V.A.: Four Corners of the Globe

Das in der Amsterdamer Innenstadt gelegene Veranstaltungszentrum Occii, einst aus der “Hocker” (Hausbesetzer)-Bewegung hervorgegangen, hat sich bei der Auswahl seiner Konzerte einen viel missbrauchten Begriff auf die Fahne geschrieben: die Freiheit. Freiheit nicht im Konsum, sondern gerade jenseits der Sachzwänge des Kommerzes in der Musik, die im Grunde seit der Industrialisierung m.o.w. alle Musikarten bestimmen, Freiheit von aufoktroyierten Mode- und Genrediktaten und Kulturgrenzen. Eine ordentliche Messlatte, die im Grunde all das in Erinnerung ruft, das einmal den DIY-Begriff des Punk ausmachte.

Für alle Unkenrufer mag das wie ein call for shouts klingen, einmal wieder darauf hinzuweisen, dass es all diese Abhängigkeiten immmer geben muss und sei’s im Kleinen, und natürlich darf das Wort “naiv” nicht fehlen. Was erstens nicht stimmt, zweitens zuverlässig endlose ermüdende Diskussionen hervorruft, doch wie dem sei – bei den auf der vorliegenden Compilation versammelten Musikern, die alle bereits im Occii aufgetreten sind, demonstrieren die Macher ihr konsequentes und originelles Vorgehen.

Zum Auftakt liefert das äthiopisch-niederländische Duo Afework Nigussie und Zea einen staubig-resignativen Bluesrocksong mit lieblicher Geige als Kontrastmittel über das Leben in Bourgeois Town, wo man zum Atmen in die verrauchte Bar geht und mit Journalisten rumhängt, die ihren Drink nicht mal bezahlen können. Wahrscheinlich denken hier die meisten gerade an ihre Stadt. Zwei weitere afrikanische Acts greifen noch tiefer in die Folkkiste: Les Filles de Illighadad aus Niger präsentieren ein unbekümmertes Instrumentalstück mit Handclaps, Rasseln und ornamentalem Saitenspiel, der ghanaische Kologovirtuose King Ayisoba, vielleicht der gefeiertste Star des Genres und einer der bekannten Namen auf dem Sampler, schmettert eine hochtönende Melodie voll wunder Heiserkeit zu urig-repetitiven Kologoakkorden.

Der funky Mathrock der polnischen KURWS (mir schwant, dass das nichts stubenreines bedeutet) bereitet angemessen auf die zweite Seite der LP vor, auf der es nordischer und insgesamt krachiger zugeht, jeder der folgenden Tracks wunde direkt im Occii aufgenommen. Cinema Soloriens zusammen mit ex-Sun Ra-Saxophonist Marshall Allen veranstalten ein supergnadenloses Viertelstundenfreakout mit dem Format von John Coltranes “Stellar Regions”. Drop Dead aus der Stadt Lovecrafts und Lingua Ignotas (ersteres hoffentlich kein allzu unbeliebter tag, aber was weiß man hier sonst schon über Providence, Rhode Island) spielen zwei kurze, kraftvolle Anarchocruststücke voller Gedresche und Gekrächze, die Niederländer LäRM lassen es noch kürzer angebunden krachen. Mit dem unscheinbar betitelten “Elke Dag” schließt das lokale Soundprojekt Rooie Waas die Sammlung auf bizarre Art ab: Vibrierende Ventilatoren, oder zumindest etwas so klingendes, jaulende Soli und monströse Smeagolvocals bilden einen krönenden Abschluss. Auch so etwas ist Freiheit.

Punk, Improv, Jazz, interkultureller Folk und jede Menge Experimentierfreude mit Sounds: All dies ist weit entfernt von jeder Homogenität, aber der rote Faden, die Spontaneität, ist mit Händen zu greifen und reißt nicht – und so entsteht stilistisch eine wahre Quadratur des Kreises bzw. der Kugel, was den Titel der Compilation dann gleich weit weniger widersprüchlich klingen lässt. Dieser rote Faden knüpft auch recht gut an an die vormodernen Ideale einer Musik, die häufiger als heute in der freien Zeit (oder von am Rande der Gesellschaften lebenden Menschen) jenseits geschäftlicher Interessen gespielt wurde. (U.S.)

Label: OCCII / Makkum Records / Red Wig / Rebel Up! Records