JOKE LANZ / UTE WASSERMANN: Half Dead Half Alive

Als die beiden Performance- und Klangkünstler Ute Wassermann und Joke Lanz vor gut zwei Jahren zusammen beim Nickelsdorfer Jazz Festival mit ihrem nach herkömmlichen Standards kaum jazzigen Vokal- und Turntable-Set auftraten, war das die bislang umfangreichste Zusammenarbeit der beiden. Dass sie sich aber schon lange kennen und gegenseitig inspirieren, hat an dem Abend sicher mit zu der furiosen, spannungsgeladenen Tour de Force durch abenteuerliche Klänge geführt.

Als in ständiger Bewegung befriffenes, treibsandartiges Fundament dienen hier eine Vielzahl von Sounds, die zum einen von Sudden Infant-Gründer Lanz von allerlei obskuren Platten eingespielt wurden, zum anderen von zweckentfremdeten und live zur Unkenntlichkeit verfremdeten Objekten aus Wassermanns Repertoire. Kleinteiliges Tremolieren bildet den Auftakt und wird mittels Scratchen gleich in eine schwindelerregende Berg- und Talfahrt verwandelt, Tango-Zitate mit vertrauten Akkordeonklängen tauchen aus einem Meer aus Soundfragmenten, einer musikgeschichtliche Halde und Wunderkammer, auf und rufen Lanz’ Kollaboration mit Jonas Kocher in Erinnerung. Das auf den ersten Eindruck ungeordnete Zusammenwerfen von Sounds ist ein Spiel ohne Grenzen, bei dem der Humor und der Schalk bisweilen an erster Stelle stehen – bei abrupten Brüchen, spontanen Tempowechseln und plötzlich einsetzendem Zeitraffergefrickel, bei federnden Maultrommeln, die an den Vorspann von Dr. Snuggles erinnern, bei Tierstimmen aller Art.

Stimmeinsatz ist sowieso eine weitere Säule der Performance, und Wassemann, die klassischen Gesang und Stimm-Performance studiert hat, zieht alle erdenklichen Register. Von kehligem Gurgeln und Knurren, das immer mal wieder an die gutturalen Sounds aus Filmen wie Ju-On, dann an tibetische Ritualgesänge erinnert, bis hin zu thereminartigen Höhenflügen kommen die unterschiedlichsten Vokaltechniken zum Zug, und ob die klanglichen Assoziationen beabsichtigt sind oder eher der Fantasie des Hörers geschuldet, bleibt ein Geheimnis. Die launige Kuckucksuhr scheint jedenfalls echt zu sein.

In den meisten Passagen geraten Wassermanns Stimmarbeit und die restlichen Sounds zu einem sorgsam verflochtenen Zopf. Wenn die Musik sich nach und nach von vorsichtigem Tasten zu aggressiv lospreschender Dynamik wandelt, ebenso wenn groovige Takte für die “musikalischsten” Momente sorgen, bilden die oft an verwundertes Stöhnen oder panisches Hecheln erinnernden Vocals den passenden Kommentar dazu – oder umgekehrt, denn es wäre schwer auszumachen, wer bei diesem Tanz eigentlich die Führung innehat. Interessante Kontraste entstehen: bedrohliches Keifen über einem gesampleten Saxophon, lachende Kinder und knurrende Monster, Singvögel und harmonische Drones verlacht von kichernden Affen, hektischer Atem über einem strömenden Akkordeon, ein Sopran zwischen Hupen und Saitenklängen aus Fernost – all dies bildet eine launige Feier des Heterogenen, bei der man stellenweise meint, jemand hätte Andrew Liles’ “Monstrum Animale” und eine Show von Jealousy Party überblendet.

“Half Dead Half Alive” besteht aus einem knapp halbstündigen (“Half Dead”) und einem sehr kurzen Track (“Half Alive”), die nach einem ähnlichen Strickmuster funktionieren. Mit den Titeln ist es wie mit dem sprichwörtlichen Glas, das entweder halbvoll oder halbleer ist: es hängt immer davon ab, welches das größere Glas ist, und so steht das Album deutlich im Zeichen des Halbtoten, was sicher jeder nachempfinden kann, der nach dem ersten Hördurchgang erst einmal ein paar Minuten Ruhe braucht. Auf der anderen Seite ist “Half Alive” das Finale, und wer könnte da etwas gegen haben? (U.S.)

Label: Klanggalerie