LAGNO: Natural Language

Lagno ist das noch junge Soloprojekt der französischen Violinistin Elodie Le Neindre, die weit über ihr Stamminstrument hinaus surreale, elektroakustische Musik komponiert. Ihr Tape-Debüt “Natural Language” ist je nach Geschmack eine wahre Wunder- oder Rumpelkammer an durcheinander gewirbelten und ständig in einander zerfließenden Sounds und erinnert – wenn man so tief in die Theoriekiste greifen will – an die Idee einer ungeordneten Zeichenwelt, die laut Psychoanalytikerinnen wie Julia Kristeva im kindlichen Bewusstsein entsteht und eine Vorstufe der symbolischen Sprache darstellt – eine vielleicht wahrhaftigere, wenn man diese Idee romantisch fassen will.

Wie man dazu steht ist jedoch keine Voraussetzng für den Genuss von Lagnos’ Soundcollagen, die mit Stimme, Geige, E-Piano, Perkussion und Balafon, einem den Xylophonen verwandtes hölzernes Schlaginstrument, gebastelt wurden. Mit Loop- und Sampletechnik sowie allerlei Spielereien mit Raum und Zeit kommen diese immer mal in die Nähe klassischer Nurse With Wound und The Hafler Trio.

Eine gewisse Nonchalance zeichnet die Kompoitionen aus und verleiht ihnen eine unbekümmerte Frische, dazu zählt der Mut zum Provisorium, wenn manche Passagen wie das Stimmen von Instrumenten klingen, ferner die Kunst, leichtes und schweres, enrstes und kitschiges zusammenzubringen, ohne dass es prätentiös wird: Auf den Klang des Atems, der mit der Zeit immer mehr einer Lokomotive ähnelt, folgen in “Spring Tide” Streicher, die wie von einem alten Tonträger gesampelt klingen. Auf räudigen Lärm folgt Vogelzwitschern, abgelöst von hintergründigem Rattern und Rumoren. Auf kaum greifbare dröhnende und bimmelnde Soundscapes folgt heitere Exotica mit Handdrums, und vielleicht ist es die durchgehende Unbestimmtheit von Klangfarben, Tempo und Stimmung, der all dies zusammenhält und vom Eindruck der Widersprüchlichkeit bewahrt.

Neben all den nervösen Geigen, hörspielartigen Filmscores, rückwärts abgespielten Sirupdrones mit dem Echo eines Harmoniums und entgrenzten Rhythmen ist “Nocturnal Enquiries” mein persönlicher Favorit, weil es in weniger als vier Minuten die Stärken des Albums komprimiert und im Pochen eines wildgewordenen Poltergeistes zur Explosion bringt. (U.S.)

Label: Das Andere Selbst