WILLIAM BASINSKI: Lamentations

Jüngst vom Wire noch als „the most influential ambient musician of the last 20 years“ geadelt, veröffentlicht der seit etlichen Jahren in Los Angeles lebende Basinski nach dem in diesem Jahr erschienenen und ursprünglich zwischen 1989 und 1991 aufgenommenen Songzyklus „Hymns Of Oblivion“ und einer Liveaufnahme mit Richard Chartier ein neues Album; wobei neu, wie sehr häufig bei Basinski, immer relativ ist, basieren die Stücke auf “Lamentations” doch wieder auf jahrzehntealten Tapeloops aus seinem schier unerschöpflichen Archiv.

Sind die meisten seiner Werke – ob solo, ob bei den Aufnahmen mit anderen (Chartier oder Lawrence English) – oft Albenseitenfüllend (wie etwa bei seiner Hommage an David Bowie oder wie noch im vergangenen Jahr auf „On Time out Of Time“, bei dem er als Klangmaterial Aufnahmen zweier verschmelzender schwarzer Löcher verwendete) und können auch schon mal bis zu einer Stunde lang sind, gibt es nur selten so kurze Stücke wie die Pianominiaturen auf „Melancholia“.

Auf „Lamentations“ ist das verwendete „Instrumentarium“ variationsreich, besteht das Album doch aus zwölf zwischen eineinhhalb und elf Minuten langen Stücken, die sich durchaus von Stimmung und Klangmaterial unterscheiden. „For Whom The Bell Tolls“, mit dem das Album eröffnet wird, ist eine düster dräuende, verrauschte Klangfläche, bei der man als Hörer tatsächlich besorgt ist, wessen Stunde denn nun schlägt. Dagegen hat „The Wheel of Fortune“ mit seinem fast schon hymnischen Melodieloops eine wesentlich optimistischere Grundstimmung. Da ist „Paradiese Lost“ mit seinen leicht dissonanten Bläserloops, „Tear Vial“ mit den für Basinski so typischen verhallenden Klaviertönen. Für mich ist „O, My Daughter, O, My Sorrow, auf dem langsam inmitten des Loops eine Stimme , ein Klagegesang, einsetzt, das vielleicht stärkste Stück. Auch auf „All These, Too, I Love“ wird eine Stimme eingesetzt, wobei man hier fast den Eindruck hat, als höre man das Kinstern der Nadel auf dem Plattenspieler, die Materialität des Ausgangsmaterials betonend. Auch auf dem plötzlich die Sprachebene wechselnden „Please, This Shit Has Got To Stop“ ist ein Vocalloop im Zentrum. „Punch and Judy“, „Silent Spring“ und “Transfiguration” sind  verrauschte Klangflächen, in denen sich Melodien nur erahnen lassen. Beendet wird das Album von dem kurzen, fragmentarischen „Fin“, auf dem man wieder meint, das Knistern einer Nadel zu hören.

Seit ich das erste Mal ein Album von William Basinski besprochen habe – das dürfte inzwischen knapp 20 Jahre her sein – habe ich bemerkt, dass all seine Werke von einem Spannungsfeld durchzogen sind, in dem einerseits dem Hörenden bei diesen Meditationen über das Wesen der Zeit und der Darstellung des Vergehens immer wieder die eigene Begrenztheit und Endlichkeit vor Augen geführt wird, andererseits wird man in einen Zustand versetzt, in dem man meint, man sei kurzzeitig der Tyrannei eben dieser Zeit entrissen. Basinski selbst sprach in einem Interview, das ich vor Jahren mit ihm führte, davon, dass man seine Musik auch als „amniotic fluid“ verstehen könne. Auch all dies trifft auf „Lamentations“ zu, eines der ergreifendsten Alben des Jahres 2020. (MG)

Label: Temporary Residence