Yuko Araki ist nicht nur Multiinstrumentalistin, sondern auch Multistilistin. In den letzten Jahren hat die in Tokio lebende Künstlerin einige Gruppen ins Leben gerufen, deren Musik von Acid House über Doom- und Black Metal-angehauchte Neoklassik bis zu imaginärem rituellem Folk reicht – eine musikalische Bandbreite, zu der sie Gesang, Percussion, Piano, diverse Elektronik und einiges mehr beisteuert. Auf ihrem Soloprojekt überrascht sie mit einem derben und soghaften Noise, den man in die Tradition von Landsleuten wie C.C.C.C. oder Government Alpha stellen kann, der aber zwei Eigenschaften aufweist, die sich auch durch all ihre bisherigen Arbeiten ziehen: eine frei entfesselte Energie, die sich mit gut durchdachter Komplexität mischt. Nach einer beim indonesischen Gerpfast Raw Tape Division-Label erschienenen Debüt-EP (und einigen Samplerbeiträgen z.B. auf der großartigen “Uchronia”-Compilation) steht nun der Nachfolger als schön gestaltetes Tape bei Commando Vanessa ins Haus. Ich wage die Prognose, dass man ihren Namen in Zukunft öfter hören und lesen wird.
Du hast gerade dein Soloalbum “II” aufgenommen, aber du spielst auch in vielen Bands. Es scheint, dass du gerade ziemlich produktiv bist. Womit bist du zur Zeit beschäftigt neben der Vorbereitung deiner bevorstehenden Europa-Tour?
Ich probiere ein Set mit einigen neuen Instrumenten aus und komponiere neue Tracks für die kommenden Alben jedes meiner Projekte und mache daneben meinen Lebensunterhalt in Tokio. Die erste Hälfte dieses Jahres war ich sehr beschäftigt und auf Tour in vielen Ländern, jezt atme ich tief durch und nehme mir Zeit, darüber nachzudenken, was ich als nächstes tun werde.
Du scheinst sehr unterschiedliche musikalische Interessen zu haben, was sich auch in der Vielfalt deiner Projekte widerspiegelt. Wie sehr beeinflussen sich diese gegenseitig? Gibt es da manchmal den Drang, einen klareren Schnitt zwischen ihnen zu machen, um die Stile und Ideen getrennt zu halten?
Es ist wie eine chemische Reaktion. Ich bekomme neue Ideen, während ich an etwas anderem arbeite, so gesehen stecken sie sich schon gegenseitig an. Aber ich finde es ebenso inspirierend, ganz neue Sachen auszuprobierens. An verschiedenen Projekten zu arbeiten, gibt mir mehr Möglichkeiten, meine obsessiven Ideen umzusetzen.
Dein Soloprojekt ist noch relativ neu, zumindest wenn es um Veröffentlichungen geht. Wie kam es dazu, dass du ein eigenes Noiseprojekt auf die Beine brachtest?
Ich bekam eine Einladung von Hiroshi Hasegawa (ASTRO / C.C.C.C.), ein Solo-Set auf einem Gig zu spielen, den er organisierte, und so kam es zu meinem ersten Auftritt. Ich war sehr froh über die Einladung und entschied mich für ein improvisiertes Set mit sovielen Instrumenten wie möglich, die ich gleichzeitig spielen konnte.
Der Sound deines Albums „II“ scheint mir ein bisschen mehr die Synthie-Aspekte in den Vordergrund zu stellen als sein Vorgänger „I“. Was kannst du uns über die unterschiedlichen Arbeitsweisen sagen beim Schreiben und Aufnehmen beider Alben?
Für die A-Seite von “I” wollte ich einen poppigeren Lo-Fi-Sound komponieren, nur mit meiner Stimme und meinem kleinen demolierten Synthesizer. Ich war so aufgeregt, auf dem Jogja Noise Bombing Festival 2019 in Indonesien aufzutreten, als ich es aufnahm, also war es inspiriert von meiner Vorfreude darauf, wie viel Spaß ich haben würde. Für die B-Seite wollte ich Tracks mit Quintuplets und Feedback machen, und dies setzt sich auch auf “II” fort. Ich hatte auch den Ehrgeiz, verstimmte harmonische Drones für “II” aufzunehmen.
Die Initialzündung, um neues Material zu komponieren, kann sehr unterschiedlich sein, kann z.B. eher mit Emotionen oder mit Technologie zusammenhängen. Wie ist es bei dir?
Vor kurzem fand ich ein japanisches Saiteninstrument – ein Shamisen – in dem Haus meiner Familie, mein Großvater spielte darauf. Das inspirierte mich dazu, ein neues Album zu machen. Ich knüpfe gerne tiefe Verbindungen zwischen meinen Kompositionen und meinen persönlichen und emotionalen Erfahrungen.
Wenn du neue Arbeiten angehst, hast du spezielle Ideen im Kopf, oder imrovisierst du eher und schaust, was dabei herauskommt?
es ist gemischt, aber mir ist es lieber, wenn ich schon ein paar Ideen im Kopf habe, v.a. wenn es darum geht, welche Instrumente ich verwenden werde auf einer bestimmten Aufnahme.
Noise (mit all seinen Unterkategorien wie Noise Rock, Harsh Noise, Japanoise u.s.w.) hat eine lange Tradition und geht in seinen typischen Formen zurück bis in die 70er Jahre. Das kann eine Bürde und zugleich eine Quelle der Inspiration sein. Wie denkst du darüber?
Ich war zuvor kein so großer Fan von Noise-Musik. Ich interessierte mich tatsächlich viel mehr für verschiedene Arten von Rock. Tokyo hat allerdings eine sehr aufregende Szene für Noise und elektronische Musik, ganz im Unterschied zum Rock, was mich dazu brachte, ein altes Korg-Keyboard auf der Kiste zu holen, das meine Mutter mir einmal gegeben hatte, und meinen Selbstausdruck durch das elektronische Medium zu erkunden. So kam ich dazu sehr spontan und ohne die Bürde der Geschichte.
Gibt es bestimmte Künstler oder Platten im Noise, die später wichtig für dich wurden?
Astro, Painjerk, Endon, Blackphone666, Government Alpha, Like Weeds, Incapacitants und viele großartige Performances, die ich in Tokyo sehen konnte.
Kannst du uns deine Bands Kuunatic, Concierto de la Familia (welche anscheinend tatsächlich ein Familienprojekt sind) und YobKiss vorstellen, in denen du immer ganz unterschiedliche Rollen einnimmst?
KUUNATIC ist eine Tribal Rock-Band aus dem Herzen neuer Stammeskulturen aus dem Fantasyland Kuurandia. Ich schlage die Trommeln und singe. Concierto de la Familia ist ein Dark Ambient/Cold Wave-Duo und inspiriert von Black Metal, Neoklassik und traditionellen japanischen Gesangsstilen. YobKiss ist ein Acid House-Duo und wird produziert von Paul Borchers. Er schlug mir vor, Synthesizer und Xoxbox (TB 303-Clone) zu spielen, und diese wurden dann zum Fundament für meine Solosachen.
Es ist bekannt, dass du als Kind Klavierspielen gelernt hattest. Hast du dir all die anderen Instrumente nach und nach selbst beigebracht?
Ja, ich hatte nur Klavierstunden bekommen, aber das gab mir ein Fundament, um mich anderen Instrumenten und Technologien anzunähern. Der “Trial & Error”-Prozess, kann kreativ sehr inspirierend sein, wenn man neues kennen lernen will.
Kuunatic klingt für mich schon ein bisschen wie eine experimentelle Form japanischer Ritualmusik (was aber auch ein auf westlichen Vorstellungen basierendes Klischee sein kann). Was sind die Ideen hinter dieser Musik und wie seid ihr zu diesem Stil gekommen? Wie reagieren die Leute in Japan darauf?
Wir sind beeinflusst von weltweiten Traditionen des Tribalismus und Schamanismus. In Japan bekommen wir sehr gute Reaktionen vom Publikum, und manchmal sagen sie, wie erinnern an Schreinjungfrauen (Miko), die eine rituelle Funktion im Japanischen Shinto ausüben. Ich denke aber nicht, dass wir spezielle Verbindungen zu spirituellen Traditionen Japans haben. Es ist interessant, dass das Publikum uns immer wieder mit so unterschiedlichen Musikarten in Verbindung bringt. Wahrscheinlich sind wir letztlich unkategorisierbar – auch wenn ich ganz einfach sagen könnte, dass wir kuurandisch sind.
Ihr hattet mit dieser Band auch an der Anthologie “Sheito” teilgenommen, was “Blaustrumpf” heißt und auf ein japanisches feministisches Magazin aus dem frühen 20. jahrhundert verweist. Denkst du, dass sich einiges geändert hat, wenn es um die Situation kreativer Frauen in deinem Land geht, und werden Musikerinne anders wahr genommen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen?
Meinem eindruck nach hat sich nicht sehr viel geändert. Es ist nach wie vor eine männlich dominierte Gesellschaft, die einen weiten Weg vor sich hat um echte Maßstäbe der Gleichbahandlung zu bekommen. Persönlich jedoch, vielleicht weil ich gerade in einer maskulin dominierten Gesellschaft aufgewachsen bin, tendiere ich eher zu typisch männlichen Aktivitäten. Vielleicht hat es mich deshalb immer etwas weniger betroffen.
KUUNATIC ist meine erste Gelegenheit, Musik mit rein weiblichen Bandmitgliedern zu spielen, und ich hatte das Gefühl, dass wir sehr gut miteinander synchron waren, und das ist gut für unserer gemeinsame Stimmperformance und die Kreation unserer ganz eigenen Welt.
Vielen Dank für das Interview!
Vielen Dank zurück!!
Fotos © Shoko Yoshida, Tatyana Jinto Rutherson und Taku Katayama