Ich halte nichts von Coolness. Interview mit der Sängerin und Schauspielerin Gloria de Oliveira

Als im vorigen Jahr “Fascination”, der erste Longplayer der jungen Künstlerin Gloria de Oliveira, die Runde machte, wunderten sich nicht wenige über die Reichhaltigkeit des Albums. Gerade in der Musik, die auf den ersten Eindruck perfekt in den seit Jahren angesagten Grenzbereich zwischen Wave und einem traumwandlerischen 4AD-Pop passt, erlebt man nicht sehr oft derart viele doppelte Böden, wenn es um Stimmungen und Macharten geht. Doch auch wenn “Fascination” durchaus die Frische eines Auftaktes ausstrahlt, ist Gloria de Oliveira alles andere als ein Neuling. Die meisten Tracks ihres Albums brachte sie bereits 2019 auf zwei EPs über ihr eigenes Label La Double Vie heraus, außerdem gab es noch ihr Bandprojekt lovespells, von dem gerade ein neuer Remix (siehe unten) erschienen ist. Und falls ihr Gesicht oder ihr Name einigen bekannt vorkommen, könnte das auch – Stichwort la double vie – an ihrem zweiten Standbein in der Schauspielerei liegen. Seit 2012 spielt sie Haupt- und signifikante Nebenrollen in Spielfilmen wie Ein Tag nach morgen, Strawberry Bubblegums und jüngst in einer modernen Umsetzung des Mythenstoffs Undine, besondere Beachtung fand zudem ihre Darstellung der Tilly Brooks in der Serie Babylon Berlin. Wir sprachen mit der Künstlerin auch über die Vorteile und Herausforderungen, die ein solch breitgefächertes Spektrum an kreativen Interessen mit sich bringt. 

English Version

Wie ich hörte, hast du Mezzosopran studiert und warst zunächst an Oper und klassischem Gesang interessiert. Dann hattest du dich eher deinem zweiten Standbein, der Schauspielerei und dem Medium Film gewidmet. Irgendwann hast du dich aber doch wieder der Musik zugewandt, und mittlerweile kannst du auf einige Releases zurückblicken. Wie würdest du deine bisherige Karriere beschreiben? Findest du Umwege und kreative Zickzack-Kurse generell wichtig, um Erfahrungen zu sammeln? Wäre deine Musik z.B. ohne die Schauspielerei eine andere?

Ich glaube, wie vielen jungen Menschen hat es mir nach dem Abi, vereinfacht gesagt, an Selbstvertrauen gemangelt – was mich teilweise, was meine berufliche Laufbahn und Lebensführung betraf, in Richtungen getrieben hat, die mir letztendlich nicht ganz entsprachen. Vielleicht musste ich diese Erfahrungen jedoch sammeln, um mich jetzt umso gezielter den Dingen zu widmen, die mir wirklich wichtig sind. Deshalb sehe ich das nicht unbedingt als Zickzack-Kurs, da alles aufeinander aufbaut. Zudem betrachte ich meinen kreativen Output als ein Ganzes und war schon als Kind an verschiedenen Medien interessiert, um meine Ideen umzusetzen und habe das nie hinterfragt – es war einfach meine natürliche Herangehensweise. Ich betrachte das alles als synergetisch.

Würdest du sagen, dass du bei der Musik etwas näher bei dir selbst bist, oder gibt es auch dort manchmal eine Art Rolle, die du einnimmst?

Ja, ich würde sagen, ich bin ich in meiner Musik näher bei mir – selbst wenn ich mich vielleicht teilweise, wie in meinen Musikvideos, in eine Rolle begebe – ich habe mir die jeweilige Rolle dann schließlich selbst ausgedacht und zugewiesen.

Denkst du, dass der – zumindest “alternative” – Musikbereich spontaner und freier abläuft als die Arbeit im Medium Film? Wie sehr kannst du deine Karriere als Sängerin unabhängig organisieren?

Das Filmemachen kann durch seine Natur bedingt in den meisten Fällen nicht spontan und frei ablaufen, da es an eine Maschinerie geknüpft ist, an der viele Menschen, Instanzen und Konventionen hängen – ganz abgesehen vom finanziellen und organisatorischen Aufwand (natürlich gibt es da auch einige Ausnahmen). Natürlich kann man auch Musik auf eine ähnlich teure, aufwändige und konventionelle Art betreiben – aber ich und die Musiker*Innen in meinem Freundeskreis schätzen unsere DIY-Freiheit sehr. Meine Arbeit als Musikerin lief bisher ziemlich unabhängig ab und das schätze ich sehr, da es im Filmbereich und vor allem als Schauspielerin natürlich gegenteilig abläuft – man ist überspitzt gesagt davon abhängig, Angebote zu bekommen, um sich künstlerisch zu entfalten und zudem abhängig von der zeitlichen Planung einer großen Maschinerie. Ich habe mein musikalisches Schaffen deshalb bewusst sehr autonom verfolgt – bin jedoch froh, inzwischen wertvolle organisatorische Unterstützung was Releases, Promotion, Konzertplanung und so weiter betrifft von Seiten meines Labels (Reptile Music), meiner Booking Agentur (Underground Institute) und meiner Agentin zu bekommen. Ganz zu Anfang habe ich das alles noch selbst gemacht, was einerseits sehr lehrreich ist, andererseits viel Zeit und Energie raubt, die ich lieber in andere Bereiche stecken würde.

Du hast dich in einem Interview mal als zart besaited bezeichnet. Denkst du, dass dein Interesse an starken Emotionen und an zum Teil morbiden Themen auch daherkommt?

Ich empfinde meine Interessen eigentlich nicht als morbide – im Gegenteil bin ich sehr am Leben interessiert und an dem Gefühl der Lebendigkeit, die der ungehinderte Zugang zu seinen eigenen Emotionen mit sich bringt.

Wie entstehen deine Songs? Improvisierst du manchmal, wenn du in einer bestimmten Stimmung bist?

Ich habe eigentlich keine feste Herangehensweise – manche Songs entstehen tatsächlich durch Improvisation, wenn ich beispielsweise ganz banal neue Gear ausprobiere. Manche Songs kommen mir fast vollständig im Traum – ich muss mich dann immer dazu zwingen, sie noch im Halbschlaf sofort per Voice Memo festzuhalten, damit die Idee nicht verfliegt.

Gibt es Situationen, die dich besonders zum Schreiben von Songs inspirieren?

Lebenseinschneidende und vielleicht sogar traumatische Ereignisse und Phasen sind definitiv die Zeit, in der mein Output am höchsten ist. Vielleicht, weil Musik für mich die unmittelbarste Ausdrucksform und mir in diesen Situationen eine Stütze ist. Klingt kitschig und abgedroschen, aber ich finde es hat etwas Magisches, wenn aus einem dunklen, vielleicht destruktiven Moment etwas Schönes entstehen kann, wie ein Song oder ein Album, woran auch andere Menschen sich erfreuen können. Tatsächlich sind die Nachrichten von traurigen Teenagern am anderen Ende der Welt, die mich bei Instagram oder per eMail erreichen, für mich das absolute Highlight meines musikalischen Schaffens. Der Gedanke, einen kleinen heilsamen Beitrag zu ihrem Alltag zu leisten, motiviert mich sehr. Ich war selbst mal so ein Teenager und weiß noch genau, was mir meine Lieblingsalben damals bedeutet und wie sehr sie mich gehalten haben.

Obwohl deine Musik eigentlich immer einen melancholischen Charakter hat, wirkt sie nie pessimistisch oder abgeklärt. Vielleicht kommt dies durch eine Art traumhaftes Element, dass sich fast immer findet und mal liebevoll, mal spielerisch daherkommt. Siehst du das ähnlich?

Ich bin definitiv kein pessimistischer oder abgeklärter Mensch – und ich freue mich, dass du Verspieltheit in meiner Musik erkennst, denn ich bin definitiv sehr verspielt bis albern. Ich halte nichts von Coolness. „Melancholie“ definiere ich persönlich als die Freude an einer gewissen Traurigkeit, durch die man sich lebendig fühlt – siehe die Antwort auf deine Frage zu den starken Emotionen. Melancholie ist für mich lebensbejahend. Ich würde sie klar von Pessimismus oder Zynismus trennen – ich gebe mir bewusst Mühe, auch im Angesicht irgendwelcher Widrigkeiten keine pessimistische, zynische Person zu werden und es freut mich, wenn man das in meiner Musik reflektiert sieht.

Einige deiner Titel beziehen sich auf Filme von Jean Rollin, und in Videos wie dem zu “Dark Rider” kann man seinen Einfluss deutlich wiedererkennen. Wie bist du auf seine Filme gestoßen und war es eine Art Liebe auf den ersten Blick?

Ich muss irgendwann als Teenager beim nächtlichen Surfen im Netz auf ihn gestoßen sein – ich glaube sogar durch Bilder der beiden Vampirschwestern aus “Lèvres de Sang”, an denen ich sofort hängen blieb und erfahren musste, was es mit ihnen auf sich hatte. Also ja, “Faszination” auf den ersten Blick, sozusagen – ich las kürzlich einen Artikel in dem seine Filme als “Daydreams for the witching hour” beschrieben wurden, das sagt schon alles.

In den Jahren ab “Viol du Vampire” wurden seine Filme von vielen als amateurhafte Genrefilme betrachtet. Der feinsinnige Surrealismus seiner Bildsprache und die z.T. an Jacques Rivette erinnernde Handschrift wurden dabei ebenso wenig gesehen wie die Tatsache, dass die Filme trotz der sexualisierten Horrormotive nie mit reißerischen Effekten arbeiten. Später wurde er für manche zum Kultregisseur. Was macht für dich das besondere seiner Filme aus?

Die traurigen Vampirmädchen, zerfallenden Burgen, verlorenen Liebespaare, atmosphärischen Strände – die Rollin-Ästhetik ist unverwechselbar und in meinen Augen von einer tiefen Romantik und einem wehmütigen Idealismus geprägt. Ich mag auch, dass Rollin in vielerlei Hinsicht wie ein Einzelgänger scheint – ein Filmemacher, der keine konkrete Verbindung zu dem damaligen französischen Kino hatte, mit technischen filmischen Konventionen brach und seinem ganz eigenen ausgeprägten visuellen Stil und seinen thematischen Obsessionen folgte. Ich finde es schön, dass Rollin spätestens seit der Erscheinung des sehr empfehlenswerten Bandes “Lost Girls: The Phantasmagorgical Cinema of Jean Rollin”, zusammengestellt von Samm Deighan, die Art von Aufmerksamkeit bekommt, die seinen Werken gerecht wird – das Buch ist eine Art Korrektur für die Jahre, in denen Männer die Diskussion über Rollin und seine Arbeit dominierthaben. Dieser Aspekt führte auch zu meinen Album und EP Titeln, die nach Rollins Filmen benannt sind: Der Aspekt des Male Gaze innerhalb seiner Filme und Rollins Nähe zum Sexploitation-Kino dieser Zeit, gepaart mit seiner Arbeit als Regisseur von Pornos sehe ich sehr kritisch – weshalb es mich umso mehr reizt, jene Aspekte, die mich an diesen Werken begeistern, für mich herauszuziehen und in einen neuen, feministischen Kontext zu setzen.

Gibt es weitere Werke aus Film oder auch Literatur, die deine eigene Arbeit maßgeblich beeinflusst haben?

Neben Filmen, Serien und Soundtracks hatten bisher vor allem Dichter*Innen einen großen Einfluss auf mich – Anne Sexton, Sylvia Plath, John Keats, Rainer Maria Rilke, Guillaume Apollinaire und Else Lasker-Schüler gehören zu meinen Favoriten. Ich habe auch schon den ein oder anderen Vers aus ihren Gedichten in meinen Texten “gesampled”.

Den Clip zu “Dark Rider”, das du noch mit dem Projekt Lovespells aufgenommen hast, bezeichnest du sogar als “a musical short film”. Existiert Lovespells noch, oder war es eher als temporäres Projekt gedacht?

Die Musik, die ich unter meinem eigenen Namen mache, folgt keinerlei Konzept und ist dicht an mir persönlich dran – im Gegensatz dazu ist Lovespells eine Art Experiment, in dem ich mich in eine Persona hülle, bewusst eine gewisse Ästhetik verfolge und in dem mein Mitstreiter Spampoets und ich mit Synth Pop und Dark Wave Konventionen spielen. Es gibt auch bereits ein kleines Lovespells-Comeback in Form eines sehr tanzbaren Remixes!

Auf “Fascination” ist eine ganze Reihe an Remixes – von The Wide Eye, Tellavision, Box and the Twins, Fragrance. und nicht zuletzt Gudrun Gut. Bei The Wide Eye hast du dich auf “Forever” bereits revanchiert. Wie kam es zu diesen Arbeiten, kanntet ihr euch zuvor schon?

Ich kannte vorher lediglich zwei von ihnen persönlich – erstens TELLAVISION, die wie ich an der HFBK studiert hat und mit der ich bereits für ein Musikvideo kollaboriert habe. Zweitens THE WIDE EYE, mit dem ich befreundet bin seitdem ich ihn vor ein paar Jahren durch Instagram kennenlernte und mit dem ich auch in Zukunft noch oft zusammenarbeiten möchte.

Ein guter Remix hängt sicher nicht davon ab, dass der Remixer einen ähnlichen Stil oder eine ähnliche Arbeitsweise hat, oft sind es auch gerade die Gegensätze, die dabei helfen, etwas ungewöhnliches aus einem Song herauszuholen. Du kennst das ja durchaus von beiden Seiten. Was sind für dich die Voraussetzungen für eine gute Bearbeitung?

Ich habe keine konkreten Voraussetzungen – außer, dass ich allgemein bereits Fan der jeweiligen Künstler*Innen bin. Es war mir daher solch eine Freude, die Interpretationen meiner Tracks dieser von mir sehr geschätzten Musiker*Innen zu hören und bin sehr dankbar, dass sie Lust darauf hatten und inspiriert waren.

An welchen musikalischen Ideen bastelst du zur Zeit? Gibt es schon neue Aufnahmen?

Seit dem Sommer arbeite ich an Material für ein neues Album, welches ich im nächsten Jahr veröffentlichen möchte. Diesmal versuche ich vorsichtig, aus meiner üblichen Isolation auszubrechen und arbeite mit einigen von mir sehr geschätzten Personen zusammen. Außerdem arbeiten ich und mein guter Freund ELKKS an weiteren Kollaborationen!

Interview: Uwe Schneider

Fotos © Julia Ritschel und Beto Ruiz Alonso

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