Als Ô Paradis und Nový Svět kurz nach der Jahrtausendwende ein gemeinsames Album ankündigten, musste das in den kleinen Fangemeinden, die sich schon damals überschnitten, Interesse wecken. Da gab es einiges, das beide verband: eine Melancholie, die den Sinn für Lust und Leben nicht verleugnete; eine Stilmixtur aus alten und neuen, populären und nischigen Zutaten, deren roter Faden vielleicht die Entschleunigung ist; spanische Texte, was für Österreicher ungewöhnlich und für Katalanen zumindest nicht selbstverständlich ist.
Es gab aber auch immer deutliche Unterschiede: Die Musik Ô Paradis’ strahlt eine meditativ anmutende Gelassenheit aus, die mit einem offen spirituellen Charakter einhergeht und sich musikalisch in einem deutlich hörbaren Rahmen äußert, der alle Details hegt und umfasst. Novy Svet dagegen verströmen eine Aura des Tragischen, und ihre kauzige Emotionalität würde in den eruptivsten Momenten jeden Rahmen sprengen. Eine unberechenbare Ambiguität umgab Nový Svět von Anfang an, Ô Paradis wirkte immer greifbarer. Obwohl sich beide für immer wieder neue Sound-”Konzepte” entscheiden, würde sich Ô Paradis durchaus mit radiotauglichen Produktionen vertragen, Nový Svět würden sich in den hintersten Lofi-Ecken zuhause fühlen. Was immer also in dem gemeinsamen Heimstudio am Fuße der Pyrenäen fabriziert werden sollte, konnte nicht uninteressant werden.
Zum oben Gesagten passt, dass die basale Soundkulisse von “Entre Siempre…”, das dann 2003 beim Nekofutschata Musick Cabaret erschien, zumindest auf den ersten Eindruck eher nach Ô Paradis klang. Es ist ein warmer, breiter Sound, der die Geschichten um ein Land einhüllt, das im Schlaf vom (tatsächlichen oder metaphorisch verstandenen) Meer verschluckt wird. Das Meer und seine sanften Wellen sind auch mit das erste, das man im Intro hört, und nur ein Blick auf die an Land gespülte Tierleiche, die das Cover ziert, bricht wie ein unheilvolles apokalyptisches Omen in das Idyll der heiteren Vögel und sanft wabernden Harmoniumklänge ein.
Im Verlauf des Albums treten die Sänger Demian und Jürgen in fast abwechselnder Reihenfolge an den vorderen Bühnenrand, aber das ist nicht das einzige, das Abwechslung in die rund 45 Minuten bringt, denn jeder Song hat seine eigenen Stimmungen und Gangarten, und mit der Zeit kommen immer neue Facetten des Sounds hinzu, bei dem sich Akustisches und Elektronisches die Waage hält. Ziemlich zum Anfang gibt es gleich ein paar “Hits”, allem voran natürlich “Iberia Sumergida”, das Webers erschöpft wirkenden Gesang in bombastische Pauken und Rasseln hüllt und der besungenen Sintflut die Dramatik eines Monumentalfilms gibt. Ein ähnlicher Kracher ist “Barcelona!”: Hier führt erneut Weber mit nur leicht melodischem Gesang und einem knorrigen Basslauf durch die Gassen und Kneipen der Stadt, die sich als Schauplatz eines grauen und tristen Blues offenbaren. Der mysteriöse Tristan Sasao fiedelt dazu eine launige Melodie, unter der sich quakende Stimmen notdürftig verstecken. Garantiert sagen die nichts Gutes.
Entrückte Momente gibt es v.a. in den Stücken mit Demian am Mikro, der Walzer “La Cuna” wirkt wie ein anheimelnder Totentanz aus der “Llega el Amor”-Phase, und die wundervoll einlullende Zwischenwelt von “Tierra Gastada” mit seinem geflüsterten Text über schönen Pianoparts zählt zu den großartigsten Momenten des Albums. Nicht wenige Stücke auf “Entre siempre…” haben den Charme verkappter Popsongs, teils verlangsamt, immer zerlegt und absichtlich falsch zusammengesetzt, wie es sonst nur Coil auf ihren songorientierteren Alben konnten. Besonders das zweite der beiden “Distancia”-Stücke entpuppt sich als echter Ohrwurm, wenn man erst einmal durch die introvertierte Exzentrik geschaut hat und zum schönen Kern vorgedrungen ist. Auch in “Siento Sensacion”, in “Las Cosas Invisibles”, das wohl auf einen früheren Nový Svět-Song bezug nimmt, und im entspannten “Lluvias” findet sich diese Gradwanderung, während der Popcharakter im von Demian gecroonten “Te Vi Pasar” am deutlichsten zutage tritt.
Gut siebzehn Jahre später erscheint “Entre Siempre..” fast wie die Handlung eines vor langer Zeit gesehenen Films, die in der verschwommenen Erinnerung schon längst eine sepiafarbene Tönung bekommen hat. Und das betrifft alles damit zusammenhängende: das Zusammentreffen der beiden Acts, die noch ein weiteres Album aufnehmen sollten, die für viele Hörer neue Idee eines mediterranen Underground, der nicht als große Bewegung wie etwa Hauntology oder Italian Occult Psychedelia in die Annalen experimentierfreudiger Musik eingehen sollte, denn all das spielte sich unter der Wahrnehmungsgrenze der Bobo-Magazine ab, und die Mehrheit der Industrial- und Neofolk-Grufties verstand ohnehin nur Bahnhof. So wurde die diffuse Geschichte ebenfalls vom Meer verschluckt.
Dem Reiz des Halbverblassten indes tut das Album als Tondokument keinen Abbruch, und so ist die Wiederveröffentlichung als LP durch den Enfant Terrible-Ableger Vrystaete nur zu begrüßen. (U.S.)
Label: Vrystaete