Wie muss man sich die Musik einer Band vorstellen, die sich nach einer Zeile von Emily Dickinson benannt hat? Vielleicht in erster Linie als detailverliebtes Soundgewebe, etwas verhuscht und mit einem natürlichen Sinn für kleine Eindrücke, die ganz ungekünstelt aus der Wahrnehmung des Alltags herausgegriffen scheinen. Und offen sollte sie sein, so als ob am Ende einer Komposition ein imaginärer Gedankenstrich auf die Leerstellen verweist, hinter denen sich ungesagte, ungespielte und ungehörte Welten verbergen. Eine gewisse Naturverbundenheit kommt einem vielleicht noch in den Sinn, seltsam entrückt und immer mit dem Hauch einer morbiden Note. Der Name A Sphere of Simple Green ist einem Gedicht der großen Einzelgängerin der amerikanischen Literatur entnommen, das einen Zoom auf den scheinbar passiven Alltag der Grashalme in einer Wiese richtet und dabei eine überraschende Vielfalt an kleinen Ereignissen sichtbar macht, die der Wahrnehmung normalerweise entgeht.
Unter dem Namen A Sphere of Simple Green firmiert ein Trio, das der aus vielen Bands bekannte Simon Balestrazzi zusammen mit den Musikern Silvia Corda (u.a. Piano) und Adriano Orrù (u.a. Bass) gegründet hat, und von dem vor einigen Jahren bereits ein Album namens „Untitled Soundscapes“ erschienen ist. Schon beim Hören der ersten Stücke fällt auf, dass die Musik tatsächlich ziemlich viel von der feinsinnigen Detailverliebtheit und dem organisch anmutenden Gewebecharakter aufweist, die man auch in Dickinsons Gedichten findet.
In meiner Besprechung zu Balestrazzis anderem Projekt Daimon hob ich die Kombination von einem hörspielartig ausgerichteten Soundnarrativ aus zahlreichen Feldaufnahmen und der gleitenden Struktur elektronischer Ambientmusik hervor – bei A Sphere of Simple Green treten die gesampleten Sounds und ihre Geschichten direkt ins Zentrum des Geschehens, entfalten ihre Vielfalt in einem luftig-leeren Raum, statt in die dichte Substanz melancholischer Dröhnung getaucht zu sein. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sie alle naturbelassen sind.
Jedes Stück entfaltet sein eigenes typisches Setting mit natürlichen oder von Menschen hervorgerufenen Ereignissen, die stets veränderliche Stimmungen und Klangfarben entstehen lassen, subtil unterstützt von Musik im herkömmlichen Sinne, die ebenfalls im Hintergrund tönt: Sanfte exotische Klangfolgen auf einem Xylophon oder etwas ähnlichem und jazzige Piano-Sternschnuppen illustrieren ausgelassene Kinderstimmen, wie man sie schon von Daimon her kennt. Ihre Unbekümmertheit verwandelt sich schnell in verzerrtes, unheilverkündendes Quaken. Leise improvisierte Streicher, scheinbar richtungslose Gitarren und tiefe Klaviertasten untermauern eine Spannung der Unbestimmtheit, die von gesampleten Schritten und dem bedrohlichen Fauchen einer unsichtbaren Bestie erzeugt wird – eine mehr als passende Kombination an Sounds für einen Titel wie “Something I Saw in the Mist”.
Wind, Rascheln und ein Regenschauer aus verfremdeten Zerrbildern, folkige Bouzoukis, summende Streicher und rituelle Handdrums, und stets kurz aufflackernde Sounds und Stimmungsfetzen illustrieren, das auf diesem Album, das mehr ist als ein Hybrid aus Improv, Jazz und rituell konnotierten Soundeffekten, wenig ausgelassen wird. Dass es trotzdem nie überfrachtet wirkt, sorgt dafür, das die feinsinnige Spannung und die Eleganz der subtilen Veränderungen immer gewahrt bleibt. (U.S.)
Label: AZOTH Records