Wenn die Sängerin Allysen Callery ihr wunderbar verhuschtes neues Album “Ghost Folk” nennt, mag man zuerst an einen selbstentworfenen Genrebegriff denken, vergleichbar dem Begriff Attic Core, mit dem Sarah June einmal die staubige Atmosphäre ihrer dunklen, verwunschenen Lieder umschrieb. Da sich Folk aber auch als “Leute” übersetzen lässt, mag der Titel ebenso sehr auf die introvertierten Zeitgenossen, die quiet ones gemünzt sein, die Geisterbande, der das Album gewidmet ist.
Was von den ersten Minuten an auffällt, ist die Unaufdringlichkeit der Musik, die einen angenehm sanft und doch mit einer spröden Herbheit versehen umschmeichelt und dabei wenig (und schon gar keine starken emotionalen Zugeständnisse) von einem will. Meist ist eine solche pathosarme Musik viel berührender, wenn man sich nur gebührend darauf einlässt, und so ist es auch beim mysteriösen Opener “Beautiful Teeth”, der sich mit entspanntem Fingerpicking auf locker gespannten Saiten annähert und den Hörer mit einem unverschwommenen, aber entrückten Gesang in ein traumwandlerisches Setting zieht. Oder sank er hin?
Wie um dieses Ungreifbare noch zu unterstreichen, nimmt das folgende “I can see you” eine verschwimmende Form an und lässt mit verträumtem Nuscheln und einer lässigen Steel Guitar eine Zirkusmelodie entstehen. Erst im auf Shakespeares Sturm anspielenden “Sea Change” lehnt sich die Musik etwas weniger schüchtern aus dem Fenster und zielt mit einer lupenreinen Kopfhängerballade unmittelbar ins limbische System.
Wenn erst klar ist, dass das Album in unterschiedlichen Intensitätsgraden die passenden Register zu ziehen vermag, lassen die Hits nicht mehr lange auf sich warten. Für die einen ist das vielleicht das mäandernde “November Man” nach Nick Drake oder die spröde Interpretation des Traditionals “Katie Cruel”, für andere eventuell das vordergründig unbekümmerte “Tarot Card”, das nach und nach seine Doppelbödigkeit offenbart. Für mich teilt sich das instrumentale “In Your Perfumed Chambers”, zwischen dessen Fahey-Ornamenten man die nach Amber, Myrrhe und Olibanum duftenden Rauchschwaden zu riechen meint, den ersten Platz mit dem unscheinbaren “Fair Warning”, dessen schüchterne Melodie eine enorme Intimität entstehen lässt und sich auch auf einem In Gowan Ring-Album gut gemacht hätte.
Die konsequente Weigerung, bei all dem dick aufzutragen, trägt dazu bei, dass die Musik die Welt nie vollständig in einen Fantasieort verwandelt. Gerade dadurch entsteht ein echter Zauber, dessen Wirkung lange anhält. (U.S.)
Label: cosirecords