HIDDEN REVERSE: Six Cases Of Sleep Disorder

Für die Musik von Hidden Reverse kann man die abgenutzte Vokabel des Experimentellen tatsächlich einmal etwas unbedarfter verwenden, denn die von zahlreichen anderen Konstellationen her bekannten Musiker Simon Balestrazzi und Massimo Olla gehen in ihrem gemeinsamen Projekt nicht nur den Möglichkeiten ungewöhnlicher Strukturen und Stimmungen nach, sondern auch dem Potenzial ungewöhnlicher Instrumente, die sie meist selbst als Unikate herstellen. Eines davon, eine mit Saiten, Federn und Metallplatten bestückte Knarz-, Klage- und Dröhnmaschine, die akustisch und unter Strom gespielt werden kann, nennt sich [d]Ronin und hat dank der Verwendung durch zahlreiche Nachahmer mittlerweile eine eigene Karriere hinter sich.

Nach ihrem ersten Tape „Articulation 1 & 2“, das vor gut einem Jahr bei Old Europa Café erschien, melden die beiden sich erstmals auf dem Medium CD zu Wort und widmen sich einem interessanten Thema, nämlich der Schlaflosigkeit bzw. allgemeiner dem gestörten Schlaf. Und da Phasen der Schlaflosigkeit nicht nur leidvoll sind, sondern darüber hinaus Momente ungewöhnlicher Konzentriertheit und aufgedrehter geistiger Aktivität bereithalten und sich zugleich mit merkwürdigen Traumaktivitäten abwechseln können, eignet sich das Sujet wunderbar für atmosphärisch intensive und vielschichtige Musik.

Ich weiß nicht, wie sehr sich Balestrazzi und Olla nun, wie die Titel suggerieren, konkreten klinisch unterschiedenen Formen der Schlafstörung zuwenden, aber das Bild, das sie hier entwerfen, ist bedrohlich und schön, hektisch und klar, dunkel und luzide zugleich und präsentiert die Schlaflosigkeit so keineswegs als reine Tortur. Schon in der „Fatal Familial Insomnia“, die sie in ihrem Opener interpretieren, zeigt sich in den unebenen Flächen des brummenden Doomambient, dem mysteriösen Kratzen und dem konzentrierten Pfeifen des [d]Ronin nicht nur die Schrecklichkeit, sondern auch die Schönheit der erzwungenen Wachheit, und der klarinettenartige Klang zum Schluss scheint fast ein Ende des Martyriums anzudeuten, doch vielleicht ist das auch nur die Fata Morgana eines Wachtraums. In „Night Terrors“ scheint Balestrazzi in seinem Element: Etwas, das wie verfremdete Vogelstimmen klingt (und an sein Dream Weapon Ritual-Projekt erinnert), entfaltet sein Gezwitscher in allen Klangfarben über schweren und ultrarepetitiven Industrial-Sound, immer intensiver wird das Geschrei, bis man nach einem plötzlichen Perkussionsgewitter für Augenblicke heimelige Dunkelheit gehüllt wird.

Manche Tracks geben sich subtil und hintergründig wie das dunkle „Obstructive Sleep Apnea“, andere wie „One More White Night“ erschaffen mit undefinierbaren Tierstimmen im Zeitraffer einen Alptraum, der den frühen Nurse With Wound zur Ehre gereicht hätte. „In That Liminal Space Between Contending Realities“ ist für mich das beste Stück, da in seinem rituellen Pauken, den Glöckchen und dem undefinierbaren Kreischen alle Stimmungen der Platte fast zu einer paradoxen Einheit verschmelzen. Gerade dieses Paradoxe scheint mir, wenn auch in den meisten Stücken eher im Nebeneinander unterschiedlicher Stimmungen, ein zentraler Zug dieses Albums und macht einen Großteil seines Reizes aus. (U.S.)

Label: AZOTH Records