Es ist anzunehmen, das Stelios Romaliadis, als er mit seinem offenen Projekt Lüüp 2011 das Album “Meadow Rituals”, ein exzellente Pastiche auf englischen Progfolk vergangener Zeiten herausbrachte, schon eine bewegte Musikerlaufbahn hinter sich hatte, denn die Nieschenmusik Griechenlands wirkt von uns aus gesehen oft wie in undurchsichtiges Dunkel gehüllt. In ein solches scheint er danach auch wieder abgetaucht zu sein, denn in den Jahren darauf vernahm man von ihm nur wenige Lebenszeichen wie seine Mitgliedschaft bei den Black Lesbian Fishermen und den Beitrag zur Compilation “In the Cities of your Eyes”.
Vor ein paar Wochen tauchte er fast unbemerkt wieder an die Oberfläche mit einem Werk, das sich in den Augen ganz unterschiedlicher Hörer zwischen Alter und Neuer Musik und zwischen Ambient und Black Metal als großer Wurf entpuppen sollte. “Canticles of the Holy Scythe” ist eine kammermusikalische Reflexion über den Tod als Symbol der Erneuerung und Motor der Bewusstwerdung und so – inklusive einiger Anspielungen auf diverse esoteriche Traditionen – ein Werk von einiger Tiefe. Die erweist sich aber an vielen Stellen als äußerst dramatisch.
Die Mittel, auf die das Album in erster Linie setzt, sind Klavierparts, die nicht selten an Komponisten wie Ligeti erinnern, tiefe Streicher von meist mitreißender Dramatik und sehr unterschiedliche Stimmbeiträge. Im eröffnenden “Why are the Mountains Black?” erinnert der mehrstimmig multiplizierte Gesang Xenia Rodotheatous in seiner entrückten Monotonie an osteuropäische Liturgieformen, über geheimnisvolle Pianoparts, die immer wieder spontan ihr Tempo verändern, rückt er gerne mal in die Nähe der Atonalität und sollte denjenigen Fans von Gruppen wie Dead Can Dance oder Ataraxia gefallen, die in solcher Musik die weniger gefälligen Seiten nicht überhören. Sofia Sarri, eine weitere Gastsängerin, bietet im folgenden Stück ein deutliches Kontrastprogramm aus tremolierenden und fauchenden Beschwörungen, die ausgesprochen gut zu den aufwühlenden Streicherriffs nach Art von Rasputina und Apocalyptica passen und eine angemessene Vorstufe zu Sakis Tollis (Rotting Christ) abgründigem Growling in “The Greater Holy Assembly (Ha Idra Rabba Qadisha)” darstellen. Mit seinen Trommelwirbeln und Noiseschleifen wirkt das Stück rituell, und wie bei den meisten Tracks wird viel auf Spannung gesetzt: Immer wieder wartet man auf einen Ausbruch, der sich manchmal ereignet, manchmal aber auch gänzlich unerwarteten Richtungswechseln den Raum lässt.
Ein stimmungsvolles Interludium aus Bläsern und Streicherparts leitet über in das emotionale Wechselbad der beiden finalen Tracks, bei denen das Dilemma aus hektichen Streichern und dem schleichenden Leidensgesang von Aldrahn (u.a. Dodheimsgard) in “Stibium (Triumph Of Death)” auf einen außerweltlichen Minimalismus in “Mors Consolatrix” trifft – mich würde an der Stelle sehr interessieren, wie die ungewöhnlichen Gesangstechniken eines Attila Csihar in dem Kontext wirken, der die Band gelegentlich live unterstützt, man sollte dafür gelegentlich die bekannten Videoplattformen konsultieren. Ein merkwürdigs gläsernes, wie durch ein Prisma gebrochenes Piano, das einer Komposition Arvo Pärts entstammen könnte, bildet das Fundament für die fast gehauchten Stimmtupfer der Sopranistin Anna Linardou (Liminal Vanguard). Immer wieder kristallisiert ich eine berührende Melodie heraus, die von Zeit zu Zeit subtil ihre Richtung ändert und einen alles in allem unprätentiösen Schluss einleitet.
Dass eine über weite Strecken durchus etwas dicker aufgetragene Reflexion über letzte Dinge eher verhalten endet, lässt das Konzept um einiges reifer wirken, und dazu passt auch, dass die Themen und Motive eher angerissen werden, und die Gesänge der Heiligen Sense letztlich doch ein opera aperta (Eco) darstellt. Obwohl ich durch die eher dezenten Gesangsbeiträge des ersten und letzten Stück durchaus der Kreis schließt und eine runde Sache dabei herauskommt.
Label: I, Voidhanger Records