Beim Versuch, Alte Musik in ein zeitgenössisches Gewandt zu packen, haben sich schon manche verhoben, sei es, indem Melodien und Harmonien aus vorklassischer Zeit in elektronischer Gewandung wie Kitsch anmuteten, sei es, dass man durch ungewollte Kontraste das Gefühl bekam, in zwei Filmen zugleich zu sein. Sylvain Chauveau ist ein meisterhafter Übersetzer musikalischer Sprachen – zuletzt besprachen wir seine kammermusikalische Übersetzung von Depeche Mode-Songs – entschied sich für eine dezente Transformation ausgewählter spanischer Renaissance-Stücke, die auf den ersten Eindruck recht nah an der traditionellen Spielweise bleibt. Mit dem Chant 1450 Renaissance-Ensemble und dem Studiomann Daniel Manhart hat er, wie es aussieht, genau die richtigen Partner gefunden.
Die Auswahl der auf „Echoes of Harmony“ interpretierten Stücke stammt aus zwei bekannten Manuskript-Sammlungen aus der Zeit um 1500, dem in der Kathedrale von Sevilla aufbewahrten „Cancionero de Colombina“ und dem „Cancionero de Palacio“, das sich im besitz des spanischen Königshauses befindet. Auch wenn sich gerade in der Colombina-Sammlung einige bekannte Stücke finden, die man etwa von Jordi Savall kennt, enthalten sie doch einiges an unbekannter und vermutlich bislang auch ungespielter Musik.
Gerade in der ersten Stücken des Albums hört man die modernen Beigaben und die elektronische Bearbeitung kaum heraus, das in einem voluminösen Orgeldröhnen endende „Juan del Encina“ bildet einen andächtigen Auftakt, das auf Streicher und Harfe basierende „Siempre criece“ entfaltet in seiner repetitiven Akkordfolge eine Wehmut, die auf den ersten Anschein so originalgetreu anmutet wie die Instrumentierung. Sakral klingende Tenorgesänge erinnern den Laien an Händel und Purcell, die Verwendung des Spanischen und Katalanischen (in den Manuskripten sind auch zahlreiche Stücke in Latein und weiteren Sprachen enthalten) gibt dem Ganzen einen ungewohnten Reiz. Es mag weit hergeholt klingen, aber manche der primär auf Laute basierenden Stücke, aber auch die etwas üppigeren, die an höfische Tänze erinnern, ließen mich an Baby Dee denken, die Renaissance-Musik zu ihren Haupteinflüssen zählt und schon einmal erwähnte, dass sie die Spanier den Engländern wie John Dowland vorzieht.
Neben tollen Lautensoli und eingängigen Vokalstücken wie Ave Virgo gibt es aber auch genügend Raum für Experimentierfreude. Die zusammenhängenden Stücke „Digas Tu“, „Enrrique“, „Pues Con Sobra“ und „Tristesa“ bilden eine unberechenbare Folge immer neuer Lauten-Ornamente, ein Bewegungsmuster, das immer in der Schwebe bleibt und ohne Bruch in einen komplett anders gearteten Streicherteil übergeht. Hier gibt sich, wie generell am ehesten beim Bratscheneinsatz, die Elektronik etwas deutlicher zu erkennen. Im weiteren Verlauf häufen sich dann auch Dröhn- und Halleffekte aller Art, und für kurze Augenblicke darf sich das auch mal unversöhnt in die Quere kommen.
Mehr als alles andere ist „Echoes of Harmony“ ein ästhetischer Genuss. Dass es nebenbei zeigt, wie gut Alte Musik und experimentelle Elektronik zusammen gehen können, wenn man nur die Kunst des dezenten Andockens versteht, ist dabei mehr als ein Bonus. Zugegeben ist der “alte” Aspekt hier wesentlich zentraler, sodass man dafür schon ein gewisses Faible mitbringen muss. Puristen dieser Coleur könnten hier aber einige ihrer Vorurteile gegenüber Experimenten und Neuerungen loswerden. (U.S.)
Label: Sub Rosa