TORBA: Ivrjèn

Wenn man will, kann man mit Musik, die auf montierten Feldaufnahmen basiert, äußerst klare imaginäre Tableaus entstehen lassen. Klänge, deren Quellen relativ gut erkennbar sind, Ereignisse, die ein nachvollziehbares Narrativ voranbringen, und zuguterletzt ein übersichtliches Raumgefühl: Zusammen lassen diese Komponenten – gerne mithilfe aussagekräftiger Titel – eine Szenerie entstehen, die die Bilder, die man sich bei solcher Musik gerne vorstellt, gar nicht mehr braucht.

Obwohl der bis vor kurzem noch in Berlin ansässige Mauro Diciocia a.k.a. Torba diese Kunst beherrscht, neigt er in letzter Zeit vermehrt in die entgegengesetzte Richtung und erschafft vermehrt eine Musik, die mit all ihren Geräuschideen dunkel ausgeleuchtete Schauplätze mit zum Teil schwer bestimmbaren Ereignissen ins Leben ruft. Wer sich nicht nur berieseln lassen will, ist also selbst gefragt.

Der Titel „Ivrjèn“ ist eine eigenwillige Variation des apulischen Ortes Leverano, ganz in der Nähe der Stadt, die Torba als sein neues Refugium gewählt hat. Doch an welchem Ort auch immer diese Musik spielt, das genaue Setting muss wohl eine abgedunkelte Dachkammer sein, durch deren Wände mit ihren Ritzen kleine Strahlen des gleißenden Sonnenlichts dringen, die einen kleinen Blick auf das, was dort in Intervallen rauscht und raschelt und hektisch hantiert, erhaschen lässt. Schlau wird man nicht, auch nicht aus dem hochtönenden Gezwitscher, das ebenso gut tierischen wie mechanischen Ursprungs sein kann.

Szenenwechsel: Als läge man unter einem Auto und erblickte Ecken einer Straßenszene, deren Ganzes man nur erahnt: Frauen, die in ein Gespräch vertieft sind, ein Radio, an dem nebenbei herumjustiert wird, eine Blaskapelle, die vorbei zieht u.s.w. Später tauchen verschiedene melodische Versatzstücke auf einem Klavier auf, dass sich leitmotivisch gegen Schreie, Hubschrauberpropeller, blecherne Perkussion und manch andere Lärmquellen behauptet, auch wenn man es zeitweise dank entsprechender Bearbeitung für ein Glockenspiel halten könnte.

In zwei seitenfüllende Stücke segmentiert, zeigt das „Ivrjèn“-Tape Torba von seiner bislang subtilsten und in herkömmlichen Begriffen vielleicht auch „musikalischsten“ – d.h. Noise-fernsten – Seite, was im Grunde den seit einigen Jahren eingeschlagenen Weg konsequent weiterführt und auf weiteres gespannt macht. Die auch optisch schön gestaltete Kassette erscheint in mir nicht bekannter Stückzahl beim katalanischen Cønjuntø Vacíø-Label, das in der Vergangenheit u.a. schon durch German Army und Coagul-Releases in Erscheinung getreten ist. (U.S.)

Label: Cønjuntø Vacíø