir, wenn immer ich in der Nähe dieses Meeres bin, ganz gleich in welchem Land… In einem breiteren Sinne ist das Mittelmeer eine großartige Wiege der Zivilisationen – für Europa, den Balkan, den Nahen Osten, Africa – und für fast zehntausend Jahre Geschichte, Imperien, Demokratien, Wanderungen, KulturEN… Es kamm/kommt uns wie ein natürlicher Ausgangspunkt vor, um die Dinge etwas anders zu betrachten als wie du es in der Schule gelernt hast (Grenzen und die ganze Scheiße) oder wie du es im Fernsehen oder in austauschbaren politischen Reden hörst… Dieses geographische Becken ist ein enormer Schmelztigel der unterschiedlichsten Einflüsse. Wir haben so viel gemeinsam und können immer noch so viel aus unseren Unterschieden lernen.

Stéphane: Die Tatsache, dass es eine Wiege der Zivilisation ist und der Ausgangspunkt der ersten Republike, spricht uns an. Heutzutage ist die Demokratie schwach und bedroht und wird von einer der mächtigsten Personen der Welt mishandelt. Etwas ist im Gange… … Es ist ziemlich beschissen!  Wir wollten die Dinge mit unseren eigenen Augen sehen und mit all dem Licht, das wir finden konnten, zurückkehren. Und das war eine Menge!

Ich kenne die Situation in Frankreich nur über unsere eigenen Medien, aber mein Eindruck ist, dass die interkulturellen Aspekte des Zusammenlebens nie so sehr im zentrum der Diskussionen standen, wie zur Zeit, und dass sich auch der Riss in der Gesellschaft an diesen Themen abzeichnet. Wie sehr beeinflusst das eure Musik?

Frédéric: Du hast recht, das ist ein großes Thema hier seit fünfzehn Jahren oder so, mit jeder Menge Manipulation von lokalen Politikern und ihrer Marketing-Teams, die das Thema aufbauschen: “Sei vorsichtig, schließe deine Grenzen, sonst verlierst du deine Identität”. Ich denke, wir erleben das gerade in ganz Europa: den Aufstiegt einer neuen extremen Rechten, die Unsinn in die öffentlichen Debatten einbringen, als handele es sich um eine geheime Wahrheit, verstärkt von den meisten der anderen Politiker, die pyromanisch genug sind, um mit diesen xenophoben Ideen zu spielen und keine wirkliche Absicht haben, das zu zerstören… Unsere Identitäten sind so komplex, so multi-irgendwas. Wie viele Europäer, wie viele Franzosen, haben Eltern oder Großeltern, die von woanders herkamen, mit ganz anderen Gewohnheiten, Kulturen, Geschichten oder Religionen? Wieviele Migranten kommen heute eigentlich nach Europa, um offensichtlich nur zu profitieren? Das ist Quatsch. Wie kann man nur darauf kommen, dass jemand, der in seinem eigenen Land dem krieg entronnen ist und mehrfach sein Leben riskiert hat, um irgendwo einen sicheren ort zu finden, der ist, der unseren Sozialstaat zerstört? Bitte… der Neoliberalismus brauchte keine Kriege und Migrationsbewegunen, um unseren Sozialstaat auf dem Altar des Kapitalismus und der schnellen Profite zu opfern. Natürlich werden Musik, Kunst und all day nicht wirklich was daran ändern, aber es kann helfen, indem du etwas Licht auf andere Sichtweisen wirfst, auch wenn es nur für wenige Leute in einer “Nische” sein mag. Ein Sternenhimmel entsteht durch viele kleine Funken.

Stéphane: Als Musiker ist es vielleicht etwas lächerlich zu denken, dass du Bürgerrechte, Pressefreiheit, wissenschaftliche Fakten und den Respekt vor Frauen und Kindern verteidigen musst… Was gerade passiert ist Unsinn. Ein Witz, der hoffentlich bald vorbei ist. Nicht nur in Frankreich, wie gesagt, sondern in allen Demokratien. Ich hab große Hoffnungen auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Es wäre eine fantstische Lektion der Hoffnung und ein Erfolg für die Demokratie.

Gibt es Unterschiede in den verschiedenen Ländern, was di Musikszenen und die Art, wie Musiker arbeiten angeht, und wenn ja, hat das eure Aufnahmen mit geprägt?

Frédéric: Ich weiß es nicht… Wir haben nie darüber nachgedacht während der Auftritte und Studiosessions. Die Musiker, mit denen wir in Beirut gespielt und aufgenommen haben, sind vor allem großartige Künstler, eher als dass sie von einem bestimmte Ort kommen oder zu einer Community gehören… Wir haben zusammen gewohnt, sind ausgegangen, gereist, wir wurden Freunde. Ich denke, die Musik, die wir spielen, basiert auf einem Prozess des Einander-Zuhörens, auf Respekt, was dem Fluss sehr zugute kommt. Für “AL-’AN!” haben wir uns natürlich schon sehr gut informiert über den Nahen Osten und die Musikszene dort, aber wir waren sehr angetan davon, zu sehen, wie sehr die Szene in Beirut mit der weltweiten Szene verknüpft ist. Wir hatten gemeisame Lieblingsalben, Künstler und sogar Vorlieben für Equipment gemeinsam, das brachte uns weiter!

Stéphane: Ich denke nicht. Was dich kickt und zum Musikmachen antreibt, ist wahrscheinlich universell. Es ist eine Art Feuerfresser, eine Leidenschaft, die die ganze Alltagsarbeit auffrisst und dich dazu bringt, andere Leute zu treffen, Gegensätze zu begrüßen und Grenzen zu erweitern. Wir sind alle auf der gleichen Seite, vielleicht weil wir die gleichen musikalischen Wurzeln und Einflüsse haben, aber in erster Linie, weil wir all dies auf die Beine bringen wollen. Wir sind nicht faul, wenn wir arbeiten, aber wir springen in das alles hinein, Lachen und lassen die Magie entstehen!!!

In “Al-’ an!” kommen westliche Einflüsse aus Rock und Metal mit arabischer Musik zusammen. Habt ihr da eine Art Synthese im Hinterkopf, oder geht es such vielleicht auch um die Gegenüberstellung von Gegensätzen?

Frédéric: Das passiert spontan im Studio. Wir kamen ohne konkreten Plan im Tunefork Studio in Beirut an und wollten nur das beste aus uns herausholen. Viele der Improvisationen, die wir dort zusammen aufnahmen, waren so großartig und gingen weit über unsere Erwartungen hinaus… Dann, zurück Frankreich, gab es einige Overdubs und Extra-Sessions; Wir gaben unserem Drummer Sylvain und Paul alias Mondkopf einige Auszüge aus diesen Beirut-Sessions zu hören. Nach einer kleinen Pause, gingen wir zurück zu Stéphane, um die kompletten Sessions zu hören und daraus das ganze Album zu bauen. Es dauerte einige Monate, um den richtigen Weg zu finden und das Album zu vollenden. Unsere Arbeitsweise ist empirisch, ohne ein Skript…

Stéphane: Paul (Mondkopf) sagt gerne, dass wir diese oder jene Einflüsse haben und sagt: «Es gibt einige Stoner- oder Doom-Einflüsse in ihrer Musik!». Er ist ein Spezialist für Genres! Er wird euch zeigen, wo die norwegischen black Metal-Einflüsse stecken, wo Death und Grind und Indie! Ich liebe diesen Kerl! Er ist so lustig und gewitzt und unglaublich talentiert. Ich für meinen teil muss zugeben, dass ich gar keine Ahnung von diesen Einflüssen habe. Abgesehen von OM, Earth oder Sunn O))) hören wir kaum diese Art von Musik. Für die Bearbeitung waren Frederic und ich in seinem Magnum Diva-Studio, hörten uns sorgfältig die verschiedenen Takes an, aber die meiste Zeit ist es nur eine einzige Spur, denn alles ist improvisiert. Dann entscheiden wir, ob wir es noch mal auseinanderschneiden oder einiges Material schichten, oder ob wir es lassen, wie es ist. Die einzige Regel ist: Es muss leicht leicht von der Hand gehen und natürlich fließen. Über die Jahre werden wir da immer strenger mit uns selbst.

Euch gefällt das “Riskante”, wenn ihr erstmals mit jemand neuem zusammenarbeitet…

Frédéric: Definitiv! Du must raus aus deiner Komfortzone, wenn du was neues und Magisches entstehen lassen willst. Scheitern – oder das Risiko des Scheiterns – gehört immer dazu, aber was soll’s, wenn du doch unterwegs irgendwas findest? Deshalb machen wir Musik.

Stéphane: Darum geht es in dem Projekt, es ist wohl die Essenz der Band. Wir haben nie verstanden, wie Bands immer wieder die gleichen Songs spielen können. Wir wollen uns auf neue Leute einlassen, neue Sounds, neue Locations, die uns inspirieren und in Gefahr bringen. Klar schreckt das auch ab. Aber wir haben Vertrauen, auch zu den Leuten, mit denen wir spielen. Damit beginnt es. Vertrauen, Freude und vor allem Spaß für alle, die daran beteiligt sind. Zumindest versuchen wir das, haha!

Wie kam es, dass ihr gerade nach Beirut gefahren seid?

Frédéric: Ich kannte Charbel von den Scrambled Eggs schon seit Jahren, auch einige Soundtracks, die er für libanesische Filme wie die von Nadim Tabet gemacht hat. Wir kannten auch die Arbeit von Sharif, der eine Zeitlang lebte und in der Improv-Szene um Les Instants Chavirés spielte. Wir schickten Ihnen einige Mails mit unseren bisherigen Alben, sprachen über unser Projekt, und gingen dann nach Beirut, um neues Material aufzunehmen. Es war so aufgeregt! Libanon, mit seiner großen künstlerischen Szene, Geografie und Besonderheiten schien der perfekte Ort, um etwas dort mit einheimischen Musikern auszuprobieren.

Stéphane: Wir hatten auch bereits Kontakt Ziad Nawfal und Roy Arida, sie gaben uns viele Infos über Musik, Menschen, Filme, Bücher. Wir waren noch nie im Libanon. Alles, was wir wussten, war, was wir von den Nachrichten her kannten, und Geschichten von alten libanesischen Freunden. Wir wollten im Mittelmeerraum weiter gehen. Nachdem allem, was wir wussten, waren wir schon ziemlich gut vorbereitet. Aber es war alles so weit entfernt von der Realität!

Auf “Al-’An!” haben Beirut und der Libanon viele Spuren hinterlassen, in Form von Samples, Instrumenten und spielweisen. Was hat euch am meisten beeindruckt?

Frédéric: “AL-’AN!” enthält Auszüge aus unserem Reisetagebuch aus Beirut und dem Libanon. Auszüge aus Gesprächen, Interviews, Alltagsgeräuschen, aber auch einen Track wie “A l’Aube”, eine kleine Live-Improvisation, die aut der Terasse der Wohnung aufgenommen wurde, wie wir mit unserem Freunden von As Human Pattern (die Videokünstler, die uns begleiteten) lebten. Die Freundlichkeit diort, war so tief, so warm, wir fühlten uns von der Stadt umarmt. Despite the chaotic situations you can see first maybe, you get this so-strong will to live which resonates a lot in our minds.

Stéphane: Die Freude der Jugend, aber auch die Stigmata des Bürgerkrieges und der versteckte Kummer…

In dem Album gibt es viele Stimmungsnuancen, aber obwohl es einige Momente des Chaos und Aufruhrs gibt, nehme ich es doch als ruhig und freundlich war. Sehr ihr das ähnlich und woher könnte das kommen?

Frédéric: Von den Leuten, die wir getroffen haben, von der Freude und dem Spaß, den wir alle zusammen hatten. Dies ist der Schlüssel. Vielleicht wollte wir unbewusst zwischen den Ausbrüchen auch etwas Licht bringen, etwas vond er Hoffnung, die wir fühlten? So war die Stimmung, und wir hben uns darauf eingelassen!

Stéphane: Sehr schön, dass du das so empfindest. Nach fünf Alben kann ich nun sagen, dass dies auch unsere Idee ist. Wir versuchen, die Hoffnung, das Licht und die Lebenslust unter dem Chaos zu finden, unter der Hässlichkeit und den dunklen Gefühlen, die du vorfindest, wenn du zum ersten mal einen Fuß auf die Erde setzt (als Alien, haha!).

Der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish hat euch wie es scheint stark beeinflusst, der Untertitel des Albums als auch ein Song stammen aus seiner Feder. Wie seid ihr auf diesen Autor gekommen?

Frédéric: Ich entdeckte Darwishs Poesie im Jahr 2000 durch sein Buch “Murale” (‘Mural’), das es in französischer Übersetzung von Elias Sanbar gibt, ein Freund von mir gab es mir und sagte “das wird zu dir sprechen”. Und so war es. Mahmoud Darwish hat dieses gewisse Feeling, das alles, worüber er schreibt, universell erscheinen lässt. In ‘Mural’ beschwört er den Verlust seiner Heimat und den Schmerz von Vertreibung, Exil und Verlust, und er springt von einer Mythologie zur anderen, Koran, Bibel, das Alte Ägypten, referiert auf Al Maari (ein blinder arabischer Dichter aus dem 10. Jahrhundert) oder auf den Franzosen René Char. Darwish ist einer der größten Dichter des letzten halben Jahrhunderts, und eine Quelle des Stolzes für alle Palästinenser; mit seiner kraftvollen Stimme hätte er in der ganzen arabischen Welt sprechen könne, auch in Europa, den USa etc, man kann ihn in unserem Track “The Offering” hören. Dieser Mann hat seine Dichtung in Stadien vorgetragen und zu allen Gesellschaftsschichten gesprochen, kannst du dir das vorstellen? Ich denke, dass seine Stimme und seine Weisheit heute ziemlich fehlen…

Stéphane: Ehrlich gesagt habe ich Darwish erst sehr spät entdeckt, vielleicht so um 2011, als Rodolphe Burger (ein “legendärer” französischer Gitarrist) ein Konzert machte, bei dem seine Texte vorkamen. Ich mochte seine Musik nie wirklich, aber es war auch ein Tribute an Alain Bashung, den ich immer geliebt hatte. So kam die Verbindung zustande. ich mag Querverbindungen in der Musik. Du hörst dir jemanden an, wozu dich ein anderer inspiriert hat, und wenn du neugierig bist, lernst du eine Menge Künstler kennen. Als Teenager lernte ich sehr viel über Bowie kennen… Witzig, dass Youmna Saba auch ein Album mit Burger gemacht hat. Das Rad….

Während Sharif Sehnaoui und Tamer Abu Ghazaleh auch bei uns recht bekannt sind, hat man von Musikern wie Charbel Haber oder Youmna Saba hierzulande noch wenig gehört. Wer sind die Leute und was könnt ihr über ihre Musik sagen?

Frédéric: Nun, Sharif Sehnaoui ist einer der Begründer von so großartigen Bands wie Karkhana, “A” Trio, Omar Orchestra und dem Johnny Kafata Anti-Vegetarian Orchestra, und arbeitet immer wieder zusammen mit Leuten wie Alan Bishop, Sam Shalabi, etc. Er betreibt ebenfalls dasl Irtijal-Festival und die Labels Al Maslakh und Annihaya. Wir entdeckten Tamer Abu Ghazaleh durch die großartige Musik von Alif (Nawa Recordings), einer panarabischen Band, zu der auch Khyam Allami und Maurice Louca gehören; er hat ein paar tolle Soloarbeiten und macht außerdem das Label Mostakell Egyptian. Charbel Haber ist eine unverzichtbare Figur in der neueren Underground-Szene in Beirut, er gründete mit anderen Bands wie Scrambled Eggs, Malayeen, The Bunny Tylers, Johnny Kafta Anti-Vegetarian Orchestra… Er hat ein paar Soloalben draußen bei Discrepant oder Scum Tapes und schreibt Musik für’s Kino (Ghassan Sahlab, Khalil Joreidge & Joanna Hadji Thomas) und Theater (Rabih Mroueh & Lina Saneh)…

Stéphane: Und zu Youmna, sie hat gerade ein neues Album draußen (Arb’een (40)) und sie zählt zu den nettesten Leuten, die wir kennen.

Aber wir haben außerdem mit den tollen Musikern von Two or The Dragon, Ali El Hout und Abed Kobeissy, zusammen gearbeitet. Ein Noise-Duo aus elektrischem Buzuk und Perkussion. Sie haben uns auf der letzten Tour begleitet. Ich kann dir sagen, dass sie die besten musiker sind, die ich je getroffen habe, zusammen mit Paul und Charbel und Sharif und… Mein Gott, sie waren alle so gut!

Viele Europäer scheinen eine Vorstellung vom Nahen Osten als einer homogenen Region zu haben. Wenn du dann über Beirut erzählst und experimentelle Musik und Kunst, Yoga-Kurse oder eine Schwulen-Szene und Clubkultur erwähnst, sind sie oft irritiert und scheinen nicht zu glauben, dass dies dort existiert. Was denkst du, sind die härtesten Klischees über diese Region, die westliche Menschen überwinden sollten?

Frédéric: Sie sollten Klischees generell vermeiden! Es ist verrückt, wie vorgefertigte Bilder und Ideen immer noch so mächtig sein können in einer 2.1-Welt! Es gibt heue so viele Wege Möglichkeiten, um an gute Informationen oder zumindest mehrere Sichtweisen heranzukommen… Ich denke, viele Klischees, die man hier über den Nahen Osten hat, wachsen auf dem gleichen Nährboden von Rassismus, Angst, Ignoranz und Verwirrung. Ab und zu sollte man mal in den Geschichtsbüchern blättern und sich daran erinnern, inweifern Europa, die Vereinigten Staaten oder Russland mit ihrer Politik für vieles verantwortlich sind, natürlich im Zusammenspiel mit den Alpträumen der lokalen Bevölkerungen in der arabischen Welt… Der Nahe Osten ist so vielfältig wie Europa und die Zivilisation fing hier an, Jahrhunderte bevor man in Europa so weit war! Natürlich kannst du jetzt nicht einfach mal zum Trekking nach Syrien gehen, du kannst in viele Ländern im Nahen Osten reisen, in den Libanon, nach Jordanien, Iran, Teile Ägyptens, Israel, und dort viele großartige Leute treffen, die oft eine weitaus pragmatische Toleranz und eine herzlichere Aufgeschlossenheit haben, als es bei uns üblich ist! … Kommt aus eurer Komfortzone und genießt es, wie klein ihr seid! ;-) (Ach, und das Essen ist so wunderbar!).

Stéphane: Die Korruption ist natürlich allgegenwärtig, aber das kennt man aus den unterschiedlichsten Regionen, aus Europa und aus dem Nahen Osten. Jeder Lebanese, den wir trafen, erzählte davon, und es scheint das größte Problem des Landes und der Region zu sein. Aber es ist wie mit dem Bäumen, wegen denen du den Wald nicht siehst. Es gibt so viele schöne Dinge hinter all dem, wie die unglaubliche Freude und die sorglose Art, die Freundlichkeit. Und vielleicht gibt es diese Korruption auch viel mehr bei uns. Das ist eines der härtesten Klischees, die wir hinter uns lassen sollten.

Habt ihr auch die traditionelleren und ärmeren Gegenden besucht oder die palästinensischen und armenischen Orte in der Nähe von Beirut?

Frédéric: In Beirut haben wir tatsächlich fast in Bourj Hammoud gelebt, dem armenischen Vorstadtbezirk. Mit ein paar libanesischen Freunden sind wir in die Beqaa-Ebene gefahren und haben die schöne Stadt Baalbek gesehen, sind in den Süden gefahren nach Nabatieh und Sour/ Tyrus, blieben ein bisschen an der Grenze zur UN-Sicherheitszone mit Israel, gingen nach Norden nach Tripoli… Fast 800.000 Palästinenser leben heute im Libanon, außerdam fast zwei Millionen syrische Flüchtlinge, und das bei einer libanesischen Bevölkerung von gut vier Millionen Einwohnern aus 18 verschiedenen Communities. Es ist halt nicht das gleiche, ob du im “Gotham”-Hauptquartier von Solidere Central Beirut lebst oder in einem palästinensischen Lager im Südlibanon mit großen Problemen mit strom und Wasser für mehr als den halben Tag. Es gibt viele Ungleichhaiten und soziale Spaltungen innerhalb des Landes, und die Mängel der öffentlichen Infrastruktur sind wirklich chaotisch innerhalb dieses fast feudalen Systems… Jeder muss im Alltag nach praktischen Lösungen und gegenseitiger Hilfe Ausschau halten.

Stéphane: Was mich wirklich überrascht hat, war das Fehlen einer Art Mittelklasse. Du siehst ab und zu Leute, die in den Straßen schlafen, weil es der Mittelmeerraum ist, aber du weißt auch, dass Lager existieren. Du siehst Leute, die mit nichts leben, wirklich Arme, die nur für’s Überleben arbeiten. Daneben siehst du oft in der selben Straße eine Menge protziger Autos wie Ferrari, Aston Martin und dicke Mercedes-Karossen. Zumindest in Beirut. Das verschlägt dir den Atem. Alles oder nichts. Du musst das akzeptieren, wenn du deinen Kopf nicht verlieren willst. Die Innenstadt ist privatisiert durch diese Firma Solidere. Es ist unglaublich. Direkt von Angesicht zu Angesicht hat du neue, chice Fünf Sterne-Hotels und Gebäude aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, immer noch voller Einschusslöcher, total leer, zerstört. Es ist schwer, sich das vorzustellen, wenn man es nicht gesehen hat, es ist der Wahnsinn. Aber so sieht es aus.

In euren Ideen scheint Zeit so wichtig wie der Raum zu sein (der letzte Albumtitel heißt dann auch auf arabisch “Jetzt!”), denn ihr erlebt die Orte ja auch in einem bestimmten Moment oder Zeitabschnitt. Glaubt ihr, dass eure Arbeiten in und über Griechenland und die Türkei eventuell ganz anders klingen würden, wenn ihr sie heute aufnehmen würdet?

Frédéric: Eine gute Feststellung über Raum und Zeit. Ich denke, alle unsere Alben haben dieses Pulsieren einer aktuellen Dringlichkeit als eine gemensame Sprach. ich persönlich bin nicht so nostalgisch, dass ich regelmäßig zurückblicken würde auf unsrere Diskografie, ich schaue liber nach vorn. Wir haben das beste gemacht in der Zeit die wir hatten bei jeder unserer Aufnahmen; ich bin glücklich und stolz über das, was wir erreicht haben, und dass wir nie aufgegeben haben. Das letzte mal, dass ich unser erstes Album gehört habe, war als “AL-’AN!” gerade draußen war, und ich dachte, dass einiges an “S/T” etwas kürzer sein könnte, manchmal waren wir vielleicht etwas zu duldsam gegenüber uns selbst; damals war das mit dem Improvisationsansatz noch recht neu und wir fanden gerade unseren Sound und wollten ihn dem Publikum in seiner “reinsten” Form weitergeben, zumindest Stellenweise… Heute bei “AL-’AN!”, wo wir erstmals Material mit lokalen Musiker einspielten und verwendeten, denken wir, dass wir das sicher auch schon bei  “ÜTOPIYA?” oder unserem Album so hätten machen können. Vielleicht waren wir noch nicht bereit dazu? Ich weiß es nicht, wie gesagt denke ich nicht viel über das nach, ich freue mich lieber über das Jetzt und die Zukunft, als dass ich unsere vergangenen Platten seziere.

Stéphane: Wir haben uns auf dieses Album viel mehr vorbereitet, vielleicht weil wir auch viel länger unterwegs waren als damals in Griechenland und der Türkei. Aber die Idee war auch nicht die gleiche, wir hatten eigentlich keine. Als Frederic mit Stéphane Charpentier nach Greichenland ging, beim ersten mal, da war es gar nicht geplant, ein Album zu machen. Er kam nur zurück und fragte mich, ob ich vielleicht etwas Musik für einen möglichen Film komponieren würde. Das war ganz anders, die Band entstand erst daraufhin. Er ging dann allein in die Türkei und kam dann zu mir nach Sizilien für das Zweite. Dieses mal gingen wir zusammen in den Libanon mit unseren Freunden Grégoire Couvert und Grégoire Orio, Das Filmemacher-Duo AS HUMAN PATERN. So war der Peozess jedesmal ganz anders, es passt zu einem besonderen Begehren zu einer bestimmten Zeit.

Auf allen Alben finden sich Tracks mit Rezitationen von G.W.Sok, in denen es immer wieder um die Marginalität des Menschen und der Erde geht. Für mich findet sich in “Ütopiya / On Living”, “The Strangest Creature on Earth” und “Through the Speech of Stars” in all der schonungslosen Art auch so etwas wie eine versteckte Sanftheit und etwas mitfühlendes. Gibt es da eine bestimmte Relation zwischen diesen Stücken und dem jeweiligen Album?

Frédéric: Natürlich. Wir haben für oder mit Jos alias G.W.Sok immer bestimmte Gedichte ausgesucht. Wir spielen ja hauptsächlich instrumentale Musik, und somit soll es schon immer was sein, wenn Worte und Vocals vorkommen. Wie bei den Feldaufnahmen soll auch die Poesie Teil einer Narration oder Story des jeweiligen Albums sein. Das erstemal, als wir Jos trafen und fragten, ging es um den Song “Ütopiya / On Living”. Wir schickten ihm einen rohen Mix der Instrumental-Spuren und zwei Ausüge von Gedichten des Türkischen Autors Nazim Hikmet in englischer Übersetzung, und Jos fand ganz natürlich seine eigene Interpretaion, so als wäre es sein eigener Text. Für die Live-Shows der ÜTOPIYA?-Tour benutzten wir für “Someone Must Shout That We Will Build The Pyramids” einen Auszug aus dem Monolog Domenicos in Tarkovskis Nosthalgia. Spoken Word-Performances sind für mich eine kraftvolle Art, Licht auf winzige individuelle Emotionen zu werfen, und G.W.Sok ist ein meister in seiner Art, diese Gedichte mit uns zu interpretieren. “Through The Speech Of Stars” und auch “The Strangest Creature On Earth” wurden nur in einem Take aufgenommen. Leidenschaft und Mitgefühl, Zärtlichkeit, Empathie, es ist tatsächlich von all dem etwas.

Stéphane: Das stimmt, Jos hat dieses Talent und die Erfahrung, einen text zu nehmen und in etwas noch Größeres zu verwandeln. Aber er arbeitet ebenso hart wie wir. Er macht sich immer Gedanken um die Bedeutung eines Gedichtes, und wenn er mit irgendwas nicht klar kommt, spricht er mit uns, nimmt Ausschnitte und eigenet es sich so an. So ist er freier beim interpretieren, und die Resultate sind immer großartig! Und ja, es ist viel Sanftheit darin, das ist wahr, es kommt aus den gedichten, aber auch von ihm. Er hat wahrsinnig viel gemacht, ist viel gereist, hat viele Shows gespiel. Er könnte längst total gelanweit sein davon, bei all dem, was er im Kopf hat, aber er ist genau das gegenteil, eine kultivierte Person, höflich, neugierig, freundlich und sehr nett. Er lamentiert nie wegen irgendwas, ist immer fair und steht zu seinen Ansichten, ein großartiger Mensch. Wir haben großen Respekt für ihn und für was er steht, als Musiker und als Mensch.

Wenn ihr Oiseaux-Tempête in eigenen Worten ohne die typischen Musik-Begriffe beschreiben solltet, was würdet ihr sagen?

Frédéric: Epiphanien!

Stéphane: Geschichten von anderen Orten und Zeiten, von und für unsere Toten.

Stehen schon wieder neue musikalische oder geografiche Ausflüge auf dem Plan?

Frédéric: Im Moment denken wir eher über eine zweite Hälfte unserer Tour nach, die uns im Oktober und November von Frankreich nach Belgien und wieder nach Deutschland, die Niederlande, vielleicht auch nach Polen, Großbritannien und eventuelle sogar nach Montreal bringen wird! Wir sollten im nächsten April uch wieder nach Beirut gehen und dort spielen. Und versuchen, zwischen diesn und anderen Projekten etwas Ruhe zu bekommen… Der Plan ist, keinen Plan zu haben!

Stéphane: So ist es!

(A.K. & U.S.)

Fotos: Frédéric D. Oberland & As Human Pattern

Übersetzung: U.S. & N. Seckel

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