NIEDOWIERZANIE: Lumière

Beim derzeitigen Output Niedowierzanies kann man schon mal den Überblick verlieren, erst recht, was die Reihenfolge der zur Zeit meist auf Tape erscheinenden Alben des in der Nähe von Barcelona lebenden Franzosen betrifft, denn die Chronologie der Veröffentlichungen deckt sich nicht immer mit der der Aufnahmen. “Lumière”, das erstmals beim amerikanischen Label Lighten Up Sounds erschienen ist, ist so etwas wie ein elektronischer Wechselbalg des zwar nicht ganz handgemachten, aber doch von seinen vielen Folkelementen lebenden “Tout les Chemins de Mon Pays”. Die Strücke entstanden im gleichen Zeitraum und partiell sogar in den gleichen Aufnahmesessions.

Entgegen seinem Titel beginnt “Lumière” recht dunkel und v.a. ganz leise, wie aus einem Keller kommt einem “Adonis” anfangs noch bedächtig entgegengedröhnt, schnell allerdings macht sich ein fast schon hastiges Rotieren breit und evoziert beinahe das ganze recht lange Stück über die Vorstellung von etwas Gefahrvollem, Infernalischem.

Wer die meisten früheren und so auch die neueren Aufnahmen des Musikers kennt, registriert hier einen eher ungewohnten Synthiesound, in dem der Flair alter Computerspiele ebenso anklingt wie das Echo monumentaler Filmscores. Aber wie um den Bruch nicht allzu extrem geraten zu lassen, finden sich im Opener auch noch Reste des sehnsüchtigen Saitenspiels, die an andere Releases erinnern. Hier freilich sind sie in dunkles Dröhnen gehüllt und klingen wie ein Zombie ihrer selbst, und auf eine gewisse Art kann man das von den melierten Hochtönern im ungleich smootheren “Elephanta” ebenso behaupten, und die Zombifizierung erlebt ihren Höhepunkt in “Horreur”, dessen Sound anfangs überraschend friedlich wirkt, das sich aber immer schwindeliger zu drehen beginnt und mit wunden Schleifgeräuschen irgendwann an einen Sleaze-Giallo als Computerspiel erinnert.

Neben diesen Tracks mit Resten eines organisch anmutenden mediterranen Echos offerieren andere Stücke lupenreine Heterotopien aus Hall und Trockeneis, und der grandiose Ohrwurm “Menace”, ein waviger Marionettentanz erster Güte, sollte in jedem verhipsterten Retroclub gespielt werden, um den Fakes das Fürchten zu lehren. Wer bei diesem Stück oder den von augenzwinkernden Klischees strotzenden “Eternite” noch nicht in Trance geraten ist, dem sollte es, wenn er denn noch zu retten ist, spätestens beim Titelsong passieren: Hallendes Gleiten und feierliche Downtempobeats schaffen eine hypnotische Viertelstunde, und die Erinnerung an die Zeit, als Kirlian Camera noch ihr typisches dunkles Charisma versprühten, mag vielleicht eine etwas vorschnelle Assoziation sein.

Nach gut 45 Minuten “mutant alien groove and ambient trance electronics” ist man um eine weitere Facette Niedowierzanies reicher, und wer in den Besitz eines der 70 blauen Tapes kommen will, soltle sich nicht allzu viel Zeit lassen. (U.S.)

Label: Lighten Up Sounds