MIRACLE: The Strife Of Love in a Dream

In dem Jahrzehnt, in dem Miracle kein originelles Retrophänomen gewesen wären, sondern die Spitze des unerhört Innovativen, wäre Sänger Daniel O’Sullivan wahrscheinlich als Kuriosität in die Annalen der Zeit eingegangen – oder er hätte eine musikalische Revolution ausgelöst: Ein eigenwilliger Experimentalmusiker, dessen zahlreiche Projekte wie Guapo, Æthenor oder Laniakea die Genrekenner in Verlegenheit gebracht hätten, und dessen bekannteste Kollaborationen Ulver und Sunn O))) aus dem Metal stammen, gründet eine Synthieband, die mit ihren dunklen Ohrwurmsongs prompt in die Liga von OMD, Human League und Depeche Mode aufsteigt. In den frühen und mittleren Achtzigern nahezu undenkbar.

Ich weiß nicht, wie oft Kollegen schon hervorgehoben haben, dass bei Synthpop seit der ersten Retrowelle der 90er die Spuren der Entstehungszeit deutlicher zu hören sind als die aufgesetzten Eighties-Referenzen, außer bei der einen bestimmten Band, die wie ein aus der Zeit gefallenes Original klingen soll. Ich behaupte etwas ähnliches zumindest von weiten Teilen des neuen Miracle-Albums „The Strife Of Love in a Dream“, und ich vermute, dass all dies gerade deshalb so gelungen ist, weil Sänger O’Sullivan und Producer Steve Moore, die unter dem Namen bereits ein Album und einige kleinere Releases draußen haben, das ganze Retroding wahrscheinlich gar nicht so sehr auf dem Schirm hatten.

Lässt man dies dann auch mal außer Acht, fällt u.a. der Reichtum an überraschenden Ideen auf, die den Songs eine Tiefe geben, die weit über catchy Hooklines und traurigschöne Refrains hinausgeht. Viele Besonderheiten der Stücke finden sich beim Gesang und den Rhythmen, kleine Brüche, die das New Romantec-Idyll von innen subtil unterwandern und so erst zu dem machen, was schon in der alten Zeit Wegmarken von besseren Schlagern unterschied. Beim markanten Opener „Parsifal Gate“ wirkt die Stimme mittels Bearbeitung leicht verwaschen, bei der Single-Auskopplung „Light Mind“ sind die melodischen Vocals leicht nach hinten gemischt, und in beiden Tracks nimmt die Rhythmussektion einen für solche Musik doch etwas dominanteren Part ein – nur leicht über dem Üblichen, doch wirkungsvoll genug. Dass Gast-Drummer A.E. Paterra vom (Post-)Rock kommt, zeichnet sich ab und ist ein Grund, warum ich manchen Vergleichen mit den doch weitaus statischeren Sisters of Mercy nicht nachvollziehen kann.

Eine weitere Spezialität, die sich erst im Verlauf des Albums etwas deutlicher bemerkbar macht, ist das Ambient- oder Drone-Fundament, das manche Nummern (wie „The Seventeen Nineties“ mit seinen orchestralen Untertönen und dem leichten Hang zum Dubstep oder das hinter schlaftrunkenem Gesang dunkel dröhnende „Sulfur“) subtil prägt, anderen aber eine fast filmmusikartige Aura geben: In „Night Sides“ mischen sich unruhige Klangflächen mit Klagegesang und orientalisch anmutenden Streichern und kreieren eine spannungsvolle Atmosphäre ganz eigenen Charakters. Ob dies der Anknüpfungspunkt für den entrückten Longtrack „Angelix“ ist, der am ehesten aus dem Synthie- und Wave-Rahmen fällt und einem gegen Ende in noch tiefere Traumschichten entführt?

Ein fantastisches Popalbum für verzagte Kopfhänger mit Sehnsucht nach einer alchemistischen Verwandlung der Wirklichkeit oder dessen, was man dafür hält – dies wäre mein Slogan, wenn ich Werbung für „The Strife…“ machen müsste, das beim Post Metal-Label Pelapse hoffentlich nicht sein Publikum verfehlen wird. Und ich würde wahrscheinlich noch hinzufügen, dass manchmal weit mehr als Beliebigkeit entsteht, wenn einst unvereinbare Musiktraditionen immer näher zusammenrücken.(U.S.)

Label: Relapse Records