MIGUEL FLORES: Lorca – Lost Tapes (1989-1991)

Taucht man etwas tiefer ein in die Geschichte der experimentellen Musik Perus, dann taucht neben Arturo Ruiz del Pozo, Manongo Mujica und Luis David Aguilar auch immer wieder der Name Miguel Flores auf. Ursprünglich vom Rock herkommend und Mitglied mehrerer Bands aus dem Großraum Lima wandte Flores sich Ende der 70er abstrakteren Soundscapes zu, von denen er ein riesiges Archiv anlegte, aus dem sich einige Konzertauftritte speisten. Die 2014 zusammengestellte Compilation “Primitivo” gibt ein anschauliches Zeugnis seiner Aktivitäten aus dieser Zeit.

Knapp zehn Jahre später komponierte Flores die Scores für zwei Theateraufführungen, in denen es in unterschiedlicher Form um den spanischen Dramatiker Federico García Lorca ging. 1989 wurde unter der Regie Oswaldo Fernández’ das Stück García Lorca Siempre (García Lorca Forever) aufgeführt, das Stationen der Biografie des Autors mit Auszügen seiner Stücke zu einem aussagekräftigen Narrativ synthetisierte. Zwei Jahre später führte Luis Felipe Ormeño das Stück When Five Years Pass auf. Auszüge der minimalistischen und nichtsdestoweniger expressiven Soundtracks aus Flores’ Werkstatt sind nun auf der vorliegenden Platte zusammengestellt.

Die Sammlung der lediglich nummerierten Stücke beginnt wie eine schwermütige Traumlandschaft, die trotz der gar nicht sparsamen Instrumentierung aus Piano, sirrenden Streichern und einer einsamen spanischen Gitarre wie mit dünnen Strichen gezeichnet scheint. Daran ändert sich auch nicht, wenn noch mehr – die sanft gewundenen Figuren eines Instruments, das an eine singende Säge erinnert, feurige Akkorde aus dem Flamenco-Fundus – hinzu kommen, und stets hat die getragene Schönheit den reizvollen Hauch einer verschüchterten Euphorie, die Matt Elliot sicher gefallen würde. Doch all dies ist erst der Anfang, denn barocke Synthies leiten bald schon über in einen gestylten Strudel aus spannungsgeladenen Klangkollagen, die in den frühen 70ern den perfekten Score für einen Giallo von Martino, Fulci oder Argento abgegeben hätte.

Flüsternde Stimmen, aus deren Stöhnen einzelne Wortfetzen (“Sepulcra”?) ans Ohr drängen, machen jede Besinnlichkeit vergessen und werfen den Hörer in ein surreales Spiegelkabinett, in dem hölzerne Perkussion im unsichtbaren Allegro durch den Raum rollt. Eine geisterhaft animalische Flötenmelodie, die aus dem Amazonasbecken stammen könnte, leitet einen Schauplatzwechsel ein, und erst der finale Wohlklang aus Saxophon und Gitarrenklängen schließen beinahe den Kreis – beinahe, denn im Schlusstrack erscheint all dies wie hinter einer Glaswand aus klaren Synthies entrückt und schwebt so dem Abspann entgegen.

Wer mehr aus dem Werk García Lorcas kennt als der Verfasser dieser Besprechung sieht vielleicht an vielen Stellen des großartigen Scores Bezüge zu den untermalten Werken, die alle in den Liner Notes genannt werden. Die Ermordung des Dichters, die in Fernando Arrabals Viva La Muerte in einer drastischen Szene gezeigt wurde, hat dabei übrigens keine Vertonung erfahren, sicher aus Achtung vor den Tod des Idols, aber auch, wie Flores sagt, aufgrund der Unsterblichkeit seines Werks. (U.S.)

Label: Buh Records